Ein Spiel gegen die Geschichte

  • Italien vor dem Halbfinale gegen Deutschland
    Von Marcus Bark


    Es ist ein, wenn nicht gar der Klassiker im europäischen Fußball. Am Dienstag (04.07.06, 21 Uhr, live bei sport.ARD.de) geht es im Duell zwischen Italien und Deutschland darum, wer ins Endspiel der Weltmeisterschaft einzieht.


    Der Fußball ist in gewissen Dingen vorhersehbar. Wenn die Engländer ins Elfmeterschießen gehen, wissen sie, dass sie verlieren werden. Die Franzosen wissen, dass ihnen die Brasilianer nichts anhaben können. Bei den Italienern sind es die Deutschen, die ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Enzo Bearzot, der die Squadra Azzurra 1982 als Trainer zum bislang letzten von drei WM-Titeln führte, sagte: "Gegen Deutschland gewinnen wir immer. Wir sind ihnen überlegen, das zeigt die Historie. Das wissen die Deutschen, deshalb fürchten sie uns."


    Der aktuelle Trainer Marcello Lippi musste gar nicht darauf hingewiesen werden, dass die bloße Anwesenheit kaum reichen wird. Er hatte schon mehrfach betont, dass er die deutsche Mannschaft für einen sehr starken Gegner halte. Vielleicht wollte ihn ein italienischer Reporter noch sensibler für die Gefahren machen, als er auf die Bilanz der Deutschen in Dortmund aufmerksam machte: 13 Siege, ein Unentschieden, keine Niederlage. Der Konter von Lippi war so effektiv, wie er es bei seiner Elf auch gerne sieht: "Ich habe hier zweimal mit Juventus Turin gewonnen." Damit war dieses Thema erledigt. Es gab aber noch viele andere, deshalb dauerte die Pressekonferenz am Montag (03.07.06) fast so lange wie das Abschlusstraining zuvor.


    Manipulationsskandal kein Thema


    Ganz aktuell galt es, von Lippi eine Stellungnahme zur Sperre von Torsten Frings zu erhaschen. Das Gerücht hatte sich ja hartnäckig gehalten, dass ein italienischer Fernsehsender den Weltverband FIFA erst auf die Tätlichkeit aufmerksam gemacht habe. Gekonnt wie Francesco Totti bei einem Sololauf, wich Lippi der Falle aus: "Ich kann nur sagen, dass niemand vom italienischen Verband eine Sperre gegen Frings gefordert hat."


    Bliebe dann an brisanten Themen noch "diese Geschichte in Italien", wie der Dolmetscher den Manipulationsskandal verniedlichte. Seit Beginn der WM schaffen es Spieler und Lippi, diese "Geschichte" zu verdrängen. Je länger die Mannschaft erfolgreich ist, desto länger wird ihnen das weiterhin gelingen. "Ich habe immer Vertrauen in diese Mannschaft gehabt", sagte Lippi am Montag. Das war zwar auch keine befriedigende Antwort. Aber immerhin zeigte sie der großen Medienschar in dem viel zu kleinen und stickigen Raum, dass die Italiener dem Klassiker gelassen entgegen sehen.


    Diesen Eindruck erweckten sie auch schon vorher während des Trainings. Zwangsläufig übten sie dabei das Verschieben. Bei Temperaturen von mehr als 30 Grad bemühten sich die Spieler, immer in dem Korridor zu bleiben, der im Schatten lag. Die Stimmung war gelöst. Das Spiel auf kleinem Feld war unterhaltsamer und temporeicher als manche WM-Partie. Im Miniformat zeigten sich die Stärken der Azzurri. Die Abwehrreihen standen sicher, und wenn sich doch eine Chance ergab, war der Ball häufig im Tor.


    Marcello Lippi hat keinen Grund, an diesem Prinzip zu rütteln. Genauso wenig wird er an seiner Formation etwas ändern. Einzig Marco Materazzi dürfte nach seiner Sperre wieder für Andrea Barzagli in die Viererkette rücken. Weiterhin verzichten muss Lippi auf Alessandro Nesta, der wegen einer Adduktorenverletzung nicht mittrainierte. Daniele De Rossi ist noch gesperrt.
    "Das wird ein ganz anderes Spiel"


    Marcello Lippi hatte vor der WM wegen seiner noch zu klärenden Verwicklungen in "diese Geschichte" einen schweren Stand in Italien. Die Kritiker haben sich inzwischen zu Lobrednern aufgeschwungen. Lippi und Jürgen Klinsmann haben in diesem letzten Punkt also etwas gemein. Der Bundestrainer würde sicherlich auch sagen, was Lippi am Montag sagte: "Es ist schön, dass die Leute die Liebe zur Nationalmannschaft wieder gefunden haben." Das Schönste für Klinsmann wäre aber, wenn Lippi damit Recht behielte, welche Bedeutung der 4:1-Sieg in Florenz am 1. März 2006 noch habe: "Das wird ein ganz anderes Spiel."


    Stand: 03.07.2006, 22:00 Uhr
    Quelle: ARD