Die vielen Gesichter des Phileas Fogg oder Foggs amerikanische Bürgerkriegsabenteuer im Film

  • Bedenkt man, dass der Protagonist
    des Romans „In 80 Tagen um die Welt“ (1873) an keiner
    Bürgerkriegsauseinandersetzung teilnimmt – außer man wertet den Angriff durch
    amerikanische Ureinwohner auf Foggs Zug als solchen - überrascht es doch, dass
    er in Film und Fernsehen überhaupt Partei ergreift und dann sogar noch einerseits
    für den Süden als Bösewicht und andererseits als Held für den Norden. Zwischen
    diesen beiden Interpretationen der Figur im Medium Film liegen ca. 90 Jahre. Vor
    der Analyse beider Filmadaptionen stellt sich die Frage, wie eine solche
    Bandbreite der Interpretation überhaupt möglich ist, da deren beide Pole die
    Extreme der stereotypen Charakterisierung einer fiktiven Figur darstellen. Die
    Antwort liegt auf der Hand: Der Mangel an Charakterisierung in Vernes Roman
    bietet genug Leerstellen, um mannigfaltige Interpretationen dieser Figur
    zuzulassen.



    Bezüglich seiner Funktion im
    Roman, stellt man schnell fest, dass Fogg zwar die Handlung motiviert und als
    MacGuffin – wie Hitchcock einen für sich genommen bedeutungslosen, aber die
    Handlung auslösenden Gegenstand oder Person bezeichnet – funktioniert, der
    Handelnde ist jedoch Passepartout.



    Setzt man dies grundsätzlich voraus,
    kann man nach Quellen in Vernes Werk suchen, in dessen Handlung Foggs neu
    konstruierte Persönlichkeit eingefügt worden ist. Den amerikanischen Bürgerkrieg
    als Hintergrundhandlung – mehr ist es nicht – könnte vor allem der 1887
    erschienene Roman „Nord gegen Süd“ geliefert haben. Darüber hinaus kommt die
    Erzählung „Die Blockadebrecher“ (1871) natürlich ebenso in Betracht.



    Da beide untersuchten Filmbeispiele
    einen Konflikt zwischen dem Helden und seiner Nemesis zum Kern haben, weist
    „Nord gegen Süd“ eine Handlungsstruktur auf, die einen besseren Rahmen für
    einen solchen Konflikt zu bieten scheint. James Burbank steht in diesem Roman
    als politisch korrekter Held der Sache der Nordstaaten nahe und im Zentrum der
    Handlung. Sein Gegenspieler ist der Sklavenjäger Texar. Dieser Antagonismus
    zwischen Held und Sklavenjäger ist in den „Voyages Extraordinaires“ seit „Fünf
    Wochen im Ballon“ (1863) grundgelegt. Weiterhin gibt es als Handlungselemente
    die Entführung einer dem Helden nahe stehenden Person (seiner Tochter) und
    deren Befreiung aus einem für den Helden nur schwer zugänglichen Versteck.



    Im Folgenden wird untersucht, ob
    diese Elemente und Figurenkonstellationen in den Filmbeispielen nachgewiesen
    werden können und so ein intertextueller Bezug in den Drehbuchfassungen
    zwischen "Nord gegen Süd" und Phileas Fogg aus "Die Reise um die Erde in 80 Tagen"
    (1873) hergestellt werden kann. Zunächst wird die ältere der beiden filmischen
    Umsetzungen hinsichtlich der Untersuchungsmerkmale vorgestellt.



    Schon die Auswahl einer
    literarischen Parodie auf das ursprüngliche Romanuniversum aus dem die Figur
    des Phileas Fogg stammt, als Grundlage für die Filmadaption zu nehmen, zeigt
    die Distanz, eine natürlich auch gewollte ironische Distanz zur Figur, die
    durch die Übertragung in das Medium Film noch verstärkt wird. Schließlich wird
    der Rezipient durch die Wahrnehmung zweidimensionaler, bewegter Bilder noch
    stärker in die Rolle des passiven Beobachters gedrängt, der er ja schon bei der
    Romanlektüre ist. Wünsche, Absichten und Neigungen der Figuren werden lediglich
    durch Mimik, Gestik, Zwischentitel und Musik vermittelt. Das gesprochene Wort
    war in der Kinoversion von Albert Robidas 1879 erschienenen "Voyages très extraordinaires de Saturnin Farandoul (dans les 5 ou 6
    parties du monde et dans tous les pays connus et même inconnus de M. Jules Verne" noch nicht Bestandteil des Mediums
    Film.



