Beiträge von exlibris


    Homer - Findelkind, Taugenichts, Tagträumer - verbringt seine Tage mit Streunen, Trinken und Dösen und ist drauf und dran Meister im Nichtstun zu werden oder, wie sein Freund Fausto es formuliert: "Du kultivierst die Kunst des Zeitvergeudens, und an deiner Stelle würden die meisten Leute nach einer Woche aufgeben."
    Abgesehen davon, dass Homer gelegentlich auf der Flucht vor dem Sheriff oder dem Reverend ist, spielt sich das Leben in Farrago- far away, long ago- in einem kleinen Nest im Norden Kaliforniens eher ruhig ab. Hauptschauplätze des Geschehens sind Kramladen, Schrottplatz, Leichenschauhaus und Puff, wobei letztere auch deshalb der attraktivste Ort ist, da hier Ophelia, Homers Angebetete, lebt und arbeitet.
    Eines Nachts, beim Fall einer Sternschnuppe, wünscht sich Homer, eine Geschichte zu erleben, die aus seinem Leben ein Schicksal macht. Von diesem Moment an überschlagen sich die Ereignisse zur Freude des Lesers, der Homer und seine Freunde Elija, Duke, Fausto und seine Geliebte Ophelia durch aberwitzige Situationen begleitet. In absurden, witzigen, tragischen und rührenden Episoden wächst Homer, der Taugenichts, der „in keinen Zug einsteigen konnte, ohne ihn zum Entgleisen zu bringen“ über sich selbst hinaus und ist zu Taten fähig, die ihn und die Leute von Farrago überraschen. Zuletzt wird Homer ein Held und gewinnt Ophelias Liebe. [Charlotte Keller]


    Yann Apperry: Das zufällige Leben des Homer Idlewilde
    Roman. Ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt des Lyceens 2003. Aus d. Französ. v. Nathalie Mälzer-Semlinger | Originaltitel: Farrago| Gebunden | 390 S. | 2005 Aufbau-Verlag | ISBN 3-351-03050-9 | 19.90 EUR


    Der niederländische Autor Richard Sanders reist, um sein Buch "Die Kunst des Vergessens" vorzustellen, nach Paris. Hier hatte er vor 40 Jahren zusammen mit seinem Freund Tover, einem holländischen Maler, ein Jahr gelebt. Es war die Zeit der Hoffnungen und großen Illusionen, als alles möglich erschien und gerade erst beginnen sollte. Doch während Tover mittlerweile ein berühmter, vermögender Künstler geworden ist, blieb Richards Ruhm auf Europa begrenzt, und mehr noch als früher fühlt er sich dem Freund, der ihm bei einem Treffen eher fremd ist, unterlegen.
    Während Richard sich melancholisch den Erinnerungen an eine unwiederbringliche Jugend hingibt und bedauert, dass die Literatur die Korrektur ermöglicht, die Wirklichkeit jedoch nie, ereignet sich etwas im "wirklichen Leben": Richard begegnet einer eleganten Frau, die ihn als Rick begrüßt und im Gespräch andeutet, dass sie sich vor Jahrzehnten mehr als füchtig gekannt haben müsssen. Richard kann sich jedoch an nichts mehr erinnern. Am Ende des Buches zeigt sich, dass auch die Wirklichkeit noch Korrekturen im Leben ermöglicht, die sich Richard nie hätte träumen lassen.
    Ein melancholisches Buch über die Suche nach der verlorenen Jugend. [Charlotte Keller]


    Remco Campert: Eine Liebe in Paris
    Roman. Aus d. Niederländ. v. Marianne Holberg | Originaltitel: Een liefde in Parijs | Gebunden | 152 S. | 2005 Arche Verlag |ISBN 3-7160-2345-0 |
    17.00 EUR


    Mathematik war nicht ihr Lieblingsfach? Von Physik haben sie wenig Ahnung?
    Wahrscheinlichkeitsrechnung und Relativitätstheorie haben sie noch nie interessiert?
    Dann sollten sie unbedingt diesen genialen Thriller lesen!
    David Caine, ein brillanter Mathematiker und leidenschaftlicher Spieler ist wegen hoher Spielschulden auf der Flucht vor der Russenmafia. Um an Geld zu kommen stellt er sich als Versuchsperson für ein medizinisches Experiment zur Verfügung, was zur Folge hat, dass erplötzlich Dinge voraussehen kann. Nun sind ihm auch noch skrupellose Wissenschaftler und verschiedene Geheimdienste auf den Fersen!
    So spannend und unterhaltsam waren Mathematik, Physik, Relativitätstheorie und Wahrscheinlichkeitsrechnung, über die der Leser im Vorübergehen eine Menge erfährt, noch nie! [Charlotte Keller]


