20000 Meilen unter dem Meer vs Kapitän Nemo

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    20000 Meilen unter dem Meer - oder warum Kapitän Nemo das bessere Hörspiel ist. Ein subjektiv vergleichendes Review der Europa- und Maritimproduktion unter besonderer Berücksichtigung einer individuellen Hörhistorie.


    Ich gebe es zu:
    Ich bin, was die Beurteilung der vielen vielen Kinder- und Jugendumsetzungen der Jules Verne Geschichte um die Abenteuer des Prof. Aronnax, seines Dieners Conseil und des Kanadiers Ned Land an Bord der Nautilus angeht höchst voreingenommen.


    Für mich ist und bleibt die Hörspielumsetzung durch das Label Maritim die beste Adaption des Stoffes, die ich bisher gehört habe. Und die Geschichte des Kapitän Nemo, der mit seinem Unterseeboot Nautilus 20.000 Meilen die Meere unterseeisch befahren hat ist mir wahrlich schon oft unter die Ohren gekommen. Ja ich wage sogar die Behauptung, dass ich fast alle deutschsprachigen Vertonungen des Stoffes kenne.


    Trotz 5.1. Ton und erstaunlich realistischer Soundkulisse, trotz annähernd kompletter Lesung unter Verwendung eines antiquierten Sprachduktus, trotz des brillanten Horst Frank in der Rolle des mysteriösen Kapitän Niemand: Nichts kommt an das Hörerlebnis heran, das die aus dem Jahre 1970 stammende Kurt vethake Produktion bietet – zumindest (und vielleicht ausschließlich nur) für mich.


    Grundsätzlich ließe sich diese Meinung natürlich rückführen auf das mit dem Begriff „Kindheitsbonus“ einhergehende ansozialisierte Hörerlebnis und die in Verbindung damit stehende Voreingenommenheit bezüglich einer in Sachen Dramaturgie, Sprecherleistung, Soundeinbindung, Geräuschuntermalung und Authentizität objektivierte Hörwahrnehmung respektive Bewertung.


    Natürlich will ich dies nicht leugnen und bin mir der Vorlieben prägenden Wirkung im frühen Jugendalter gehörter oder besser geschrieben verinnerlichter Hörspielerfahrungen mehr als nur ein wenig bewusst. Wie aber dem die hörspieltechnischen Umsetzungen noch besser kennenden und namentlich die größte und bekannteste Verne Hörspielwebseite betreibenden Fachmann seine Meinung plausibel näher bringen. „Kindheitsbonus“ ist hier ein ziemlich lahmes allgemeinverbindliches Erklärungsmodell und leistet allenfalls der Kanalisierung mangelnder harter Argumente Vorschub. Ich will den Begriff in diesem Sinne nicht überstrapazieren. Muss ich auch gar nicht. Die Vethake Produktion ist nämlich durchaus begründbar das bessere Hörspiel. Jedenfalls wenn man die gerade als Neuauflage erschienende Europaproduktion als quasi Referenzprodukt zum Vergleich heranzieht.


    Voila, fangen wir also an:
    Und wo fängt man an? Natürlich am Anfang!


    Hier bereits offenbart sich das, was sich quasi als Makel eklatant durch die gesamte Europaproduktion zieht: Das ziemlich lieblose und einfältige Abspulen von Informationen. Bar eines jeden Gespürs für eine wirklich spannende Dramaturgie, bar auch nur mehr eines Ansatzes dem „Stoff“ angemessener stimmungstechnischer Aufarbeitung. Klingt hart? Ist so gemeint!


    Womit beginnt den bitte schön das Europa Hörspiel? Mit einer kurzen Einleitung der Geschehnisse rund um den vermeindlichen Narwal. Zwei Sätze scheinen hier auszureichen um die drei Hauptprotagonisten. Professor Aronnax, seinen Diener Conseil und den Harpunier Ned Land vorzustellen. Zwei Sätze reichen aus, um zu beschreiben aus welchem Grund man sich an Bord des Schiffes Abraham Lincoln befindet.


