Freilichttheater „In 80 Tagen um die Welt“ auf Kirchplatz

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    Rot, grün, blau: Die Lichtführung in der Opiumhöhle unterstreicht die innere Distanz zwischen Passepartout (Christian Auerswald, links) und Kommissar Fix (Michael Willmutz). Kleines Bild: Mit Mühe hält der Gerichtsdiener (Manfred Eberhard) die wütenden Brahmanen (Erik Schmekel, Matthias Ott) zurück. - Fotos: Wolf


    Nieder-Roden - Wie transportiert man eine Romanhandlung von 1873 in das 21. Jahrhundert? Die Theatergruppe Großes Welttheater zeigt, wie das funktionieren kann. „In 80 Tagen um die Welt“ nach dem Buch von Jules Verne ist noch bis zum Mittwoch an der Kirche St. Matthias zu erleben. Die Premiere erhielt reichlich Applaus. Von Ekkehard Wolf


    „Lasst das Spiel beginnen“: Nach der traditionellen Einleitung entfaltet sich der Bilderbogen einer abenteuerlichen Reise, bei der Geld keine Rolle spielt - aber die Zeit umso mehr. Die tickende Uhr treibt die Handlung voran. Jede Sekunde ist verplant, Trödeln ist verboten. Die Zuschauer erleben knapp drei Stunden Freilichttheater, die sich wie eineinhalb Stunden anfühlen. Das Premierenpublikum geizte nicht mit Szenenapplaus. Die Welttheatergruppe bietet Volkstheater im besten Sinn: von der Bevölkerung für die Bevölkerung. Die Zuschauer können Nachbarn und Bekannte in ungewohnten Rollen erleben. Vor Beginn und in der Pause mischen sich die Schauspieler unter das Publikum. Bei 60 Rollen, einem Dutzend Tänzerinnen und etlichen Statisten ist die Wahrscheinlichkeit groß, bekannte Gesichter zu entdecken.


    Ein Markenzeichen des ambitionierten Ensembles: Selbst die kleinste Nebenrolle lebt. Niemand steht untätig herum, überall gibt es etwas zu sehen. Das eröffnet Raum zur Improvisation, etwa wenn plötzlich ein Stuhl auf der Bühne zusammenbricht. Zehn Monate Vorbereitung zahlen sich aus. Ob indische Bramahnen, Zeitungsboys in London oder eine Bisonherde im Wilden Westen: Jeder Einzelne lebt seine Rolle voll aus. Und die Zuschauer sitzen nahe genug, um jedem Schauspieler ins Gesicht sehen zu können. Nach 20 Jahren verfügt das Ensemble über einen großen Fundus an erfahrenen Akteuren. Davon kann die Inszenierung nur profitieren. In vielen Kurzauftritten gibt es ein Wiedersehen mit alten Hasen, die in früheren Stücken tragende Rollen spielten.


    Drei der vier Hauptrollen sind mit Geschwistern besetzt. Thomas Auerswald verkörpert den unterkühlten Kopfmenschen, der sich erst spät Gefühle erlaubt. Simone Maier stellt sensibel ein breites Spektrum an Emotionen dar. Christian Auerswald als frankophoner Kammerdiener füllt mit unbändiger Spielfreude die wohl dankbarste Rolle des Stücks in allen Schattierungen aus. Michael Willmutz ist ebenfalls ein bekannter Akteur auf der Welttheaterbühne. Nachdem er zweimal den Bösewicht spielte, changiert er nun als übereifriger Polizist zwischen Selbstüberschätzung, Realitätsverlust und Verschlagenheit. Am Ende ist er ein unglücklicher Held.


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    Eine wichtige Rolle für den Zusammenhalt des Stücks spielen zwei Reiseleiterinnen, dargestellt von Andrea Meier und Christa Teutsch. Sie verbinden gestern und heute. Dabei verkörpern sie unterschiedliche Charaktere: die eine sachlich-kompetent, die andere unkompliziert und etwas unzuverlässig. Ein zweiköpfiges Regieteam hat „In 80 Tagen um die Welt“ in Szene gesetzt. Christa Wolf konzentrierte sich auf die Sprechrollen, Erik Schmekel inszenierte die Massenszenen. Einen bejubelten Gastauftritt haben die Tanzgruppen „Reset“ und „Prisma“ der SG Nieder-Roden.


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    Die häufigen Szenenwechsel fordern auch den Kulissenschiebern viel ab. Obwohl das Bühnenbild auf den ersten Blick wenig optische Reize bietet, erweist es sich als ungemein variabel. Im Handumdrehen wird ein Zug zum Schiff und umgekehrt. Wo eben noch der feine Londoner Reformclub tagte, befindet sich später eine chinesische Opiumhöhle.


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    Die niedrige Bühne bringt das Publikum nahe ans Geschehen. Wenn die Zuschauer der ersten Reihe ihre Beine zu weit ausstrecken, müssen die Schauspieler aufpassen, dass sie nicht stolpern. Den Unterbau der Bühne und der Zuschauertribüne bilden übrigens 560 Europaletten. Der Theaterverein hat die hölzernen Paletten nicht gekauft, sondern geliehen. Bald werden sie mit Frachtgut bepackt und verschickt - vielleicht sogar in 80 Tagen um die Welt.


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    Quelle: https://www.op-online.de/regio…nieder-roden-6695867.html