    Adam Fawer: Null
    Thriller. Dtsch. v. Jochen Schwarzer, Frank Böhmert u. Andree Hesse | Originaltitel: Improbable | Gebunden | 585 S. | 2005 Kindler| ISBN 3-463-40476-1 | 19.90 EUR


    Ein wundervoller Roman über eine englische Familie mit drei Töchtern, Edie, stella und Jude. Edie ist gerade zum ersten Mal verliebt, als das Leben der Familie durch den Selbstmord des Vaters aus den Fugen gerät. Die Mutter verkauft das Haus, die Familie zerbricht.
    Zwanzig Jahre später treffen sich die Töchter nach dem Tod der Mutter wieder. Sie nehmen sich ein paar Tge Auszeit, um die Beerdigung vorzubereiten, das Haus auszuräumen und Erinnerungen aufzuarbeiten.
    Speziell Edie erlebt eine Reise in die Vergangenheit, trifft ihre Jugendfreund, besucht das alte Haus, sieht ihre Schulfreundin wieder: "Ich wäre lieber noch mal siebzehn, ich glaube, das ist mein wahres Alter. Siebzehn. Sechzehn wäre noch besser."
    Es erscheint unvorstellbar, dass alles so schnell gegangen und schon vorbei sein soll.
    Wenige Tage, in denen die drei Schwestern, losgelöst von ihren sonstigen familiären und beruflichen Verpflichtungen Zeit haben, sich auf das vergangene Leben zurückzubesinnen und ihr jetziges Leben aus der Distanz zu betrachten, genügen, um neue Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln. [Charlotte Keller]


    Nicci Gerard: Als wir Töchter waren
    Roman. Dtsch. v. Sonja Schuhmacher u. Rita Seuß | Originaltitel: Things We Knew Were True | Kartoniert | 285 S. | 2005 Lübbe | ISBN 3-404-92196-8 | 7.95 EUR


    Was muß passieren, daß Menschen, die lange Jahre friedlich nebeneinander und miteinander gelebt haben, einander in grenzenlosem Haß die schrecklichsten Dinge antun?
    Der Leser erlebt den langsamen Untergang einer Epoche am Beispiel des Zerfalls des Osmanischen Reiches vor, während und nach dem I. Weltkrieg. Er erlebt den Zerfall einer Kultur, die von Achtung vor anderen Menschen und Meinungen und von gegenseitiger Toleranz geprägt war und in die durch Eingriffe von außen Wut, Haß und Rachsucht eindringen.
    In einer kleinen anatolischen Stadt am Rande des Osmanischen Reiches leben sie seit Jahrhunderten friedlich zusammen, sprechen türkisch und schreiben es mit griechischen Buchstaben. Sie sind Türken und Griechen, Armenier und Juden oder was sich sonst so finden mag im levantinischen Völkergemisch. Sie sind Muslime und Christen und mosaischen Glaubens. Aber sie fühlen sich allesamt als Osmanen und sind gute Untertanen des Sultan Padischah. Niemand käme auf die Idee, sich anders denn als Osmane zu fühlen, sich als Türke oder Grieche oder was auch immer zu bezeichnen. Wer ein Problem hat, betet zu Allah - und bittet gleichzeitig seinen christlichen Nachbarn, für ihn eine Kerze vor der Heiligen Jungfrau in der Kirche anzuzünden, denn sicher ist sicher. Umgekehrt geht es genau so.
    Aber die Menschen können sich dem Griff der Weltpolitik in der Zeitenwende nicht entziehen. Die Westmächte und Rußland, Deutschland, Österreich-Ungarn, Italien und Griechenland greifen nach dem "kranken Mann am Bosporus" und zerreißen das Osmanische Reich. Aus den Trümmern schafft Mustafa Kemal Pascha, der sich später "Atatürk" nennt, die moderne Türkei.
    All dies greift unmittelbar in das Leben der Menschen ein. Verantwortungslose Fanatiker schüren den schleichenden Völkerhaß und schaffen den Haß auf andere Religionen. Am Ende brutalster kriegerischer Auseinandersetzungen steht die "ethnische Säuberung": der Armenier entledigt sich die türkische Regierung bereits während des I. Weltkrieges durch eine mörderische Deportation; der Blutrausch des griechisch-türkischen Krieges zu Beginn der 20er Jahre bedeutet die entgültige Trennung von Griechen und Türken durch einen Bevölkerungsaustausch - alle überlebenden Christen Anatoliens werden nach Kreta deportiert, alle Muslime von den griechischen Inseln nach Anatolien.
    So werden Freunde getrennt und Familien zerrissen. Die Bewohner jener kleinen Stadt in Anatolien erzählen in kurzen Kapiteln mit ihren eigenen Worten ihr Leben und Schicksal, ihre Gefühle und Gedanken. Der Leser erlebt den Untergang einer Welt aus der Sicht der sogenannten kleinen Leute, die meist schuldlos sind und doch die ganze Wucht von für sie nicht nachvollziehbaren, unverständlichen politischen Entscheidungen zu tragen haben. Eine tragische Liebesgeschichte zwischen einer jungen Christin und einem muslimischen Jungen steht exemplarisch für das Zerbrechen einer ganzen Kulturepoche. Sie fällt den Geißeln des 19. und 20. Jahrhunderts zum Opfer - fanatischem Nationalismus und religiösem Fanatismus, angeheizt und aufgehetzt von utopischen Großmachtbestrebungen und einer Politik, in der Macht wichtiger ist als Recht. Niemand in der kleinen anatolischen Stadt hat das gewollt und kann das verstehen. Aber sie alle müssen es erleiden.
    Ein historischer Roam? Ja - und nein. Der besondere Reiz der Lektüre liegt in diesem Widerspruch. Die Kulisse der historischen Ereignisse jener rund 25 Jahre währenden, im I. Weltkrieg gipfelnden und 1922/23 endenden Zeitenwende wird, soweit sie das Osmanische Reich betrifft, unauffällig, aber präzise dargestellt. Die Historie spielt dennoch nicht die Hauptrolle. Diese liegt bei den Menschen, bei Iskander dem Töpfer zum Beispiel und seiner Frau, bei Ibrahim, dem jungen Muslim und seiner schönen christlichen Braut Philotei, bei Rustem Bey Aga und seiner Geliebten Leyla, bei Levon dem Armenier und bei Leonidas, dem fanatischen griechischen Nationalisten und Dorfschullehrer. Nicht zu vergessen Abdulhamid Hodscha und seiner Frau Ayse und die häßliche Drosoula und Karatavuk und Mehmecik, die Freunde sind, obwohl sie verschiedene Religionen haben. Und der italienische Leutnant Granitola und der Philanthrop Georgio P. Theodoru und so viele andere.
    Was ist noch zu sagen? Ach so, ja - lesen, unbedingt!!! [Joachim Behnken]