    Bis zu diesem Zeitpunkt sind beim vethake Hörspiel bereits einige Minuten mehr vergangen. Zeit, die die Maritimproduktion nutzt, um den Meeresbiologen und seinen ihn zutiefst ergebenen Diener bereits jetzt schon en Detail vorzustellen. Zeit die genutzt wird, um die Zuhörerschaft dezent auf das Unglaubliche, Mysteriöse, Unfassbare, das sie im Laufe der Geschichte erwartet vorzubereiten.


    Hier wird in der Tat nicht mit der Tür ins Haus gefallen. Nein, hier findet keine - wie in den ersten fünf Minuten des Europahörspiels –„Entmystifizierung“ des Ungeheuerlichen durch die im Dialog unnötige verlautbarte Antizipation des technischen Hintergrundes der Geschichte statt. So platt und banal baut Vethake seine Hörspiele nicht auf. Und in der Tat: Das Maritimhörspiel lässt den die Geschichte noch nicht kennenden Zuhörer zunächst der Illusion folgen, der berühmte französische Professor begebe sich auf die Jagd nach einem Seeungeheuer, das die Weltmeere durch sein aggressives Verhalten unsicher macht.


    Auch wird diese Illusion nicht wie bei 20.000 Meilen unter dem Meer vom Label Europa umgehend aufgelöst, indem man bereits kurz nach Beginn des Hörspiels die eigentliche Natur des Narwals aufdeckt. Nein (lange Betonung auf dem i), Vethake lässt den Professor lange vergeblich nach dem vermeintlichen Ungeheuer suchen.
    Das wirkt spannungssteigernd und macht neugierig auf den weiteren Fortgang der Geschichte. Ja, auch bei dem unausweichlichen Aufeinandertreffen der Protagonisten mit dem „Monster“ nimmt man sich Zeit das Geschehen unheimlich und mysteriös zu inszenieren.


    Was beim Europahörspiel Hopplahopp passiert – das Zusammentreffen von Ungeheuer und Abraham Lincoln, die Beschädigung des Schiffes durch einen Angriff des Monsters, das Überbordgehen des Professors und seines Dieners, der verzweifelte Überlebenskampf im Wasser, das Entdecken eines „Inselchens“ auf dem sich der auch über Bord gegangene Harpunier Ned Land befindet, die Entlarvung des Inselchens als „Höcker“ des Monsters, die Entdeckung der metallenen Beschaffenheit des „Höckers“ und damit verbunden die sich durchsetzende Erkenntnis, dass das Monster ein „Ding“ von Menschenhand geschaffen ist, welches sich, welch technische Sensation, unter Wasser fortbewegt – bekommt bei der Maritimproduktion genau den zeitlichen Rahmen eingeräumt, den es braucht um der Faszination des Ereignisses der Entdeckung eines unter den Meeren fahren könnenden Schiffes im Jahre 1887 gerecht zu werden und damit auch für den Zuhörer transparent und nachvollziehbar werden zu lassen.


    Es geht weiter…


    Europa:
    Im Bauch der Nautilus werden die drei Überbordgespülten eingesperrt. Schwupps kommt der Kapitän des Unterseebootes und verkündet den gestrandeten ihr Schicksal.


    Erneut höchst unspektakulär, wenig mysteriös … und … mal so gar nicht von irgendeiner Musikkulisse umrahmt. Bah, wie einfallslos!


    Anders auf der maritimschen Nautilus: Der Professor und sein Leidensgenosse werden von namenlosen Händen gepackt, ins Dunkle und damit Ungewisse gezerrt und im Stockdustern in einen Raum gesperrt. Dort lässt man die ziemlich entsetzte Reisegesellschaft nervenaufreibende Stunden warten. Das Ganze intonierte Szenario wird hier umrahmt von einer düsteren, melancholischen, technizistisch mysteriös wirkenden Soundkulisse.


    Das Auftreten des Kapitän Nemo:
    Hundertfach unheimlicher als bei der Europafassung: Nemo plappert beim Maritimhörspiel nämlich nicht sofort drauflos, sondern illuminiert zunächst einmal die bis dato im Dunklen liegende Gefängniszelle, lässt seine Gäste bewirten und tritt dann schweigen vor den Professor und seine Begleiter. Hier negiert er zunächst alle auf französisch, englisch, latein, griechisch und deutsch abgehaltenen multilingualen Kommunikationsversuche und verläasst schweigen die Kabine der Gefangenen. . . . Nichts von dieser atmosphärisch absolut dichten und nervenaufreibenden Szenerie thematisiert die Europaumsetzung. Die Angst, Verzweifelung und Wut der Reisenden als initiale Erfahrung beim Zusammentreffen mit dem die Nautilus befehligenden Kapitän Nemo wird damit beim Europahörspiel gar nicht angesprochen. Ned Lands enervierend postulierte Fluchtversuche erscheinen damit bei der Europaproduktion in einem merkwürdigen Licht.


