Ein Oberdeck für das Tram

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    Ein Oberdeck ist kein Thema mehr: Aktuelle Cobra-Trams in Zürich. Bild: Walter Bieri/Keystone
    Von Walter Jäggi
    Redaktor Wissen
    02.02.2015


    Die Bahn hat den Doppelstöcker seinerzeit dem Tram abgeschaut, zwischendurch vergessen und später neu entdeckt. Zu Beginn war das Tram mit Oberdeck, Imperiale genannt, der Normalfall. In Zürich wurde diese Lösung abgelehnt.


    Als sich «die Frage der Herstellung sogenannter Tramways in den Vordergrund drängte», liessen die Zürcher Behörden einen Fachbericht erstellen. Er wurde 1878 abgeliefert, Autoren waren Stadtingenieur Arnold Bürkli (dem Zürich auch die Quaianlagen verdankt) und der Industriepionier Peter Emil Huber (dem Zürich auch die Uetlibergbahn verdankt). Sie hatten Informationen zu Dutzenden von Trams auf der ganzen Welt gesammelt. Ihre Erkenntnis: «Die meisten Gesellschaften fangen zwar gewöhnlich mit zweistöckigen Wagen an, um dieselben nach gemachter Erfahrung wieder abzuschaffen.»


    Das galt nicht in England. In London etwa gehörten zweistöckige Trams bis zum Zweiten Weltkrieg zum Strassenbild. Dann wurden sie alle von Trolleybussen und schliesslich von Autobussen abgelöst, ebenfalls Doppeldeckern. Die Londoner Busse der neuesten Generation haben Hybridantrieb und ebenfalls ein Oberdeck. In der Schweiz gab es vor der Eröffnung des Flughafenbahnhofs den zweistöckigen Swissair-Bus, heute verkehren auf einigen wichtigen Linien zweistöckige Postautos, im Übrigen sind nur Reisecars doppelstöckig.


    Tramboom ohne Oberdeck


    London will heute die lange geschmähten Trams wieder fördern, überlebt hat allerdings nur eine einzige Linie. In Frankreich herrscht seit den 1980er-Jahren ein richtiger Tramboom. Paris hat bereits wieder sieben Linien. Selbst die Kleinstadt Aubagne in der Provence hat im Herbst 2014 ihr Tram eröffnet, die Linie misst keine drei Kilometer, für alle Passagiere gilt der Nulltarif.


    Zweistöckig sind die neuen Trams nicht. Nur in Hongkong und auf ein paar Museumsstrecken hat das System überlebt. Die Verkehrsbetriebe von Stockholm, die das ausgedünnte Tramnetz wiederbeleben möchten, haben einen Designwettbewerb durchgeführt, der immerhin den Entwurf eines modernen Doppelstocktrams ergab. Vom Oberdeck aus könnten direkt die ersten Etagen von Geschäftshäusern erreicht werden.


    Die Experten Bürkli und Huber sahen 1878 richtig voraus, «dass in nicht zu ferner Zeit der Maschinenbetrieb den Pferdebetrieb ganz verdrängen werde». Ihre ausführlichen Studien der zahlreichen Systeme ergaben, dass die Technik noch nicht ausgereift sei. Zürich begann dann gemäss ihrer Empfehlung mit dem einstöckigen Rösslitram. In dem Bericht wurde ausgerechnet, was ein Pferd kostet, wie viele Kilometer es pro Tag arbeiten könne, wie alt es beim Tram werde. Auch hier griffen die Autoren auf die Erfahrungen im Ausland zurück. Der öffentliche Verkehr in London stützte sich auf 50 000 Pferde, die täglich 1000 Tonnen Mist produzierten.


    Nicht erfüllt wurde eine Anforderung an das Zürcher Tram, welche die beiden Ingenieure als zentral hervorhoben: Das System, «der Tramway» genannt, sollte keine Haltestellen haben, Ein- und Aussteigen müsse jederzeit möglich sein. Der Tramway nach amerikanischer Art sei «gewissermassen nur ein verbessertes Trottoir für den in seiner Richtung sich bewegenden Personenverkehr». Die Fahrzeuge sollten deshalb ein leichtes Auf- und Absteigen erlauben.


    Dass das motorisierte Tram in Europa Fuss fasste, war schliesslich dem vielgereisten US-Unternehmer George Francis Train zu verdanken. Seine Geschichte kennt man, sie diente Jules Verne als Vorlage für die «Reise um die Erde in 80 Tagen». (Tages-Anzeiger)


    Quelle: http://www.tagesanzeiger.ch/wi…r-das-Tram/story/30335039