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Am Anfang war die Musikmaschine
Die Arbeit zu dieser Produktion begann mit einer von uns so genannten „Musikmaschine“. Sie besteht zum Teil aus Instrumenten, die für zurückliegende Vorstellungen gebaut und entwickelt wurden. Kreativität, Neugier und Spaß am Experimentieren trieben Taison Heiß und Greulix Schrank an, immer neue mechanische und elektronische Klang- und Noise-Körper zu erfinden und zu bauen. So entstand aus Laserharfe, Magnetstössel-Klavier, Kreiselpumpen-Glockenspiel, Ballasttank-Trommeln, Orchestrophon, Linearmotoren-Luftorgel, Helmholtz-Induktionsklöppel, Lichtring-Relais, Pauken-Pneumatik, Kraftkreis-Vibraphon, Energie-Klangschalen und anderen verrückten Gegenständen und Gerätschaften die so genannte „Musikmaschine“.
Als diese bereits imposante Dimensionen angenommen hatte, haben wir uns auf die Suche nach einer Geschichte gemacht, in der dieses Wunderding mitspielen konnte. Das hieß, die gesuchte Story musste mit dem Forschergeist der beiden Maschinenerfinder zu tun haben, fantastisch und spannend sein und zugleich ein Potential enthalten für essentielle Fragen, die uns heute beschäftigen sollten. So kamen wir auf „20.000 Meilen unter den Meeren“ von Jules Verne. Und die Musikmaschine bekam die Rolle des berühmten U-Boots „Nautilus“.
Reise in die Tiefen der Meere
Die phantastische Reise in die Tiefen des Pazifiks entführt zwei Meeresspezialisten in Unterwasser-Welten, die ihren bisherigen Vorstellungshorizont bei Weitem übertreffen. Der französische Wissenschaftler Professor Pierre Arronax ist Autor eines berühmten Fachbuches über „Die Geheimnisse der Meerestiefen“, der Kanadier Ned Land gilt als einer der renommiertesten Harpuniere seiner Zeit. Beide haben den Auftrag, ein geheimnisvolles Seeungeheuer zu jagen, das für mehrere Schiffsunfälle verantwortlich gemacht wird. Unter der Führung von Kapitän Farragut stechen die Forscher in See. Überraschend kommt es zur Kollision zwischen ihrem Forschungsschiff und dem unbekannten Schwimm-Körper. Arronax, Ned Land und ein Schiffsjunge gehen über Bord und können sich nur mit letzter Kraft auf das phosphoreszierende Objekt aus verbolzten Stahlplatten retten, bei dem es sich keineswegs um ein Seeungeheuer handelt, sondern um das U-Boot „Nautilus“. Die Schiffbrüchigen werden von dem genialen und zugleich düsteren Kapitän namens Nemo (im Lateinischen „Niemand“) aufgenommen.
Dieser lebt schon sehr lange abgekapselt von der Welt in diesem U-Boot wie in einem eigenen Kosmos, von dem kein Mensch erfahren soll. Aus Verbitterung und Enttäuschung hatte Nemo sich dorthin zurückgezogen. Freiheitsliebend, gebildet und exzentrisch zugleich existiert er in seiner eigenen Welt völlig autark, besitzt eine großartige Bibliothek, ernährt sich ausschließlich aus dem Meer und gewinnt aus dem Wasser die nötige Energie für die „Nautilus“. Niemandem ist er Rechenschaft schuldig, und damit sich das nicht ändert, werden die drei Schiffbrüchigen zwar gerettet, dürfen aber nie mehr zurück auf die Erde.
Professor Arronax leidet kaum unter der Gefangenschaft. Auf der „Nautilus“ kann er als abenteuerlustiger Feldforscher seine Wissenschaft ausgiebig vorantreiben. Die Arbeitsbedingungen an Bord sind großartig, und Kapitän Nemo ist ein spannender Kollege. Da er nichts entbehrt, fühlt er sich schnell wohl. Im Gegensatz zu Ned Land, den die Vorstellung, ein Gefangener von Nemo zu sein, zunehmend umtreibt. Bald schmiedet er Fluchtpläne, die alle ohne die Mithilfe von Arronax unrealistisch bleiben.
