Johnny Cash mal nicht "in Musik"

  • JOHNNY-CASH-HÖRBUCH
    Legende, scheibenweise

    Von Werner Theurich


    Superstar, Leidensmensch, Ikone: Der 2003 verstorbene Johnny Cash genießt Kultstatus - weit über die Grenzen von Country- und Folkmusik hinaus. Passend zur medialen Rundumverwertung erscheint das Leben des "Man in Black" nun auch auf Deutsch als nicht immer stimmige Hörbuch-Biografie.


    Im historischen Künstlerdorf Worpswede bei Bremen lebt nicht nur das Erbe von Malern wie Heinrich Vogeler und Paula Modersohn-Becker fort, hier ist auch seit über 25 Jahren die Plattenfirma Bear Family Records zu Hause, die neben Rock 'n' Roll- und Rockabilly-Klassikern auch das Frühwerk von Johnny Cash verlegt. Tonträger-Konjunktur mit klugem Nischenprogramm: Bear Family klagt vergleichsweise wenig über die bösen Konsumenten, die nur noch downloaden und brennen. Kleinode für Kenner finden immer Käufer, und die Bären aus dem niedersächsischen Flachland fertigen folglich ebenso interessante wie optisch attraktive Sammlerstücke, für die Fans auch gerne ein paar Euro mehr hinlegen.


    Fakten statt Analyse


    Was aber kann ein rühriges Label tun, wenn eigentlich jede Innovation, jedes Abenteuer, jede Eskapade eines lukrativen Künstlers wie Johnny Cash schon dokumentiert ist? Man schaut sich den derzeit eher schlappen CD-Markt an und entdeckt als Wachstumsbereich das Segment "Hörbuch". Johnny Cashs an Höhen und Tiefen reiche Karriere samt Musik - das bietet den idealen Stoff für Spannung, Hintergrund-Infos und jene zeitlose Emotionalität, die auch die Songs des Meisters charakterisiert. Und wirft zudem ein Herzensprojekt für Richard Weize ab: Der Bear Family-Chef ist bekennender Cash-Aficionado.


    Natürlich muss bei so einem Hörbuch viel abgearbeitet werden: die Geschichte, wie Cash 1955 mehrmals bei Sun-Records-Chef Sam Phillips vorspielen musste, bevor 1957 sein erstes Album "Johnny Cash and His Hot and Blue Guitar" erscheinen konnte, gehört ebenso dazu wie die Story vom nicht ungefährlichen Auftritt 1968 im Hardcore-Knast Folsom Prison. Doch im lakonischen, fast immer phrasenfreien Ton erzählt, kommt bei den vielen Anekdoten stets Neugier auf, wie es denn weitergeht mit "John R. Cash", so der korrekte Geburtsname des Künstlers. (Womit nicht entschuldigt ist, dass er ein paar mal zu oft als "J.R." apostrophiert wird - das lässt dubiose Assoziationen zu und schafft eine plumpe Vertraulichkeit, die Johnny Cash kaum verdient hat.)


    Country-Legende Johnny Cash: Korrektur reaktionärer Nashville-Klischees
    Immerhin vier jeweils über 70 Minuten lange CDs füllt das Werk "Auf Kurs", das von Bettina Greve verfasst wurde. Die Autorin hat bereits mit der Labelstory "Sternenhimmel" (Hannibal Verlag) über die Plattenfirma Polydor ein kleines Standardwerk in Sachen Tonträgergeschichte vorgelegt. Bei Johnny Cash ging sie auf Nummer sicher: Lieber Fakten als Analyse, viele kleine Details, Basiswissen für Cash-Neulinge, meistens in angenehm zurückhaltender Erzählweise präsentiert, die hier und da ein wenig Schulfunk-Atmosphäre atmet, sich aber bis auf ein paar Ausrutscher dem Sujet sicher und präzise nähert. Immerhin steht Greve in direkter Konkurrenz zu Cashs Autobiografien und zum formidablen Buch "The Beast in Me" von Franz Dobler (gerade bei Heyne neu aufgelegt), das sich allerdings häufiger in wertende und analytische Gefilde vorwagt.


    Vorleser des Textes ist Peter Lohmeyer, ebenfalls ein Cash-Fan und zuletzt durch seine Heimkehrer-Rolle in Sönke Wortmanns Fußballfilm "Das Wunder von Bern" zu höchstem Kinostar-Ruhm gelangt. Lohmeyer ist nicht die Optimalbesetzung: Seine Stimme klingt ein wenig blasiert und leicht geringschätzig, als wollte er jene Coolness simulieren, die bei Johnny Cash generell vermutet wird.


    Kampf mit Drogen und Straußenvögeln


    Man kann sich an diesen distanziert näselnden Tonfall allerdings gewöhnen, zumal die Erzählung in unregelmäßigen Abständen durch charakteristische Cash-Songs unterbrochen wird, die in einem mal engeren, mal weiter gefassten Zusammenhang zur Handlung der Biografie stehen. Ganz nebenbei belegen die textlich anspruchsvollen, musikalisch schlichten Songs, dass Johnny Cash in vieler Hinsicht eher ein Folksänger als ein klassischer Countrymusiker war.


    Seine Stücke über die Eisenbahnen, über die Indianer, über die Geschichte der Armen in Nordamerika, oft unterlegt von einer archaischen Religiosität, passen kaum ins Nashville-Klischee einer glatten, reaktionären Angepasstheit, das noch heute einen großen Teil des Country-Business in den USA bestimmt. Leider kommen die letzten Lebensjahre Cashs ein wenig zu kurz, dafür wird Anekdotisches wie Cashs Kampf mit einem brutalen Straußenvogel oder seine in Mullverbänden versteckten Drogensammlungen erwähnt.


    Der größte Teil der Songs stammt, bedingt durch das Repertoire von Bear Family, aus den frühen Tagen von Cashs Karriere. Gerade hier hätte man sich allerdings noch ein paar diskografische Angaben gewünscht: Weder Aufnahmedatum noch Besetzung oder das dazugehörige Album sind vermerkt - merkwürdig, wo man bei Bear Family sonst so akkurat in editorischen Dingen verfährt. Ebenso fehlen eine wenigstens kurze Vorstellung von Autorin und Sprecher. Sehr schön hingegen die Fotostrecke im Booklet sowie der knappe, exzellente Nachruf von Wiglaf Droste. In ihm klingt ehrlich empfundene Trauer an - ein Nachhall jenes Sounds, für den man den "Man in Black" auf immer lieben wird.


    Quelle: www.spiegel.de