    Louis de Bernieres: Traum aus Stein und Federn
    Gebunden | Roman. Dtsch. v. Manfred Allie u. Gabriele Kempf-Allie | 668 S. |2005 Fischer (S.), Frankfurt | ISBN 3-10-007125-5 | 19.90 EUR


    Ganz anders als bei Tintenherz, der erste Band dieser geplanten Trilogie, fängt hier die Geschichte gleich spannend an. Ich war von Anfang an gefesselt und ließ mich gerne in die Buchwelt entführen. Tintenherz spielte im Wesentlichen in unserer Welt, wohingegen bei Tintenblut die Buchwelt Schauplatz ist. Es ist in liebevoller Weise ja fast schon philosophisch geschrieben. Ganz nebenbei bekommt man das Gefühl vermittelt, wie wichtig und schön Bücher sind.
    Auch hier ist vor jedem Kapitel ein kleines Zitat aus einem bekannten Buch. ( Für mich ganz erstaunlich, auch aus Harry Potter!)
    Ich denke, dass Tintenblut noch besser für Jugendliche geeignet ist, weil es eben nicht diese lange Warmlaufzeit am Anfang hat. Sinnvollerweise gibt es im Anhang eine ausführliche Beschreibung der Hauptpersonen, sodass die Möglichkeit besteht Tintenblut zu lesen ohne vorher Tintenherz gelesen zu haben.
    Gebannt warte ich jetzt schon auf den letzten Teil, ich möchte doch zu gerne wissen wie es weitergeht. [Ulrike Pensel]


    Cornelia Funke: Tintenblut.
    Gebunden | 729 S. m. Zeichn. | ab 11 J. | 2005 Dressler | ISBN 3-7915-0467-3 | 22.90 EUR


    Frank Goosens Romanpersonal ist zum einen unabhängig, zum anderen erwachsen geworden.
    Der Protagonist, ein Restaurantbesitzer sucht seit frühen Kindertagen seinen Vater, er hatte ständig wechselnde Stiefväter, aber eben seinen leiblichen Vater kennt er nur aus den sehr spärlichen Erzählungen seiner Mutter. Auf der Suche begegnet er einer skurrilen Verflossenen, diversen anderen ehemaligen Bekannten, muss sich mit seinem mehr als"ungewöhnlichen" Nachbarn Renz rumschlagen und geht eine neue Liebschaft ein. Das alles ist sehr amüsant und flüssig ge- bzw. beschrieben, nur kurz vor Schluss wird es sonderbar. Der Roman umfasst ziemlich genau 300 Seiten, aber auf S. 250 findet plötzlich ein Bruch statt und ab da passt nichts mehr wirklich zum Vorausgegangenen, soll alles ein Traum gewesen sein?
    Fazit: Bis auf die Verwirrungen am Schluss macht das Leben im Restaurant Pink Moon - benannt nach einer LP von Nick Drake - sehr viel Spaß. [Ulrich Jäckle]