    ...


    Die sich in weiteren Detailvergleichen verlierende Beschreibung beider Hörspiele erspare ich mir und den Lesern an dieser Stelle. Die Liste der Unzulänglichkeiten des Europahörspiels ließe sich bei Bedarf entsprechend obiger Ausführungen fortsetzen. Die Europaproduktion ist ein Werk der Auslassungen und Verstümmelungen. Atmosphärisch zu banal inszeniert um dem inhaltlichen Faszinosum der Geschichte auch nur Ansatzweise gerecht zu werden.


    Never ever lasse ich mich auf einen „meinungsmanipulierneden“ :) Versuch ein, der mir die Dramaturgie, Sound- und Geräuschuntermalung und den Thrillfaktor der Produktion aus dem Hause Körting gegenüber der Maritimproduktion als höherwertig und auch nur ebenbürtig verkaufen wollte. Hier fehlt es dem Hörspiel einfach an Substanz, an Feinschliff und an hörtechnisch inszenierter Spannung. Oder um es anders auszudrücken: An dem Genie eines Kurt Vethake.


    Amen!
    © Oliver Schulte
    Online: 10.06.2006

  • :applaus: Bravo, mein lieber Olli! :D


    Für die Unwissenden: Olli und ich strei... äh, diskutieren schon länger darüber, welche Hörspielversion von "20000 Meilen" besser ist: Europa oder Maritim. So ein Thread wie dieser war geplant, jetzt geht's endlich los! ;) :DD


    Also, ich werde mich natürlich vorbereiten, bevor ich antworte... Ergänzend sei noch gesagt, dass nicht nur die Europa-Version als Neuauflage erschienen ist, sondern auch die Maritim-Version wird neu aufgelegt und erscheint nächste Woche (Auslieferung ab 13.6.2006)


    Bis es soweit ist: 1:0 für Olli! :grins:


    [maritim]595902311[/maritim]
    [asin]B000850GYW[/asin]

  • ... ohne mich in die Darlegung des + / - der Versionen einmischen zu wollen: Auf jeden Fall hat Olli richtig dargelegt, wie Spannung aufgebaut wird. Und wenn es in einem Buch, Film oder Hörspiel um Spannung geht, ist das das A und O des Grundprinzips. Wenn gleich Anfangs eine Offenbarung des eigentlichen Geheimnisses erfolgt, dann hilft auch keine technische Perfektion in der Darstellung.
    Plausible Parallele: Die vielen Verfilmungen der Geheimnisvollen Insel. In mehreren Filmversionen vergehen keine 10 Minuten und Kapitän Nemo rettet für alle sichtbar Cyrus Smith aus den Fluten. Jetzt hat der Filmemacher allerdings das Problem, sein GEHEIMNIS als solches weiter zu verkaufen. VIelleicht folgen aus diesem Grunde die teilweise an den Haaren herbei gezogenen Erfindungen und "geistig und / oder moralische Ausrutscher" Kapitän Nemos.
    Auf jedem Fall bin ich neugierig, wie eure Argumentation weitergeht. Die Thematik Hörerlebnis und Einschätzung geht ja auch einher dem Leseerlebnis. Es scheint eine spannende Geschichte zu werden.
    :]

  • Ich habe mir gestern mal beide Versionen (aktuelle CD-Neuauflagen) angehört.


    Beide Hörspiele sind von der Handlung sehr ähnlich. Die Unterschiede sind eher marginal, wenn mal mal davon absieht, dass die Charakterissierung der Figuren in beiden Hörspielen unterschiedlich angelegt ist.


    Die Maritim-Produktion hat mMn die besseren Stimmen, die Europa-Fassung die besseren Effekte. Im allgemeinen scheint die Europa-Fassung etwas kinderfreundlicher zu sein als die von maritim.


    -SCHEUCH-