Wetzlar: Aus Fantasie wird Realität

  • 11.10.2016
    Benjamin Wagener


    Die Phantastische Bibliothek nutzt Science-Fiction für die Vorhersage der Zukunft


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    Thomas le Blanc ist Herr der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar. Nach Science-Fiction sieht es hier aber nicht aus. F.A.Z.-Foto Helmut Fricke


    Wetzlar
    Das Haus, das Michael J. Fox alias Marty McFly im Film „Zurück in die Zukunft II“ betritt, könnte ein Joint Venture aus Microsoft und Bosch geplant haben. Die Fenster und Türen, die Heizungen und Lichter in der für den Protagonisten so fernen Zukunft sind alle digital vernetzt, gesteuert allein durch die Fingerabdrücke des Filmhelden. Marty McFly nutzt ein System für Videotelefonie, das Skype kaum besser hinbekommen hätte. Und für die Idee der Datenbrille, die ihrem Träger Informationen vor das Auge projiziert, müssten die Filmemacher eigentlich Lizenzgebühren von Google fordern: Google Glass unterscheidet sich nur äußerlich von dem fürs Kino erfundenen Apparat.


    Ersonnen hat all diese Techniken, die ohne die digitale Verarbeitung von Daten nicht denkbar wären, der amerikanische Regisseur und Drehbuchautor Robert Zemeckis vor fast 30 Jahren. „Zurück in die Zukunft II“ kam 1989 in die Kinos – zu einer Zeit, als Telefone noch analog und mit Wählscheibe funktionierten und Sekretärinnen monochrome Monitore benutzten, die nur eine einzige Farbe darstellen konnten.


    Autoren kommen der Realität erstaunlich nahe


    Auch wenn Zemeckis in anderen Dingen völlig falsch lag – nach wie vor gibt es keine schwebenden Skateboards, Autos klappen ihre Räder weiterhin nicht ein, um durch die Luft zu fliegen, und Turnschuhe, die ihre Laschen von allein schließen, sind noch immer ein Traum – bewies der damals 37-Jährige doch erstaunlich prophetische Fähigkeiten. Für eine Komödie mit Science-Fiction-Elementen nahm er digitale Techniken vorweg, die heute Standard sind oder vor dem Durchbruch stehen.


    Robert Zemeckis steht nicht alleine da. Immer wieder haben Drehbuchautoren und Schriftsteller in ihren Werken über die Zukunft und die Techniken nachgedacht, die das Leben der nachfolgenden Generationen bestimmen können. Und immer wieder sind sie der Realität erstaunlich nahegekommen.


    Hinweise auf die Zukunft


    Die Phantastische Bibliothek im mittelhessischen Wetzlar – in ganz Europa die einzige Einrichtung, die die in deutscher Sprache erscheinende Science-Fiction- und Fantasy-Literatur komplett sammelt – macht sich dieses Prinzip zunutze: Ihr Leiter Thomas Le Blanc durchsucht die fantastischen Werke systematisch nach Hinweisen auf die Zukunft der Menschheit. Dabei ist eines klar: Die Digitalisierung und die digitale Verarbeitung von Daten bestimmen seit den 1950er-Jahren die Gedankenwelt der Science-Fiction-Autoren.


    Wer in Wetzlar die Zukunft sucht, betritt allerdings erst mal eine Villa der Gründerzeit. Seit einigen Jahren im früheren Staatsbauamt untergebracht, prägen dunkles Holz, knarzende Treppen und viele kleine Räume mit hohen, schlanken Holzregalen die Bibliothek am Rande der Altstadt der 50000-Einwohner-Stadt. In dem fünfgeschossigen Haus befindet sich die „weltweit größte öffentlich zugängliche Sammlung fantastischer Literatur“ – und dazu zählt der Leiter und Gründer Thomas Le Blanc die Genres Science-Fiction, Utopie, Fantasy, Horror, Fantastik, Märchen, Sagen und Mythen sowie Reise- und Abenteuerliteratur. „Wir sammeln alles, in dem etwas drin ist, was nicht realistisch ist“, sagt Le Blanc.


