Klien: "Kritik im Moment ziemlich verschärft"

  • 30. Juni 2006 - 02:34 Uhr

    Christian Klien im ausführlichen Interview über seine Situation bei Red Bull, die Rennen in Nordamerika und die geplanten Neuerungen bei Red Bull Racing


    (F1Total.com) - Christian Klien ist im Moment wahrscheinlich der meistkritisierte Fahrer der Formel 1: Der Österreicher, nach Nico Rosberg nach wie vor zweitjüngster Grand-Prix-Pilot im gesamten Feld, wird in diesem Jahr regelrecht vom Pech verfolgt, hat daher erst einen einzigen WM-Punkt vom Saisonauftakt in Bahrain auf seinem Konto.


    Dass der 23-Jährige momentan viel schlechte Presse bekommt, liegt jedoch keineswegs an seinen Leistungen, die sich im direkten Vergleich zu David Coulthard durchaus sehen lassen können, sondern vielmehr an seinem eigenen Team, welches ihn ganz offiziell über die Medien und - in noch klareren Worten - bei abgeschalteten Diktiergeräten kritisiert und im Stich lässt. In Indianapolis sprach der Red-Bull-Racing-Pilot ausführlich über seine derzeitige Situation.


    Montréal war eigentlich ein gutes Rennwochenende


    Frage: "Christian, wenn man sich die Kritiken so anhört, war Montréal kein Rennen, das dir für deine Karriere weitergeholfen hat..."
    Christian Klien: "Tja, im Moment bleibe ich nicht verschont, aber ansonsten war es eigentlich ein gutes Rennen. Es war schön zu sehen, dass das Auto im Rennen konkurrenzfähiger war als in den letzten Rennen. Wir waren auf Punktekurs. Jammerschade, dass der Gang gebrochen ist, denn dadurch habe ich zwei Positionen verloren. Ansonsten wäre es ein gutes Rennwochenende gewesen, auch mit einem guten Qualifying. Wir konnten das erste Mal wieder aus eigener Kraft in die Punkte fahren. Vor der Safety-Car-Phase habe ich sieben Sekunden auf Button aufgeholt, war deutlich schneller als er."


    Frage: "Dein Ausritt kurz vor Schluss passierte wegen eines technischen Problems. Was war genau los?"
    Klien: "Der erste Gang ist gebrochen, direkt beim Runterschalten in die Spitzkehre. Ich erwischte die Kurve fast nicht mehr und verlor dadurch zwei Plätze kurz vor Rennende. Das ist bitter, denn ich war im Qualifying um eine halbe Sekunde schneller als David (Coulthard; Anm. d. Red.), und ich war auch im Rennverlauf schneller unterwegs. Wenn man die ganze Saison nimmt, dann hatten wir neun Rennen - und in sechs davon war es ein technischer Defekt."


    Frage: "Bei David Coulthard hat das Team eine Warnung ausgegeben..."
    Klien: "Bei ihm trat das während der Safety-Car-Phase auf, so dass er mit dem Team kommunizieren konnte. Dadurch konnten sie ihn vorwarnen, was bei mir leider nicht der Fall war. Sicher hätte mir das Team einen Funkspruch geben können, um mich zu warnen, aber wenn sie bei mir auf den Daten nichts sehen, wie sollen sie mir dann einen Funkspruch geben? Man verwendet den ersten Gang halt nur in der Spitzkehre - und dort ist er gebrochen. Dann hat man natürlich keine Motorbremse mehr, wodurch ich die Kurve gar nicht mehr erwischen konnte."


    Frage: "Wie muss man sich das vorstellen, wenn ein Gang bricht? Was passiert da?"
    Klien: "Der raspelt quasi durch. Es kommt darauf an, wie der Defekt ist, aber bei mir hat es die Spitzen weggeraspelt. Der Gang war halb drin, hat aber nicht richtig gegriffen. Das war wahrscheinlich ein Materialfehler, auch wenn wir es noch nicht genau wissen."