    Frank Goosen: Pink Moon
    Gebunden | Roman. 299 S. | 2005 Eichborn | ISBN 3-8218-0919-1 | 19.90 EUR


    Ein sehr spannender Krimi mal wieder aus der Gegenwart. (Virenforschung)
    So fesselnd geschrieben, dass sowohl ich als auch mein Mann ihn in einem Rutsch verschlungen haben!
    Meiner Meinung nach hätte die kleine Liebesgeschichte nicht unbedingt dabei sein müssen.
    Sehr empfehlenswert! [Ulrike Pensel]


    Ken Follett: Eisfieber
    Gebunden |Roman. Aus d. Engl. v. Till R. Lohmeyer u. Christel Rost | 461 S. m. Illustr. v. Jan Balaz | 2005 Lübbe | ISBN 3-7857-2220-6 | 22.90 EUR


    Dies ist ein subtiler Krimi mit einer sympathischen Hauptperson, dem Psychotherapeuten Joe O'Laughlin. Über ihn, seine Familie, seinen Beruf, sein Leben erfährt man eine ganze Menge, bevor überhaupt ein erstes Mordopfer ins Spiel kommt. Die übel zugerichtete Leiche einer Krankenschwester veranlasst die Londoner Polizei O'Laughlin zur Ermittlung eines Täterprofils hinzuzuziehen.
    Der Psychotherapeut hat bald den Verdacht, einer seiner Patienten könne mit dem Mord zu tun haben, merkt jedoch viel zu spät, dass er selbst in eine mörderische Falle geraten ist. Gehandicapt durch eine fortschreitende Erkrankung macht sich O'Laughlin auf die Suche nach dem Täter.
    Witzig, einfühlsam und bis zur letzten Seite spannend! [Charlotte Keller]


    Michael Robotham: Adrenalin
    Gebunden | Thriller. Dtsch. v. Kristian Lutze Originaltitel: The Suspect 444S. |2005 Goldmann | ISBN 3-442-31013-X | 19.90 EUR


    Hinter einem schönen Titel und ansprechendem Titelbild steckt hier ein Buch, dessen Lektüre etwa so einfach ist wie das Tangotanzen...
    Die Geschichte dreht sich um Einwanderer aus Europa, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Argentinien kamen. Im Mittelpunkt stehen Ramón und Roque aus Galizien und deren Freund Hermann Frisch aus Deutschland. Parallel zur Geschichte seiner Haupt- und unzähliger Nebenpersonen beschreibt der promovierte Historiker und Geograph Vázquez-Rial die Entstehung des modernen Argentiniens. Er schildert in einem spannenden Bilderbogen den Aufstieg seiner Helden in der Zeit von 1880 bis zum spanischen Bürgerkrieg. Stellenweise scheint das Buch durch Daten und historische Ereignisse überfrachtet und ist, vor allem in der zweiten Hälfte, nicht einfach zu lesen. Daher nur historisch interessierten Lesern und / oder geübten Tangotänzern zu empfehlen. [Charlotte Keller]


    Horacio Vazquez-Rial: Tango, der dein Herz verbrennt
    Gebunden | Roman. Originaltitel: Frontera Sur | 635 S. |2005 Piper | ISBN 3-492-04703-3 | 24.90 EUR


    Dieser Mann ist kein Geheimniskrämer. Bereits auf den ersten beiden Seiten des Buches umreißt er ganz klar sein Thema: Die Lebens- und Familiengeschichte eines Hermaphroditen, entstanden durch die genetische Mutation infolge der inzestuösen Beziehung seiner Großeltern.
    Was für eine Geschichte!
    Als Geschwister fliehen Lefty und Desdemona aus dem brennenden Smyrna, als Mann und Frau verlassen sie Wochen später das Schiff, das sie nach Amerika bringt.
    In unzähligen wunderschönen Episoden zeichnet Eugenides das Leben der griechischen Einwanderer, spannt den Bogen über drei Generationen von 1922 bis heute.
    Ein wunderbares, pralles, witziges Buch. Wer Jonathan Franzes "Korrekturen" mochte oder gern John Irving liest, wird es lieben. Allen anderen sei es wärmstens empfohlen! [Charlotte Keller]


