Bei diesem Artikel habe ich mich echt amüsiert
Hotelsouvenire
In deutschen Hotels wird alles geklaut, was nicht niet- und nagelfest ist. Manch ein Gast lässt sich beim Abtransport vom Pagen unter die Arme greifen
Von Michael Allmaier
Man merkt es kaum. Man soll es auch nicht merken. Der Fön ist doch sicher nur an die Wand montiert, damit ihn kein Lebensmüder mit in die Badewanne nimmt. Die Spezialschrauben im Bilderrahmen schützen vielleicht bloß das Bild vor dem Verrutschen. Doch spätestens bei den Kleiderbügeln ohne Haken gehen selbst dem treuherzigsten Hotelgast die Erklärungen aus, und er muss sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass die Hotelleitung ihn nicht nur als Nutznießer ihrer Sicherheitsvorkehrungen sieht.
Das Problem hat einen Namen. Er lautet »Schwund« und umfasst die Millionen Dinge, die alljährlich aus deutschen Hotels verschwinden – und zwar in den Koffern der Gäste. Doch bei einer Straftat, die ob ihrer Häufigkeit mehr noch als Volkssport denn als Kavaliersdelikt gilt, mögen selbst die Geschädigten von Diebstahl nicht reden.
Nach den Erfahrungen von Richy Okorie, Director of Services im Marriott an der Frankfurter Messe, nehmen fünf bis sieben Prozent seiner Gäste etwas aus ihrem Zimmer mit. Allein 30 bis 40 Bademäntel verschwinden jeden Monat. In den sieben Kettenhotels, die die Hotel-Management und Service-Gesellschaft HMG betreibt, geht es ähnlich hoch her. Der Geschäftsführer der HMG, Hartmut Schröder, zählt längst keine Bademäntel mehr, er zählt bloß die Kosten: »Hohe fünfstellige Beträge im Jahr.«
Die Hoteliers haben vor Jahren einmal Hitlisten der beliebtesten Souvenirs erstellt: Bademäntel standen da auf Platz drei hinter Handtüchern und Aschenbechern. Aber offenbar verschwindet früher oder später so ziemlich alles. Da werden Glühbirnen herausgeschraubt, Seifenspender abmontiert, Fernseher ausgeschlachtet, Türschilder heruntergerissen, Schuhputzautomaten hochgewuchtet und oft genug auch noch, neutral verpackt, vom nichtsahnenden Pagen zum Auto gebracht. »Es gibt nichts, was nicht interessant wäre«, sagt Schröder. Er beklagt aus jüngerer Zeit den Verlust eines Zigarettenautomaten und mehrerer Toilettenbrillen.
Was treibt brave Bürger, unterwegs Dinge zu klauen, die sie daheim wohl geschenkt nicht annähmen? Bernd Kielmann, Institutsleiter der Deutschen Gesellschaft für Verhaltenstherapie, hat sich auf das Seelenleben von Reisenden spezialisiert. Er unterscheidet fünf Typen. Erstens den Trophäenjäger, der es auf alles abgesehen hat, was ein Hotel-Logo trägt, um daheim damit zu prahlen – sei es mit der exklusiven Herberge, die er sich gegönnt hat, sei es mit der eigenen Unverfrorenheit. Zweitens den Geizhals: Er sieht nicht ein, warum er bei einem Zimmerpreis von 120 Euro noch einmal 8 Euro für ein Fläschchen Cognac berappen soll. Ihm verwandt ist, drittens, der Spießer, der bloß nichts verkommen lassen will. So viele Batterien, die in kaum genutzten Fernbedienungen vergammeln; so viele Biergläser, die die Hotels doch sicher geschenkt kriegen. Wer wird die schon vermissen? Viertens: der Rebell, der sich in der Kunstwelt der Hotels an all das erinnert fühlt, was er am bürgerlichen Leben verabscheut, und handgreiflich protestiert. In diese Gruppe gehören jene Kindsköpfe, die die Minibarfläschchen leer trinken und mit Wasser wieder auffüllen. Fünftens schließlich der Sammler, der gerade im Urlaub Zeit für sein Hobby findet. Das beginnt bei harmlosen Vorlieben wie jener für »Bitte nicht stören!