    Frage: "Wie berechtigt findest du die momentane Kritik an deiner Person?"
    Klien: "Kritik gibt es in der Formel 1 immer, aber im Moment ist es schon ziemlich verschärft. Es ist natürlich schwierig, Resultate zu zeigen, wenn oft irgendwas am Auto ist oder es technische Probleme gibt. Im Endeffekt muss man das ganze Wochenende anschauen, nicht nur die einzelnen Probleme."

    Klien verwundert über Kritik aus den eigenen Reihen


    Frage: "Bist du verwundert, dass diese Kritik nicht nur außerhalb des Teams entsteht, sondern vom Team selbst kommt?"
    Klien: "Schon, ja, aber dazu kann ich nicht viel sagen."


    Frage: "Hast du abgesehen vom Red-Bull-Racing-Vertrag, der am Jahresende ausläuft, auch einen zeitlich unbegrenzten Vertrag mit Red Bull?"
    Klien: "Ja. Ich habe immer nur einjährige Verträge mit Option. Das ist auch dieses Jahr wieder der Fall, dass ich einen einjährigen Vertrag mit Option für nächstes Jahr habe. Das war vergangenes Jahr schon so und das Jahr davor auch."


    Frage: "Und bis wann läuft dein Vertrag mit der Firma Red Bull?"
    Klien: "Bis 2008, glaube ich."


    Frage: "Beinhaltet der ein garantiertes Cockpit - notfalls außerhalb der Formel 1?"
    Klien: "Nein. Das steht nicht im Vertrag."


    Frage: "Wer sind im Team die, die im Endeffekt die Entscheidung treffen werden?"
    Klien: "Die Fahrerentscheidung macht Mateschitz. Er hat natürlich seine Leute, die ihm Informationen zubringen."


    Frage: "Hattest du mit ihm in letzter Zeit Kontakt?"
    Klien: "Ich habe nach Montréal mit ihm telefoniert, ja. Er ist ganz relaxt, hört sich das immer an und sammelt Informationen. Er geht da sehr diplomatisch vor."


    Frage: "Hast du ihn explizit auf deine Situation angesprochen?"
    Klien: "Nein. Wenn ich zurück in Europa bin, werde ich versuchen, mit ihm nach Salzburg zu kommen."


    Frage: "Worauf wird es hier in Indianapolis ankommen?"
    Klien: "Die Strecke und die Flügeleinstellungen sind ähnlich wie in Montréal. Es gibt eine schnelle Gerade und ein langsames Infield. In Montréal waren wir gut dabei, denn wir haben dort besser ausgeschaut als in den Rennen davor. Ich hoffe, dass das hier ähnlich sein wird."

    Top-10-Qualifying in Indianapolis das große Ziel


    Frage: "Wo siehst du euch von der Performance her?"
    Klien: "Ähnlich wie bei den letzten Rennen - irgendwo zwischen zehn und 15 im Qualifying. Beim letzten Rennen war ich sehr knapp an den Top 10 dran, bis auf zwei Hundertstel, und hoffentlich können wir es diesmal umsetzen und in die Top 10 kommen. Dann sieht auch der Rennverlauf ganz anders aus."


    Frage: "Die Abstimmung ist hier besonders schwierig, weil es einerseits die längste Vollgaspassage der ganzen Saison gibt, andererseits aber auch das kurvige Infield."
    Klien: "Schon, ja. Die lange Gerade drängt einen natürlich dazu, wenig Flügel zu fahren. Das Infield ist eher langsam, dort braucht man eher mechanischen Grip. Es ist eine Balance, das richtige Setup zu finden, aber ich denke, dass es eine Strecke ist, wo alle Teams sehr eng beisammen liegen werden."


    Frage: "Gibt es hier Überholmöglichkeiten?"
    Klien: "Es gibt auf jeden Fall Überholmöglichkeiten - nach der langen Geraden, wo man sich wirklich im Windschatten ansaugen kann."


    Frage: "Wie schnell war das Reifenfiasko von 2005 eigentlich für dich vergessen?"
    Klien: "Das ging ziemlich schnell, denn ich hatte ein paar Tage später einen Sponsortermin von Michelin in South Carolina, hatte also einiges zu tun."


