Inga on Tour: Englischer Sommerregen

  • Die 'Motorsport-Total.com'-Reporterin über die kleinen und großen Besonderheiten eines Formel-1-Rennens in Silverstone


    (Motorsport-Total.com) - Hallo liebe Formel 1 Fans!


    Die Fish und Chips erwarten uns - auf geht's, zum traditionsreichsten Grand Prix, zu den wahren Gentlemen des Motorsports, nach Silverstone, einem kleinen Ort in der Grafschaft Northamptonshire, etwa 150 Kilometer nördlich von London in der Hügellandschaft von Northants, acht Kilometer von Towcester und etwa neun Kilometer von Buckingham und Brackley entfernt. Silverstone ist der älteste Formel-1-Kurs. 1950 wurde hier der erste Grand Prix im Rahmen der Formel 1 gefahren.


    Nach den Unfällen 1994 wurde er umgebaut und ist damit sicherer geworden, aber auch langsamer. Das Erste aber, was hier auffällt, sind die kilometerlangen Staus rund um die Rennstrecke. Und man könnte fast meinen, dass seit den Tagen des ersten Grand Prix die Zufahrtstraßen nicht verbreitert wurden. Geduldig, und Warten gewöhnt, reihen sich die Briten in die Staus ein, 10 Kilometer in 3 Stunden ist schon schnell, auch wenn die neue Umgehungsstraße einiges gebracht hat!


    Höhepunkt des Silverstone-Wochenendes war jahrelang nicht nur das Rennen, sondern die von Jordan-Chef Eddie Jordan veranstaltete Party danach im Fahrerlager. Prominente Gäste gaben beim Open-Air-Konzert auf der Bühne ein Gastspiel. Neben den meisten Formel-1-Piloten, die sich im Singen, Tamburinspielen und Tanzen versuchten, waren traditionell Eddie Jordan selbst an den Drums, Chris Rea und Pink-Floyd-Schlagzeuger Nick Mason mit dabei. Heute wird meist ein Open Air auf oder in der Nähe des Streckengeländes veranstaltet, das nicht nur der Musik wegen stark besucht wird: Stunden nach dem Rennen ist noch immer riesiger Stau rund um Silverstone und an Wegfahren sowieso nicht zu denken.


    Hotels oder offizielle Bed and Breakfasts gibt es in Streckennähe nicht viele, die meisten Teams wohnen in Northampton oder Oxford - viele können auch zu Hause schlafen, denn für Renault, McLaren, Williams, Honda, Red Bull Racing und Super Aguri ist dies der Heim-Grand-Prix, ihre Fabriken liegen in der Nähe. Die ehemalige Jordan-Fabrik, in der jetzt die Spyker-Boliden gebaut werden, liegt sogar genau gegenüber vom Streckeneingang.


    Ich wohne seit Jahren direkt in Silverstone in einem kleinen privaten Bed and Breakfast bei Paul und Heather - ein Geheimtipp, nur 5 Minuten vom Fahrerlager entfernt. Wenn kein Stau ist! Jeden Morgen wacht man auf und riecht den köstlichsten Backstubenduft. Heather backt jedes Wochenende 20 bis 40 Kuchen und Torten, die sie dann auf dem Markt im Nachbarort verkauft. Wenn mal einer auseinanderbricht oder leicht verbrennt, dürfen wir auch mal probieren, doch das passiert so gut wie nie. Und so gehe ich dort jeden Morgen an den köstlichsten Kuchen vorbei um, mit knurrendem Magen, Richtung Fahrerlager zu düsen. Dort gibt's dann ja auch was zu Essen.


    Zum Abendessen kann man in Silverstone in einen der beiden Pubs gehen, oder aber auf dem Jahrmarkt dem Haupteingang der Rennstrecke gegenüber. Dort gibt es - oh Wunder - Fish and Chips. Traditionell aus Zeitungspapier. Wenn man will auch noch mit dem - ebenso traditionell englischen - Erbsenpüree. Kinder-Karussell, Preisschießen, Bunjeeball, Zuckerwatte und Ringewerfen, alles wie auf einem normalen Jahrmarkt eben.


    Doch das Besondere: Einige Stände sind wahre Schatzgruben. Hier kann man Formel 1- und Motorsportbücher finden, die wahre Raritäten sind. Fotos aus Jahrzehnten Formel 1, teilweise mit vergilbten Autogrammen längst begrabener Rennstars. Da merkt man eben, hier ist Motorsportgeschichte immer noch lebendig. Interessant und typisch englisch auch noch etwas anderes: Selbst nach übermäßigem Guinness-Genuß bleibt der englische Motorsportfan höflich, rempelt er einen an, weil er eben nicht mehr gerade gehen kann, entschuldigt er sich vielmals im höflichsten englisch und wankt weiter.


    Ich hoffe ja sehr, dass das Wetter sich freundlich erweist, als es zurzeit hier bei uns ist. Rollkragenpulli und Regenjacke sind eingepackt, die wasserfesten Schuhe auch. Vor einigen Jahren (2000) haben aber auch die nichts genützt, da hat es in Silverstone so stark geregnet, dass alle Wiesen unter Wasser standen und wir auf dem Presseparkplatz beim Aussteigen erst mal knöcheltief im Schlamm versanken. Die Engländer schien das eher weniger zu schockieren, sie zogen ihre Wohnwagen mit Traktoren durch den Schlamm, bauten die Vorzelte auf Holzplanken auf und campierten wie eh und je am Grand-Prix-Wochenende rund um die Strecke. Zum Aufwärmen gab's dann eben warmes Bier oder einen ordentlichen Schuss Rum in den Tee.