«-Schildchen, von denen ein Liebhaber aus Moers bereits einige tausend beisammen hat, kann aber auch zwanghafte Formen annehmen. Der Rechtsanwalt Rolf Treutler erinnert sich an einen solchen Fall: »Einmal wurde ich von einem Hotelier aus der Nachbarschaft gerufen, weil der einen Gast beim Einstecken eines Salzstreuers beobachtet hatte. ›Sie sind wohl Sammler‹, sagte ich zu ihm. Da rief der: ›Das ist gut!‹, haute mir auf die Schulter und holte mindestens zehn Streuer aus der Tasche.«
Treutler ist einer der Leute, an die Hotels sich wenden, wenn Gäste die Gastfreundschaft strapazieren. Aber bei Kleindiebstählen, meint er, ist juristisch nicht viel zu machen. Man erwischt die Handtuchmopser ja selten in flagranti. Das Hotel muss darum nachweisen, dass der vermisste Gegenstand beim Einzug des Gastes noch da war und dass niemand sonst als Dieb in Betracht kommt. Richy Okorie hat damit schlechte Erfahrungen gemacht: »Ein Gast hat uns mal das halbe Zimmer ausgeräumt und die Matratze verbrannt. Als wir seine Kreditkarte belastet haben, kam ein Brief von seinem Anwalt: Ob wir Zeugen hätten? Wir mussten das Geld zurückerstatten.«
Mancher Hotelier hat sich darum zähneknirschend aufs Bitten verlegt. Hartmut Schröder sagt: »Wenn wir einen Bademantel vermissen, schreiben wir dem Gast einen höflichen Brief, ob er über den Verbleib etwas weiß.« Und wenn er es nicht weiß? »Dann haben wir einen Bademantel weniger, und er hat einen mehr.« Selbst wenn mal ein Übeltäter beim Auschecken gestellt werden kann, hat er wenig zu befürchten. Man sieht in ihm auch weiter vor allem den zahlenden Kunden. »Und wer«, fragt Richy Okorie, »möchte schon einen VIP-Gast auf einen abmontierten Duschkopf ansprechen?«
Bleibt nur die Vorsorge. Dort allerdings wurde schon einiges ausprobiert:
1. Big Brother: Gegen Diebe von außen muss sich das Hotel ohnehin schützen. Warum nicht nebenbei auch dem Schwund wehren? Das Estrel in Berlin setzt auf kameraüberwachte Flure und elektronische Schlösser, die festhalten, wer wann welche Tür öffnet. Die Marriott-Kette schult Zimmermädchen, beim Saubermachen diskret den Bestand zu kontrollieren. Die Hilton-Hotels haben in Minibars investiert, die hochgehobene Flaschen automatisch auf die Rechnung setzen. Sogar Handtücher mit eingenähtem Diebstahlmelder wurden schon erprobt. Sie erwiesen sich jedoch als nicht waschmaschinenfest.
2. Die Abwertung der Trophäe: Der Wert eines Souvenirs liegt in seiner Unverwechselbarkeit. Darum sind viele Hotels dazu übergegangen, schwundanfällige Gegenstände nicht mehr mit Emblemen zu versehen. Das nimmt den Trophäenjägern die Freude. Bei ihnen hat sich auch die Jagderleichterung bewährt. So prangt an manchem Bademantel inzwischen der Hinweis, man könne ihn an der Rezeption erwerben. Das tut zwar kaum einer. Aber der Schwund geht zurück.