    Jeffrey Eugenides: Middlesex
    Kartoniert |Roman. | Pulitzer Preis 2003 / WELT-Literaturpreis 2003. | 733 S. | 2004 Rowohlt TB. | ISBN 3-499-23810-1 | 9.90 EUR


    Eigentlich sollte man erwarten, dass eine Frau sich wenigstens verabschiedet, bevor sie Mann und Kinder verlässt, oder dass sie eine Nachricht hinterlässt. Doch ohne ein Wort verschwindet Victorine, die Urgroßmutter der Autorin, Ende des 19.Jahrhunderts aus einem kleinen Dorf in der Vendeé und kehrt erst eineinhalb Jahre später zurück.
    Der Reiz dieses Romans liegt nicht allein darin, zu erfahren, was in der Zeit des Verschwindens geschah, sondern in der Art, wie Texier die Geschichte erzählt.
    Wir erleben Victorine, die junge, intelligente Frau, die in ihrem kleinbürgerlichen Leben, mit einem Mann, der sie „ Mütterchen „ nennt, und zwei Kindern zu ersticken droht. Sie sehnt sich nach einem anderen Leben, einem anderen Mann, einem anderen Land.
    Wir erleben Victorine, die ihre Koffer packt, einen Ozeandampfer besteigt und ihrem Geliebten nach Indochina folgt. Hier blüht sie auf, stürzt sich mit Haut und Haaren in dieses fremde Land, nimmt es in sich auf: Geräusche, Gerüche, fremde Sprache, Schrift, Literatur.
    Victorine lässt sich ganz auf dieses neue Leben ein. Wörtlich und im übertragenen Sinne legt sie ihr Korsett ab, ein in tropischen Gefilden unerträgliches Kleidungsstück. Sie lässt die Vergangenheit zurück und spielt mit den Möglichkeiten einer neuen Gegenwart.
    Wir erleben aber auch Victorine, die zurückkehrt und sich vierzig Jahre später erinnert.
    Ein besonderer Reiz des Romans liegt in den eingestreuten Worten oder Sätzen auf französisch oder vietnamesisch. Dennoch bleibt der Text klar verständlich – ein Glossar am Ende hilft weiter. Dieses Buch ist eine wunderbare Ferienlektüre, zu lesen an französischen, vietnamesischen oder anderen Stränden. Es eignet sich auch als Geschenk für beste Freundinnen, die gerade im Aufbruch in ein neues Leben sind. [Charlotte Keller]


    Catherine Texier: Victorine
    Gebunden | Roman. Aus d. Amerikan. v. Irene Rumler | 431 S. | Luchterhand Literaturverlag 2005 | ISBN 3-630-87180-1 | 22.90 EUR


    Zwei Jahre im Leben dreier Familien Ende der Siebziger an der Grenze zu den Achtzigern erzählt uns der Autor. Zu Anfang ist der schnelle Wechsel zwischen den Personen verwirrend, aber schnell versteht man wer zu wem gehört. Adam Langer zeichnet feinfühlige Portraits seiner Protagonisten. Jeder einzelne wird in die Mitte gestellt, wird ein Kapitel gewidmet. Der Leser steht mittendrin, erkennt Zusammenhänge, Konflikte und deren Hintergründe. Die Probleme der Familien, sind die Probleme der Familien von heute. Angst vor dem Verlust der Arbeit, fehlende Aussprache und Kommunikation, Existenzängste, unerfüllende Beziehungen. Während die Erwachsenen kaum vom Fleck kommen, entwickeln die Kinder kreative Lösungen. Alles beginnt mit einem Schwindel von Jill, die behauptet, sie hätte Muley, einem sehr einfallreichen, schon genialem, schwarzen Jungen einen Knutschfleck verpasst. Dabei ist sie nicht in der Lage zuzulassen, dass Muley in sie verliebt ist. Diese beiden stehen auch am Schluss, bilden den Rahmen in dem sie beginnen auf einander zuzugehen. Dazwischen viel kurzweiliges Lesevergnügen besonders für Leser, die es genießen hinter die Kulissen zu schauen. (Verena Lorenzkowski)


    Adam Langer: Crossing California.
    Gebunden | Roman Aus d. Engl. v. Christa Krüger u. Grete Osterwald | 586 S . | 2005 Rowohlt, Reinbek | ISBN 3-498-03921-0 | 24.90 EUR