    Kunden holen sich Rat bei der Phantastischen Bibliothek


    Oder noch nicht realistisch: Denn in der Science-Fiction gibt es unzählige Beispiele von von Schriftstellern ersonnenen Gedanken, die zum Zeitpunkt der Niederschrift utopisch gewesen, Jahre später aber Grundlage für neue Techniken geworden sind. Deshalb sammelt Thomas Le Blanc mit seinem Team nicht nur Zukunftsliteratur, sondern wertet sie aus, speichert und ordnet die gefundenen Informationen in Datenbanken nach verschiedenen Themengebieten. „Wir greifen auf die gesammelte Intelligenz der weltweiten Science-Fiction-Autoren zurück, um so die Beschreibung der möglichen Zukunft zu entwickeln“, sagt Le Blanc.


    „Future Life“ nennt der 65-Jährige sein Projekt, mittlerweile berät der gebürtige Wetzlaer Dax-Konzerne und Ministerien genauso wie kleine Mittelständler und Start-ups. Vor allem Unternehmen aus der Automobil-, Chemie- und Medizinindustrie, aber auch Banken, Versicherungen, Energiekonzerne und Kommunikationsfirmen gehören zu den Kunden der Phantastischen Bibliothek.

  • Detaillierte Zukunftskonzepte


    Interessant ist für die Unternehmen dabei nicht nur die Idee und die Technik der Zukunft an sich, sondern vor allem auch der Umgang des Menschen mit ihr. „Wenn Science-Fiction-Autoren ihren Beruf wirklich ernst nehmen, sind sie keine PR-Manager der neuen Technologien“, erläutert Le Blanc. „Sondern sie machen sich Gedanken, wie Menschen mit neuen Maschinen umgehen, was passiert, wenn Techniken versagen oder die neuen Geräte missbraucht werden.“ Die literarischen Texte erhalten auf diese Weise ihre Spannung, für die Auswertung bei „Future Life“ ergeben sich so Anregungen, was in den Forschungsabteilungen und Zukunftslaboratorien der Unternehmen noch bedacht werden muss.


    Mit seinen Mitarbeitern erstellt Le Blanc so aus Tausenden von literarischen Texten detaillierte, branchenspezifische Zukunftskonzepte – alle basierend auf den Ideen der Science-Fiction-Autoren. „Was ich beschreibe, ist aber nicht nur die Technologie, sondern auch die damit einhergehende Veränderung in der Gesellschaft“, erzählt der Bibliothekschef. Tauche eine Idee bei mehreren Autoren auf, sei sie wahrscheinlicher als abseitige Einfälle, die nur einzelne Schriftsteller in ihren Romanen verwendet haben.


    Szenarien für die Autoindustrie


    Dabei ist eine Sache klar: Die Literatur ist ein Spiegel der Realität – und nirgendwo ist das offensichtlicher als bei der Revolution der Digitalisierung, die seit der Jahrtausendwende alle Bereiche der modernen Gesellschaft von Grund auf verändert. Auch in den Geschichten der weltweiten Gemeinde der Science-Fiction-Autoren ist die Zukunft digital – und zwar seit mehr als 50 Jahren. „Im sogenannten Goldenen Zeitalter der Zukunftsliteratur in den 1940er- und 50er-Jahren in den USA waren die beschriebenen Rechenmaschinen noch riesige Geräte, die in Kellern und Lagerhallen standen – und mit kilometerlangen Lochkartenstreifen bedient wurden“, erklärt Le Blanc. Die große Wende vollzog sich in den 1960er-Jahren mit der von Gene Roddenberry erdachten amerikanischen Fernsehserie „Raumschiff Enterprise“. „Von da an entwickelten die Autoren die Vorstellung von riesigen digitalen Datenmengen, die in viel größerem Rahmen gespeichert und mit verschiedenen Geräten vernetzt werden konnten“, sagt Le Blanc. Eben die Vorstellung, die nun die weltweite technologische Entwicklung bestimmt.


    Viele dieser Ideen, die Schriftsteller aus der ganzen Welt seit den Tagen ersonnen haben, als das Raumschiff Enterprise erstmals aufbrach, um „neue Welten zu erforschen, neues Leben und neue Zivilisationen“, sind in exakt den Datenbanken der Phantastischen Bibliothek verzeichnet – geordnet nach Kategorien wie Mobilität, Wohnen, Energieversorgung, Gesundheit, Nahrung oder Arbeitswelt.