    Frage: "Wie seid ihr Fahrer heute hier begrüßt worden? Recht positiv, oder?"
    Klien: "Absolut gut. Man merkt gar nichts mehr davon, was vergangenes Jahr passiert ist, dass wir nicht fahren konnten. Wir hatten heute schon Autogrammstunden und Interviews mit den Fans. Da merkt man, dass die wirklich motorsportbegeistert sind, und es ist wichtig, ihnen dieses Wochenende eine gute Show zu bieten."


    Frage: "Was hat Michelin nach dem Fiasko vom vergangenen Jahr diesmal zu bieten?"
    Klien: "Ich glaube, von den Reifen sind wir dieses Jahr sicher auf einem sicheren Weg. Da sollte es keine Probleme geben. Michelin macht dieses Wochenende sehr viel für die Fans. Wir waren heute Morgen schon bei Faninterviews und Autogrammstunden. Sie machen wirklich viel, um das Image wiederherzustellen und den Fans ein super Rennwochenende zu bieten."


    Frage: "Glaubst du, dass Michelin jetzt besonders auf Haltbarkeit geachtet hat?"
    Klien: "Absolut. Sie haben sich besonders angestrengt, sind vielleicht aber ein bisschen den konservativen Weg gegangen, um einen sicheren Reifen herzustellen. Ich denke schon, dass sie sich sehr bemüht haben, dass wir auch hier gut ausschauen werden."

    Klien hält den Grand Prix der USA für wichtig


    Frage: "Bernie Ecclestone sagt, dass die Formel 1 Amerika nicht braucht. Wie siehst du das?"
    Klien: "Ich denke schon. Wenn man sieht, wie viele Fans hier wirklich sind - und das sind echte Motorsportfans -, dann denke ich schon, dass es wichtig ist, hier zu fahren."


    Frage: "Gefällt dir Amerika prinzipiell?"
    Klien: "Prinzipiell gefällt es mir. Es ist immer wieder etwas ganz anderes als die Rennen in Europa, und ein Wechsel tut manchmal ganz gut."


    Frage: "Eines der Gerüchte in letzter Zeit lautet, dass du schon bald in Amerika für Red Bull fahren könntest..."
    Klien: "Das Gerücht habe ich noch nie gehört. Das ist wirklich nur ein Gerücht."


    Frage: "Wäre es reizvoll für dich, mal ein NASCAR-Auto zu fahren?"
    Klien: "Vielleicht zum Ausprobieren, aber nicht zum Rennen fahren. Das ist doch etwas total anderes, aber mich interessiert nur die Formel 1."


    Frage: "Wie geht es nach Indianapolis für dich weiter? Erstmal ein bisschen Pause?"
    Klien: "Gar keine Pause, sondern ich fliege direkt zum Testen nach Jerez. Am Montag steige ich in den Flieger, am Dienstag bin ich dann einen Tag lang zu Hause und dann geht es nach Jerez."


    Frage: "Für Magny-Cours bekommt ihr ja einige neue Teile. Stammen die direkt von Adrian Newey?"
    Klien: "Newey arbeitet hauptsächlich am nächsten Jahr."


    Frage: "Wie sieht es mit eurem neuen Getriebe aus?"
    Klien: "Wir werden es nächste Woche in Jerez testen und wollen es in Magny-Cours einsetzen. Hier in Nordamerika hatten wir es gar nicht dabei, weil es beim Testen in Monza damit zu viele Probleme gegeben hat. Getriebeprobleme gibt es eigentlich immer nur mit diesem Getriebe. Man muss teamintern schauen, die Standfestigkeit zu verbessern, aber gleichzeitig das Auto schneller zu machen. Das überschneidet sich, und darum geht im Moment nicht wirklich viel weiter."


    Frage: "Wie laufen die Fortschritte mit dem neuen Auto?"
    Klien: "Es gibt schon einige Teile für das neue Auto, aber das befindet sich alles gerade im Design. Die Kühlung wird ein bisschen anders gemacht, die Lage der Kühler wird ein bisschen verändert. Der Unterboden ist ganz neu. Wir haben am RB2 immer noch Löcher am Seitenkasten, damit die Hitze raus kann, was natürlich in der Aerodynamik kostet. Wenn wir die Kühlung effizienter und besser machen, brauchen wir diese Löcher nicht mehr, was mehr Abtrieb bedeutet."