    "Ich nahm mir vor, ein Buch zu schreiben über die Könige, die Geisteskranken und die Künstler, und nicht zuletzt über mich selbst." Mit diesen Worten Gerhard Roths in seinem Roman "Das Labyrinth" endet für den Leser/die Leserin eine faszinierende Reise in die Grenz- und Krisengebiete von Wahn und Wirklichkeit, wobei diese Reise durch halb Europa führt und der Roman durchaus auch als äußerst informativer Reiseführer dienen kann. So beispielsweise zu den Gemälden Velázquez, Goyas und Arcimboldos, zu Leben und Werk der Schriftsteller Franz Kafka, Pessoa und Cervantes, in Wiener Kaffeehäuser, spanische Stierkampfarenen und in verstaubte Museumsdepots, deren vergessene Schätze vom Autor wieder ans Licht geholt werden. Die Art und Weise wie dies geschieht erinnert häufig an das Hervorholen kostbarer oder kurioser Exponate aus den Sammlungen barocker Kunst- und Wunderkammern vergangener Jahrhunderte. Und so ist dieses Buch ein großes Lesevergnügen für alle, die gerne den verborgenen Zusammenhängen von Kunst, Politik, Religion und Geschichte nachspüren und hier längst vergessenem Wissen wieder begegnen.
    Die von mehreren Erzählern transportierte Handlung beginnt mit einem Brand in der Wiener Hofburg, der legendären Residenz der Habsburger Dynastie. Brandstifter könnte der Pyromane Philipp Stourzh gewesen sein; dies vermutet jedenfalls der Psychiater Dr. Heinrich Pollanzy, der in der Wiener Hofburg wohnt und Stourzh in der psychiatrischen Anstalt Gugging behandelt. In dieser Anstalt fielen während der Nazizeit 1000 Patienten dem Unternehmen "lebensunwertes Leben" durch Injektionen und qualvollem Verhungern zum Opfer. Stourzh, Student der Geschichte und Kunstgeschichte, begibt sich nach Abbruch seiner Magisterarbeit über die Infantinnenbilder von Velázquez auf den Spuren des letzten österreichischen Kaisers Karl zu dessen Exilort Funchal auf Madeira. Über die wenig bekannten Exiljahre des letzten Kaisers der Habsburger, der mit seiner Frau Zita und den Kindern bis zu seinem Tode dort lebte, wird ausführlich erzählt; inklusive eines (fiktiven) Interviews mit dem letzten lebenden Sohn Otto von Habsburg.
    Auch Dr. Pollanzys Weg führt von Wien nach Spanien. Dort kommt es zu einer verhängnisvollen Begegnung mit seinem Patienten Philipp Stourzh, bei der auch die Logopädin Astrid, die anscheinend mit beiden ein Verhältnis unterhält, eine reichlich undurchsichtige Rolle spielt. (Helga Wittkopf)



    Gerhard Roth: Das Labyrinth
    Roman. | 464 Seiten | S. Fischer Verlag 2005 | ISBN 3-10-066059-5 | € 19, 90
    Die SWR-Bestenliste stuft das Buch als (vermutlich) mittelschwere Lektüre ein.


    Nahe der idyllischen Stadt Celle liegt in der weiten Heidelandschaft eine der größten Sperrzonen Europas: der früher hauptsächlich von der britischen Armee genutzte und heute unter dem Kommando der NATO stehende Truppenübungsplatz Bergen. Angelegt wurde dieses gigantische Truppenübungsgelände bereits von den Nationalsozialisten, die dafür mehrere Dörfer dem Erdboden gleich machten und die Dorfbewohner aus ihrer Heimat vertrieben.
    Auf einem Teil dieses Geländes befand sich während des Zweiten Weltkrieges das von den Nazis errichtete Konzentrationslager Bergen-Belsen, wo unter katastrophalen hygienischen Lebensverhältnissen tausende Häftlinge an Seuchen und Hunger starben. Hier endete auch das Leben des holländischen Mädchens Anne Frank, das durch sein Tagebuch in aller Welt unvergessen ist und das seiner Schwester Margot, die kurz vor der Befreiung des Lagers durch die Alliierten einer Typhusepidemie erlegen sind. Heute erinnert nur noch ein Mahnmal an die schreckliche Vergangenheit.
    Während eines Manövers, das zur Vorbereitung eines Einsatzes im Irakkrieg dient, wird dort ein britischer Soldat ermordet und Kriminalhauptkommissar Arno Hennings soll gemeinsam mit Emma Fuller, Sergeant der englischen Militärpolizei, den mysteriösen Mord aufklären. Hennings kennt diese Gegend mit der schrecklichen Vergangenheit und ihre schweigsamen Bewohner sehr gut, ist er doch am Rande der Sperrzone in Eichendorf aufgewachsen und erst kurz vor Übernahme dieses Falles aus der Großstadt Berlin in seine Heimat zurückgekehrt.
    Im Zuge der Ermittlungen wird Hennings erst allmählich klar, dass die Lösung dieses Falles sehr viel mit der düsteren Geschichte dieser Gegend und den immer noch quälenden Erinnerungen einiger Zwangsumsiedler zu tun hat. Doch zunächst gibt es noch einen zweiten Toten, diesmal einen Mann aus Eichendorf, den der Kriminalhauptkommissar sehr gut kennt…
    Autor Andree Hesse hat mit sehr viel Detailgenauigkeit und Kenntnis der Heidelandschaft und der dort lebenden Menschen einen spannenden Kriminalroman geschrieben, der nichts - aber auch gar nichts – mit den in Mode gekommenen, meist rasch herunter geschriebenen „lokalen Krimis“ zu tun hat. Sein Roman ist eine poetische Geschichte von Schuld und Sühne. (Klaus Wittkopf)