    Auf Grundlage der Daten hat Thomas Le Blanc zum Beispiel Szenarien für die Autoindustrie zum Thema Mobilität der Zukunft erarbeitet. Zu den Kunden gehört auch der drittgrößte Autozulieferer der Welt, ZF. Der Konzern aus Friedrichshafen am Bodensee hat für die Eröffnung seiner neuen Zentrale eine Präsentation über das Auto der nächsten Jahrzehnte bei Thomas Le Blanc bestellt. Die Automobilindustrie stelle aber auch die grundsätzliche Frage, ob es das Auto in der heutigen Form künftig überhaupt noch gibt. „Ich sage dann ja“, erzählt der Zukunftsforscher. „Aber es wird uns nicht mehr gehören: Roboterautos im Besitz von Carsharing-Firmen werden uns am Morgen abholen und abends wieder nach Hause bringen.“ Für die Industrie bedeute das, dass sie völlig neue Produkte entwickeln muss: Das Auto wird kein Statussymbol mehr sein, es braucht dann nicht mehr groß und schön zu sein, sondern nur noch sicher und praktisch.


    Das Haus der Zukunft


    Vor zwei Jahren bot die Phantastische Bibliothek für einen mittelständischen Bauunternehmer, der mehrere kleinere Handwerksfirmen übernommen hatte, eine Weiterbildung an, um die Mitarbeiter sensibel für die Trends des vernetzten Hauses zu machen. „Der Chef wollte von mir eine Vision, wie die Menschen in 30 Jahren leben werden“, erklärte Le Blanc. Und der Institutschef begann mit dem Handwerker zu arbeiten, indem er die literarischen Visionen mit der Wirklichkeit abglich. „Es ging um die Türen, die sich mit Augenabgleich und Fingerabdrücken und nur bei autorisierten Personen öffneten“, erzählt Le Blanc. „Um eine künstliche Intelligenz, die nicht nur Fenster, Heizung und Waschmaschine steuert, sondern auch einkauft und Putzroboter steuert.“


    Für das hessische Wirtschaftsministerium hat Le Blanc vor zwei Jahren ein Dossier über Nanotechnologie erarbeitet – also aus Tausenden Büchern zusammengetragen, was Literaten über winzige Geräte und Instrumente mit großer Wirkung geschrieben haben. „Natürlich liefert Literatur keine fertigen Blaupausen“, erklärt Hessens Wirtschaftsminister Tarek al-Wazir, der die Studie in Auftrag gegeben hat. „Wohl aber kann sie Anstöße geben für neue Denkansätze und Herangehensweisen.“


    Der Grund dafür, dass die moderne Gesellschaft viel von Sciene-Fic-tion-Autoren lernen kann, liegt in der Tatsache, dass die Literaten zumeist nicht einfach vor sich hin fabuliert haben. „So viele Autoren kommen aus der Forschung und Wissenschaften, sie haben die aktuellen Theorien ihrer Zeit zur Kenntnis genommen und an der Stelle zu erzählen begonnen, an der sie bei ihrer Forschungsarbeit nicht weiterkamen“, erläutert Thomas Le Blanc.


    Motor Naturwissenschaften


    Für einen der bekanntesten Physiker der Welt ist das der entscheidende Schlüssel zum Verständnis der Zukunft. Es gehe darum, „die grundlegenden Naturgesetze zu erkennen und diese dann auf Erfindungen, Maschinen und Therapien anzuwenden, die unsere Zivilisation weit in die Zukunft hinein neu definieren werden“, sagt Michio Kaku. Der US-Forscher gilt als einer der Väter der Stringtheorie, des Gedankengebäudes, das eine vereinheitlichende Theorie der Naturkräfte entwickeln will.