    Die italienische Stummfilmumsetzung
    des Romans von 1913 als frühes Kinoserial ist leider nur noch als ca.
    77-minütiges Fragment erhalten. Dieses wurde dankenswerterweise von Serge
    Bromberg für Lobster Film restauriert und von dem deutsch-französischen
    Gemeinschaftssender Arte auch der deutschen Öffentlichkeit zur Verfügung
    gestellt.



    Der Teil des Fragments, der sich
    mit der Figur des Phileas Fogg beschäftigt, trägt sowohl dessen Namen im Titel
    als auch einen deutlichen Hinweis darauf, welcher Travestie die Figur
    unterzogen worden ist: „Der Verrat des Phileas Fogg“. Im Original - „Il
    tradimento di Fileas-Fogg“ - könnten Puristen jetzt einwenden, zeige die
    abweichende Schreibung, dass es keine eindeutige Zuordnung zum ursprünglichen
    Fogg gebe. Dem kann man jedoch getrost auf der Grundlage des Titels der
    Romanvorlage widersprechen, die sich ja explizit auf die Welt Vernes bezieht.
    Gleiches gilt für den Reihentitel – wenn man sich die Urform des Films als
    Serial ins Gedächtnis ruft.



    „Die außergewöhnlichen Abenteuer
    des Saturnino Farandola“ enthält neben dem Fokus auf den Namen eines Helden,
    wie von Verne oft verwendet, sowohl das Attribut "außergewöhnlich" wie
    Vernes Buchreihe als auch das Substantiv
    "Abenteuer", das sich immer wieder in Verne-Titeln findet. Der
    Plural, in dem "Abenteuer" steht, spiegelt das Additive wider, d.h.
    dass dieser Held in mehreren und auf unterschiedlichen Geschichten beruhenden
    Abenteuern auftritt.



    Entscheidend für den Nachweis von
    intertextuellen Zusammenhängen ist sicherlich das Vorhandensein der oben
    genannten Merkmale, die aus dem Plot des Romans "Nord gegen Süd"
    extrahiert worden sind.



    Der eigentliche Held in „Der
    Verrat des Phileas Fogg“ ist Saturnino Farandola, der wie andere Helden des
    Abenteuergenres von Tieren der Wildnis aufgezogen worden ist. Der holzschnittartig
    gezeichnete Charakter der von Marcel Fabre gespielten Titelfigur verkörpert den
    Typus des Abenteurers schlechthin, den des so genannten Swashbucklers, der
    Abenteuer um ihrer selbst willen erlebt und dabei stets der Gefahr ins Gesicht
    lacht.



    Mehr oder weniger aus Langeweile
    mischt sich dieser in einen inneramerikanischen Konflikt zwischen den Fantasiestaaten
    Süd- und Nord-Milligan, in deren Streit um die Niagarafällen er geraten ist. Abweichend
    von der Romanvorlage wird hier also kein historischer Konflikt als Handlungshintergrund
    gewählt, sondern ein Operettenszenario, das regional in der Nähe des historischen
    Konflikts zu verorten ist, da sich zumindest die Niagarafälle auf nordamerikanischem
    Gebiet befinden.



    Als Mysora, Saturninos Ehefrau,
    in die Hände Phileas Foggs gerät, muss der Titelheld sie aus dessen schwer zu
    erreichenden Versteck befreien. Dieses Versteck befindet sich interessanterweise
    in der Luft, in einem Heißluftballon. Interessant ist das deshalb, weil auch
    das zweite filmische Finale von Foggs Bürgerkriegserlebnisse 90 Jahre später
    mit einem Luftkampf endet.



    Der geschlagene Phileas Fogg, ein
    Bilderbuchschurke mit dunklem Bart, stürzt zu Tode. Eine Charakterisierung der
    Figur jenseits seiner Gier und des Umstands, dass er die Frau des Helden begehrt
    ("Der Pilot von der Donau" lässt grüßen), findet nicht statt, aber
    was lässt sich im Gegenzug über den Charakter der Romanfigur groß sagen?



    (wird fortgesetzt)




    http://de.wikipedia.org/wiki/Die_au%C3%9Fergew%C3%B6hnlichen_Abenteuer_des_Saturnino_Farandola



    http://fr.wikipedia.org/wiki/Le_Tour_du_monde_en_quatre-vingts_jours



    http://www.j-verne.de/verne38.html