Zunächst ist Nemo den Gästen gegenüber sehr aufgeschlossen. Er lädt sie ein zu einem Unterwasser-Spaziergang auf der Insel Crespo, wo Ned Land erst einen Schatz entdeckt und dann durch einen Hai in Lebensgefahr gerät. Das bleibt nicht das einzige gefährliche Abenteuer, das es zu bestehen gilt. In der Torresstraße laufen sie auf ein Korallenriff auf und drohen zu sinken. Schon wieder Lebensgefahr. Bei einem Landgang muss sich Ned Land vor Kannibalen retten. Und noch immer ist die Reise nicht zu Ende: Sie durchqueren den so genannten Arabischen Tunnel, erleben einen Unterwasser-Vulkan-Ausbruch und müssen gegen eine Riesenkrake kämpfen, wobei es wieder um Leben und Tod geht. Nemo ist nicht zu stoppen. Am Südpol bleiben sie im ewigen Eis gefangen, was zu Druckabfall und Sauerstoffmangel an Bord der“ Nautilus“ führt. Die Nerven liegen blank ...
Nemos Tragik
Kapitän Nemo umgibt ein unergründliches Geheimnis. Hinter der Fassade eines genialen und gebildeten Wissenschaftlers und Konstrukteurs verbirgt sich etwas Unergründliches, Finsteres. Er besitzt an Bord eine großartige Bibliothek und spielt Orgel. Und gleichzeitig bedeutet sein Leben auf der „Nautilus“ den kompletten Rückzug aus der Gesellschaft. Offenbar wurde sein Gerechtigkeitsempfinden in der Vergangenheit so stark verletzt, dass seine Talente ausschließlich Rache- und Hassgefühle entwickeln können. Empathie ist ihm fremd. Als er wegen eines Defekts in seiner Tauchausrüstung vom Erstickungstod bedroht ist und Ned Land seine Sauerstoffreserve mit ihm teilt, kann er diese Rettungsmaßnahme kaum ertragen. Uneigennütziges und verantwortungsvolles Handeln kann er nicht anerkennen. Sein Leben basiert einzig auf der Suche nach der hundertprozentigen Perfektion. Diese Vollkommenheit kann der Mensch niemals bieten und die Forderung danach ist unmenschlich. Das ist die Tragik von Kapitän Nemo.
Phantasie und Realität
Die submarine Reise von Kapitän Nemo und seinen Gästen durch die Tiefen der Ozeane kann man ziemlich gut auf einer Landkarte nachvollziehen und gleichzeitig erkennen, wo sich der Autor irrte. Bei dem Arabischen Tunnel soll es sich um einen natürlichen unterirdischen Kanal zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer handeln, den die „Nautilus“ in zwanzig Minuten durchfahren kann. Einen solchen Kanal gibt es nicht. Allerdings war der Wunsch nach einer schnellen Verbindung zwischen dem Roten und dem Mittelmeer in der Entstehungszeit des Buches (1869/1870) hoch aktuell, denn in dieser Zeit wurde der Suez-Kanal gebaut, wirtschaftlich, verkehrstechnisch und politisch ein Jahrhundertbauwerk (1859 – 1869).
Ein ähnliches Phänomen betrifft die Reise zum Südpol. Die Antarktis war zu Lebzeiten des Autors bekannt, allerdings wusste man noch nicht, dass es sich um einen Kontinent handelt. Sonst hätte Jules Verne die „Nautilus“ sicher nicht unter einer Eisbarriere bis zum Südpol gelotst. (Der geographische Pol wurde erst 1911 von dem norwegischen Forscher Roald Amundsen erreicht.)
Dies sind nur zwei Beispiele, die sichtbar machen, wie sehr Jules Verne ein Kind seiner Zeit war, einer Zeit, in der Wissenschaft und Forschung rasante Fortschritte machten und viele Erfindungen das tägliche Leben der Menschen erleichterten. Technischer Pioniergeist und unbändiger Fortschrittsglaube prägten die Zeit. Das führte zu sprudelnden Zukunftsphantasien in den Köpfen vieler Zeitgenossen, deren kreativster Vertreter Jules Verne war.
So wurde die Nutzung der Elektrizität auf der Weltausstellung von 1851 zum ersten Mal vorgestellt. Verne war davon sehr fasziniert, sowohl im positiven wie im negativen Sinn. Er bezeichnete sie einmal gleichzeitig als die „gute Fee“ und als „Dämon“. Die „gute Fee“ war in seinen Augen etwa die Straßenbeleuchtung, der „Dämon“ war in seinen Augen die Erfindung des elektrischen Stuhls. Diese Dualität verarbeitete er in seinem Roman. Ohne Elektrizität, die aus dem Meer gewonnen und in riesigen Akkumulatoren gespeichert wird, wäre das Leben von Nemo in der „Nautilus“ gar nicht möglich. Wenn aber Nemo veranlasst, dass der Einstiegsbereich zum U-Boot unter Strom steht, damit niemand das Boot betreten oder verlassen kann, dann kann man eher an die dämonische Seite der Elektrizität denken.