Günter Grass: Die Box – Dunkelkammergeschichten


  • Günter Grass: Die Box – Dunkelkammergeschichten


    Um es gleich am Anfang zu sagen, die Lektüre dieses neuen Buches von Günter Grass ist für mich, die ich mich seit Jahrzehnten wesentlich mehr mit den Werken des Autors als mit seiner Biografie beschäftigt habe, zunächst gewöhnungsbedürftig. Während ich mir bei Grass erstem Teil seiner Autobiografie „Beim Häuten der Zwiebel“ – ganz unbeeinflusst von der damals gerade tobenden „Schlammschlacht“ um seine verschwiegene oder nicht verschwiegene Mitgliedschaft in der Waffen-SS - durch das Lesen des Buches meine eigene Meinung bildete (siehe dazu meine Rezension bei Exlibris) und einmal mehr Grass unverwechselbare, wortgewaltige Sprache bewunderte, so fiel es mir beim zweiten Teil der Autobiografie recht schwer, mich einzulesen.
    Dabei fängt alles ganz märchenhaft an: Es war einmal ein Vater, der rief, weil er alt geworden, seine Söhne und Töchter zusammen…Und das tun sie dann auch, insgesamt acht an der Zahl und fügen sich seinem Wunsch. Die längst erwachsenen Kinder kommen also zusammen und kramen in fiktiven Sitzungen in ihren Erinnerungen und dabei entstehen immer neue Geschichten, meist erzählt in einem sehr gekünstelt wirkenden Jugendjargon: Kindheitserinnerungen an den durch seine schriftstellerische Tätigkeit und sein politisches Engagement oft fernen Vater, Anspielungen auf die Bücher des Autors Grass, die in den letzten vier Jahrzehnten entstanden sind, die Ehefrauen, das turbulente Leben in dieser Patchwork- Familie…
    Aber da ist auch noch die alte Agfa-Kastenkamera , die Wünschdirwasbox, die Wunderbox, die Zauberbox, die, seit sie den Krieg angesengt überstanden hat, mehr als nur die Wirklichkeit zeigt. Sie kann in die Vergangenheit und in die Zukunft schauen, Wünsche und Ängste in Szene setzen. Im Buch gehört diese Box der aus Masuren gebürtigen Fotografin Maria Rama (1911-1997), der Grass dieses Buch gewidmet hat und die über lange Jahre hinweg das Leben des Autors und seiner Familie begleitete (Knipsmalmariechen) und die nicht nur die Kinder und deren Wünsche aufs Bild bannt, sich Väterchens Frauen nacheinander verknöpft, Schauplätze und Figuren der Bücher des Vaters herbeizaubert, sondern auch imaginäre Schreckensszenarien heraufbeschwört.
    Die Passagen über Mariechen, der neben Väterchen Grass zweiten Hauptperson der Dunkelkammergeschichten und über deren wundersame Kamera gehören für mich dann auch zu den eindringlichsten des ganzen Buches.
    Übrigens: dem, der die Grass’sche Familienbox genauer verstehen will, empfiehlt der Feuilletonist der „Mainzer Rhein-Zeitung“ Matthias Hoenig die bereits vor Jahren erschienene Grass-Biografie von Michael Jürgs. [Helga Wittkopf]


    Günter Grass: Die Box. Dunkelkammergeschichten. | Steidl Verlag | 215 Seiten | ISBN 978-3-86521-771-4 | 18 €