3. Appelle ans Gewissen: Den meisten Schwund beklagen große Vier-Sterne-Hotels – solche Häuser also, die einerseits Luxus zur Schau stellen, andererseits aber durch ihre Anonymität das »Hier kennt mich keiner«-Gefühl des Reisenden noch verstärken. Ob die einschlägigen Maßnahmen zur Kundenbindung daran viel ändern, mag dahingestellt sein. Aber sie haben offenbar einen disziplinierenden Begleiteffekt. Eine Anrede mit Namen – und schon merkt der Gast, dass er beachtet wie auch beobachtet wird. Einen solchen moralischen Weckruf haben einige Hoteliers auch ihren Wertsachen eingebaut. Auf den Rücken von Gemälden etwa prangt bisweilen ein Preisschild. Es geht auch weniger vornehm: mit dem Schriftzug »Hier wurde ein Bild gestohlen« an der rückwärtigen Wand.
4. Nichts tun: »Bei uns wird nichts festgeschraubt«, erklärt Marion Schumacher, die Sprecherin der Ritz-Carlton-Gruppe. Aus der Fünf-Sterne-Hotellerie hört man kaum Klagen über Schwund. Ob dort die Gäste vor lauter Zufriedenheit weniger klauen oder ob man bloß zu vornehm ist, darüber zu reden, bleibt das Geheimnis der Hoteliers. Marion Schumacher jedenfalls gibt sich großmütig: »Wenn ab und an mal ein Bademantel abhanden kommt, ist das ja auch eine Werbung für uns.«
5. Verzeihen: Die Hotelkette Holiday Inn rief in Amerika im vergangenen Jahr den »Towel Amnesty Day« aus. Allen Handtuchdieben wurde verziehen. Sie wurden sogar ermuntert, dem Unternehmen zu verraten, was mit den Handtüchern passiert ist. Rührende Geschichten kamen da zusammen: Wie junge Eltern ihr Baby darin wickelten. Wie die kleine Tochter zum ersten Mal mit ihren Eltern verreiste und im Hotel entzückt ausrief: »Die haben ja die gleichen Handtücher wie wir!« Wie einmal ein angehender Handtuchdieb eine aufgeschlagene Bibel neben seinem Koffer fand und fortan nicht mehr sündigte. Einer fragte sicherheitshalber, auf wie viele Handtücher sich die Vergebung erstreckt.
Konkurrenten des Holiday Inn zeigen sich von diesem Marketing-Gag wenig begeistert. Ermuntert man nicht so die Gäste zum fröhlichen Weiterklauen? Doch vielleicht bewirkt gerade die Vergebung mehr als das verschämte Gerede vom Schwund. Der Towel Amnesty Day spricht in aller Heiterkeit die Handtuchdiebe schuldig. Er holt ihre klammheimlichen Gaunereien ans Licht und nimmt ihnen gleichzeitig die Beichte ab.
Ich habe gestohlen
Mechthild Werner Handtücher
Ich war schon erwachsen, der Urlaub ein Revival: mit Eltern und Bruder in den Vogesen, wo wir als Kinder jeden Sommer verbracht hatten. Diesmal aber nächtigten wir luxuriös. Das Grand Hotel hatte wunderbare Handtücher, ganz flauschig und weiß und dick. Meine Mutter, selbst Pfarrersfrau, schimpfte präventiv: »Vergreift euch bloß nicht an fremdem Gut. Denkt an das Siebte Gebot.« So weit die Worte. Die Heimfahrt zeigte die Taten. Ich hatte mir ein Hotelbadetuch unter den Pulli geschoben. Meine Mutter hatte eins in der Handtasche versteckt. Mein Bruder wählte den Rucksack. Eine kleptomanische Pfarrersfamilie, vereint auf dem Autositz. Die Flauschetücher benutze ich noch immer. Manchmal ist mir das peinlich. Etwa wenn Fremde mein Bad benutzen und sehen, aha, Frau Pfarrerin stiehlt Hotelhandtücher. Damals aber dachte ich: So ein teures Hotel – das verkraftet ein bisschen Handtuchklau.
Mechthild Werner, 42, Pfarrerin, spricht am 4.September »Das Wort zum Sonntag« (ARD). Sie ist eine von acht Theologen im Team