    Andree Hesse: Der Judaslohn
    Roman | 416 Seiten | Verlag Wunderlich 2005 | ISBN 3-8052-0800-6 | € 19,90


    Die vierte Schwester ist ein Buch mit vier Geschichten über eben vier Schwestern, die alle eins gemeinsam haben: sie leben nicht mehr. Aus vier zuerst unabhängig von einander verlaufenden Erzählsträngen webt Kate Atkinson eine große Geschichte zusammen. Eine Geschichte mit eigenwilligen, schrulligen Charakteren, die jeder für sich versuchen mit den Problemen ihres Lebens zurechtzukommen. Amelia und Julia, die auf der Suche nach ihrer seit 36 Jahren verschwundenen Schwester sind. Theo, der Anwalt, der über den Tod seiner Tochter nicht hinwegkommt. Binky, die alte Dame, die ständig eine ihrer Katzen vermisst.
    Im Mittelpunkt aller Geschichten steht Jackson, seines Zeichens Privatdetektiv, geschieden, Wieder-Raucher, und Vater einer Tochter. Zu ihm kommen all diejenigen, die etwas verloren haben. Dabei ist er selbst immer auf der Suche nach dem Glück, das er zwar im privaten nicht hat, dafür aber bei seinen Nachforschungen.
    Gemeinsam mit Jackson wühlt man in alten Familiengeschichten. In altem Leid und jungen Träumen. Man darf hinter die Kulissen schauen, was einen häufig schmunzeln lässt, besonders wenn es um die gegenseitige Einschätzung der Protagonisten geht.
    Alles in allem eine schöne, in sich geschlossene Geschichte für gemütliche Nachmittage auf dem Sofa. (Verena Lorenzkowski)


    Kate Atkinson: Die vierte Schwester
    Gebunden | 397 S. |2005 Droemer/Knaur 2005 | ISBN 3-426-19550-X | 19.90 EUR


    Dies ist die Sorte Buch, die man zweimal liest. Einmal wegen der Handlung, das zweite Mal, um jeden Satz genießen zu können.
    Zu schön schildert Anna Gavalda das Gefühlschaos ihrer problembeladenen Protagonisten, deren verworrene Biografien sich erst entknoten, nachdem sie sich zu einem gemeinsamen Leben in einer merkwürdigen Wohngemeinschaft zusammengefunden haben.
    Gavalda hat eine ganz eigene Erzählweise und schildert die Konflikte, die das gemeinsame Leben eines jungen verklemmten Adligen, einer magersüchtigen Künstlerin, die als Putzfrau arbeitet, eines motorradfahrenden Kochs und dessen pflegebedürftiger Großmutter so mit sich bringt, mit viel Humor und Mitgefühl. Bei der Lektüre wachsen einem die schwierigen Helden ans Herz, und man kann mit dem größten Vergnügen zusehen und zuhören - herrliche Dialoge! - wie sie im Verständnis für den Anderen sich gegenseitig beim Leben helfen und gemeinsam stark werden.
    Gavalda ist ein schönes und kluges Buch gelungen, das man nach 550 Seiten schmunzelnd zuklappt, jedoch ungern beiseite legt. (Charlotte Keller)


    Anna Gavalda: Zusammen ist man weniger allein
    Gebunden | Roman | 550 S. |Hanser 2005| ISBN 3-446-20612-4 | 24.90 EUR