    Aufwärmen musste sich der verrückte irische Priester Father Horan 2003 nach dem Rennen im Gefängnis. Er hatte - leicht bekleidet - 2003 das Rennen gestört: Er lief mit Transparenten über die Strecke und hätte fast einen Unfall verursacht. Die Polizei nahm ihn in Gewahrsam. Dort hätten sie ihn mal behalten sollen, denn ein Jahr später war er wieder zu sehen: zum Beispiel als er bei den Olympischen Spielen in Athen den Marathonlauf störte und einer Läuferin in die Quere kam.

    Geschichte/Buntes


    Der erste Grand Prix wurde zwar 1906 in Frankreich gefahren, aber der erste WM-Lauf zur Formel 1 fand 1950 in England statt, dort wurden die ersten Formel-1-WM-Punkte vergeben. Bis 1987 wechselte sich Silverstone erst mit Aintree und dann mit Brands Hatch ab.


    1926 wurde der erste Große Preis von England auf dem Kurs von Brooklands ausgetragen. Donington veranstaltete zwischen 1935 und 1938 seinen eigenen Grand Prix, aber Silverstone in Northamptonshire unterschrieb die Exklusivrechte. Silverstone ist im Besitz und wird betrieben vom 'British Racing Drivers' Club' und ist seit 1987 ständiger Austragungsort des Großen Preises von England. Als die Strecke 1948 eröffnet wurde, wurden die Start- und Landebahnen sowie Verbindungsstraßen des alten Kriegsflughafens benutzt, sie war einstmals schnellster Kurs der Welt. Seitdem wurde sie ständig verbessert, um den Ansprüchen der Fahrer und des Reglements gerecht zu werden. Einige Kurven wurden umgebaut, um die Sicherheit zu erhöhen und die Rennen für die Zuschauer noch attraktiver zu machen.


    Der Kurs


    Eine anspruchsvolle Strecke mit einmaliger Kurvenmischung aus schnell und langsam - verlangt viel Power und eine optimale Fahrzeugabstimmung. Schlüsselstelle ist die Club-Kurve: Am Anfang ist sie eng, zum Ausgang geht sie weit auf. Für die Teams ist die richtige aerodynamische Abstimmung die große Herausforderung: Zum einen muss für die schnellen Kurven möglichst viel Grip aufgebaut werden, zum anderen verlangen Passagen wie die Hangar-Gerade möglichst flache Flügel.


    Silverstone ist eine Rennstrecke mit mittlerem bis hohem Abtrieb und besitzt eine ähnliche Streckenoberfläche wie Barcelona. Die Copse-Kurve ist schneller als man denkt: kurz herunterschalten und dann gleich wieder aufs Gas. Dadurch, dass die Fahrzeugstabilität bei hoher Geschwindigkeit hier so wichtig ist, ist es nicht leicht, das richtige Setup für das Auto zu finden. Im Prinzip sucht man ein Setup, mit dem das Fahrzeug bei hoher Geschwindigkeit ohne Probleme durch die schnellen Kurvenkombinationen fahren kann. Gleichzeitig braucht man gute Traktion und mechanischen Grip für die langsamen Kurven im Infield, wie der Abbey-, Luffield- und Priory-Kurve, sowie den ersten Teil von Woodcote.


    Das Rennen wird über eine Distanz von 308,355 Kilometer (60 Runden) ausgetragen. Der Start findet aus der Woodcote-Kurve heraus statt, damit ist es der einzige Kurvenstart der Formel 1. Bei keinem anderen Grand Prix sind so viele äußerst fachkundige Besucher, schließlich hat Motorsport in England Tradition. Jim Clark gewann auf Lotus in den 60er Jahren fünf der Rennen, vier davon in Serie. Ebenfalls fünfmal siegte Alain Prost, während Nigel Mansell seinen Heim-Grand-Prix viermal gewinnen konnte.

    Rückblick 1999


    38 Sekunden nach dem Start - die roten Flaggen werden bereits geschwenkt, um den Rennabbruch zu signalisieren, aber Michael Schumachers Ferrari hat Funkprobleme. Er hörte die Nachricht des Teams nicht und gibt Vollgas. Kurz vor der Stowe-Kurve versagen die Hinterradbremsen, er hat keine Kontrolle mehr und schießt durch den Kies. Alle halten den Atem an - mit 107km/h knallt der Ferrari frontal in die Reifenstapel!


    Die Frontpartie ist völlig zerstört. Sekundenlang herrscht Stille, dann hebt Michael Schumacher die Hand, den Daumen hoch, er hatte einen unglaublichen Schutzengel! Dennoch, das rechte Schien- und Wadenbein sind gebrochen, der Titelkampf findet ohne ihn statt. Erst 98 Tage und sieben Rennen später startet er in Malaysia sein Comeback. Das Rennen gewinnt David Coulthard vor Eddie Irvine und Ralf Schumacher.


    So, jetzt schauen wir aber nach vorne, auf geht#s in den englischen Sommerregen zu einem hoffentlich spannenden Rennen.


    Euch viel Spaß, viele Grüße,
    Eure Inga Stracke von der Strecke - in Zusammenarbeit mit Britta Weddige