    Dass Schriftsteller wie Jules Verne bei ihren Geschichten die Wirklichkeit oft sehr präszise vorausgesagt haben, wundert Kaku nicht. So habe Verne klar realisiert, dass die Naturwissenschaften der Motor waren, der die Fundamente der Zivilisation erschütterte. Im 1863 geschriebenen Zukunftsroman „Paris im 20.Jahrhundert“ beschreibt der Autor die französische Hauptstadt als Metropole mit verglasten Wolkenkratzern, Klimaanlagen und Fernsehern, mit Aufzügen, Hochgeschwindigkeitszügen und benzingetriebenen Automobilen.


    Zwei Jahre später kommt Verne der Realität noch weit näher. In dem 1865 verfassten Roman „Von der Erde zum Mond“ beschreibt er detailliert die Reise, die US-Astronauten 1969 – also mehr als 100 Jahre später – auf den Mond brachte. „Er sagte die Größe der Raumkapsel bis auf wenige Prozent Abweichung präzise voraus, ebenso die Lage des Startplatzes in Florida nicht weit von Cape Canaveral, die Zahl der Astronauten der Mission, die Flugdauer, die Schwerelosigkeit, die die Astronauten erleben würden und schließlich die Landung im Wasser“, erläutert Kaku. Vernes größter Irrtum sei gewesen, dass er Schießpulver statt Flüssigtreibstoff benutzte, um die Rakete zum Mond zu bringen. Die Grundlage dieser Verne’schen Prognosen waren dabei Gespräche mit Wissenschaftlern, die Verne besuchte und nach ihren Visionen für die Zukunft befragte.

    Die Realität ist oft schneller


    In der Regel sind solche Visionen und die daraus resultierenden Geschichten über die Zukunft sogar weniger fantasievoll als die Wirklichkeit selbst. „Vorhersagen über die Zukunft haben, von wenigen Aussagen abgesehen, die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts immer unterschätzt“, sagt Michio Kaku. Der Lieblingsbeweis des Starphysikers: „Raumschiff Enterprise“.


    Als die ersten Folgen der Serie in den 1960er-Jahren zu sehen waren, staunten die Zuschauer über Handys, transportable Computer, sprechende Apparate und Maschinen, die gesprochene Wörter in Texte transkribieren konnten. Für den Schöpfer der Serie war das, so Kaku, die „Technologie des 23. Jahrhunderts“. Für die Besitzer eines Smartphones ist es in heutigen Zeiten Alltag.


    Quelle: http://www.schwaebische.de/wir…itaet-_arid,10542306.html

  • Zitat

    Neue Buch-Reihe des Karl-May-Verlags: Magischer Orient


    Die neue Reihe des Karl-May-Verlags ist für Jules-Verne-Fans insofern interessant, dass im Laufe der Reihe nicht nur Kapitän Nemo und seine Nautilus, sondern auch Jules Verne selber, sowie – quasi als schriftstellerische Inkarnation – der verstorbene Verne-Spezialist Wolfgang Thadewald, als handelnde Personen in dieser Buchreihe anzutreffen sind. In unserem Clubmagazin Nautilus Nr. 30 (erscheint voraussichtlich im April 2017) wird dazu näheres zu lesen sein. Die Reihe wird in 2017 fortgesetzt und bei Erfolg auch darüber hinaus.


    Weißt Du, ob man alle Teile der Reihe lesen muss, um mit Verne in Berührung zu kommen, oder reichen die Werke von Thomas le Blanc?

  • Also so wie ich es verstehe wird die eigentliche Reihe von Alexander Röder geschrieben, Le Blanc betreut nur die Reihe und hat sich für den Anthologie-Band als Hrsg. verantwortet. Wie weit in der Anthologie Bezüge enthalten sind kann ich nicht sagen - ich habe die Bände zwar vorliegen, weiß aber noch nicht wann ich zum Lesen komme. Derzeit bin ich beim Priester von 1835 am Lesen, soweit ich nicht mit der Übersetzungsbearbeitung der Cynthia befasst bin ...


    Verne und Thadewald haben in jedem Fall schon im ersten Band Bezüge, wenn wohl auch eher nur gering. Wann und in bzw. ab welchem Band dann diese Bezüge ausgebaut und tragenderer Anteil in der Handlung werden weiß ich nicht.

    :seemann: :baer:


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    I love you, you love me, ja wo lawe ma denn hi??