    Allison Pearson hat ein lustiges, kluges, wunderschönes Buch über den wahnwitzigen Alltag einer berufstätigen Mutter geschrieben.
    Wir begleiten Kate durch ihr turbulentes Leben, und jede Frau mit Kindern wird sich wiedererkennen, ganz gleich ob sie Familie plus Job bewältigt oder hauptberuflich einen Haushalt mit mehreren Personen unter 18 managt.
    Neben Kate, deren Job-Familien-Spagat immer wieder durch hereinbrechende Katastrophen ins Schlingern gerät, kommen auch Frauen mit anderen Lebensentwürfen vor, also Karrierefrauen ohne Kinder oder Familienfrauen, die den Beruf an den Nagel gehängt haben. Auch Kate gerät ins Grübeln als ihre Freundin stirbt und dem Ehemann eine Betriebsanleitung für seine Familie hinterlässt...
    Daher sollen keineswegs nur Frauen dieses Buch lesen, sondern auch die Ehemänner und Väter, damit sie rechtzeitig begreifen, was frau tagein tagaus - und meistens alles gleichzeitig - bewältigt und wie eine Familie funktioniert. (Charlotte Keller)


    Allison Pearson: Working Mum.
    Kartoniert | Roman. | 479 S. Rowohlt 2004 |ISBN 3-499-23828-4 | 9.90 EUR


    Okay. Keine Panik!
    Sie sind durch mit Hera Lind, Eva Heller und Gabi Hauptmann. Sie haben sich geschworen, keine "Frauenbücher" mehr zu lesen. Ab sofort nur noch "richtige Literatur" - Fontane, Goethe, Schiller! Klar, machen ja alle - ist ja auch grade Schillerjahr!
    Doch statt dessen kaufen Sie sich "Die Schnäppchenjägerin", und das ist gut so!
    Die Story, die Sophie Kinsella erzählt, ist einfach eine hinreißende Komödie!
    Becky Bloomwood ist zwar Finanzberaterin, schafft es aber einfach nicht, ihren Champagnergeschmack mit ihrem Biereinkommen unter einen Hut zu bekommen, zumal sie dazu neigt, Entscheidungskämpfe beim Shoppen mit "Ich nehme beide" zu beenden.
    Sie werden Tränen lachen während Becky, aller guten Vorsätze zum Trotz, von einer Katastrophe in die nächste schlittert und werden unbedingt wissen wollen, wie es weitergeht.
    Gottseidank gibt es noch drei weitere Bände - denn diese Bücher machen süchtig. (Charlotte Keller)


    Sophie Kinsella: Die Schnäppchenjägerin.
    Kartoniert | Roman. | Goldmann 2004 | ISBN 3-442-45286-4 | 8.90 EUR


    Weiter Bände:
    Fast geschenkt. | ISBN 3-442-45403-4 | 8.90 EUR
    Hochzeit zu verschenken. | ISBN 3-442-45507-3 | 8.90 EUR
    Vom Umtausch ausgeschlossen.| ISBN 3-442-45690-8 | 8.95 EUR
    Sag's nicht weiter, Liebling. | ISBN 3-442-45632-0 | 8.95 EUR


    Also ehrlich: zuerst dachte ich, ein trivialer Schinken um einen Gymnasialschulmeister, Anfang 50, sportlich, sehr gut aussehend, bei Kollegen/Kolleginnen und Schülern beliebt, mit einem deutlichen Hang zum Fremdgehen, der nach 1000 Affären die 1001. mit einer neuen Kollegin beginnt.
    Aber dann passiert ein Unfall - die Frau des Lehrers stürzt im Suff nach einem Streit wegen der Affären ihres Eheherrn die Treppe herunter und bricht sich das Genick. Von jetzt ab denkt man, es muß doch was passieren, aber erst mal passiert gar nichts besonderes. Und dann passiert ein Mord, oder besser, ein Totschlag im Affekt - der Lehrer erschlägt seinen besten Freund, der - sieh an, sieh an! - mit der Lehrersfrau ein Verhältnis hatte. Spätestens jetzt wartet der geneigte Leser mit jeder Seite auf etwas Dramatisches, es packt ihn und er will wissen, wie denn nun die Geschichte weiter geht und ob es gut ausgeht oder nicht und warum - aber es passiert überhaupt nichts Dramatisches. Die Liebesgeschichte geht so ihren Gang. Und dann, ganz überraschend, passiert doch was - ein zweiter Mord, diesmal kaltblütig und bewußt. Dann kommt eine kleine Erpressung in`s Spiel und ein Mordversuch, und dann kommt ein total überraschendes Ende. Das behalte ich aber für mich.


    Fazit: nach etwas mühsamem Anfang eine spannende Lektüre, zwar nicht nobelpreisfähig, aber leicht und flott zu lesen. Wer Krimis mag - eine tolle Urlaubslektüre. (Joachim Behnken)


    Borger, Martina; Straub, Maria E.: Im Gehege.
    Leinen |Roman. | 377 S. | Diogenes 2004 |ISBN 3-257-06444-6 | 19.90 EUR