Stuck macht sich "Sorgen" um die Formel 1

  • 09. September 2007 - 19:45 Uhr

    'Motorsport-Total.com'-Experte Hans-Joachim Stuck über mögliche Folgen des Spionageskandals und die Situation in der Weltmeisterschaft


    (Motorsport-Total.com/Premiere) - Der Spionageskandal um McLaren-Mercedes war an diesem Wochenende in Monza natürlich das bestimmende Thema, mit dem sich auch 'Motorsport-Total.com'-Experte Hans-Joachim Stuck auseinandersetzen musste: "Ich mache mir große Sorgen um die Formel 1! Der Spionageskandal schadet dem Sport, und für Mercedes-Benz ist so etwas der Super-GAU", analysierte er.


    "Die FIA muss handeln und Zeichen setzen", erklärte der ehemalige Formel-1-Pilot. "Ich hoffe, dass die Strafe im Sinne des Sports ausgesprochen wird. Die Aberkennung der McLaren-Konstrukteurspunkte wäre eine angemessene Strafe. Ron Dennis muss damit rechnen, dass er von Seiten Mercedes' Schwierigkeiten bekommt. Es müssen Köpfe rollen, weil einer immer hinhalten muss und das meistens der Chef ist. Das dicke Ende kommt für Ron Dennis noch: Die Urteile stehen an und er hat mit weitreichenden Konsequenzen zu rechnen."


    Sportlich habe McLaren-Mercedes in Monza einen "verdienten" Sieg eingefahren: "Im Ferrari-Heimatland das Ferrari-Team so zu bügeln, ist für die Tifosi und ganz Italien die absolute Höchststrafe. Ich bin mir sicher, dass auch der Papst die Fahne einrollen wird!" Und wie siehst du die WM-Situation, Hans? "Wenn Fernando Alonso seine Performance weiter so hält wie in den letzten beiden Rennen, kann er die WM noch drehen", entgegnete er. "Wenn sie das gleiche Auto haben, dann halte ich Hamilton aber für den Stärkeren!


    Und: "Ferrari würde ich auf gar keinen Fall abschreiben."

  • 'Motorsport-Total.com'-Experte Marc Surer analysiert, warum die Spionageaffäre überbewertet wird und wie es in der WM weitergehen könnte


    (Motorsport-Total.com) - Frage: "Marc, McLaren-Mercedes feiert im Ferrari-Land einen Doppelsieg und Ron Dennis verdrückt Freudentränen..."
    Marc Surer: "Die Tränen waren sicherlich einerseits aus Freude, andererseits auch aus Frust, denn was mit dem Team momentan passiert, ist schon hart. Wenn selbst die Polizei auftaucht und ihm mitteilt, dass gegen ihn eine Untersuchung läuft, also nicht nur von FIA-Seite, dann bringt das auch einen coolen Engländer ins Wanken."


    Frage: "Seine Frau hat ihn ja umarmt und die Tränen weggeküsst. Das hat man in der Formel 1 von diesem Menschen noch nie gesehen."
    Surer: "Er gilt ja immer als cooler Mann, aber ich glaube, es ist jetzt einfach zu viel geworden, was da auf ihn einprasselt - mit Vorwürfen, die er natürlich als völlig ungerechtfertigt zurückweist. Vielleicht stimmt es auch, dass er selbst gar nichts damit zu tun hatte, sondern dass es sein Team einfach gemacht hat. Das trifft ihn besonders hart. Das ist sein Lebenswerk, das dürfen wir nicht vergessen - und das wankt jetzt plötzlich."

    Dennis' Lebenswerk ist in Gefahr


    Frage: "Die Situation ist ja eine andere als bei einem reinen Werksteam wie Toyota, oder?"
    Surer: "Genau. Da sind es einfach Manager - die werden ausgewechselt, wenn nötig. Hier ist es das Lebenswerk eines Mannes. Ich habe seine Karriere ja mitverfolgt und kann mich noch erinnern, als er ein Formel-3-Team hatte und sich hochgearbeitet hat bis in die Formel 1 und zum besten Formel-1-Team. Somit ist das natürlich für ihn doppelt tragisch."


    Frage: "Ist es nicht ein bisschen fragwürdig, wenn die italienische Staatsanwaltschaft auf italienischem Boden, beim Heimrennen des italienischen Ferrari-Teams, ausgerechnet vor dem Qualifying auf einmal daherkommt?"
    Surer: "Genau. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es gesteuert war."


    Frage: "Woher?"
    Surer: "Der italienische Automobilverband hat natürlich einen großen Einfluss hier, Ferrari selbst hat einen großen Einfluss. Dass man da jemanden genau am falschen Ende und im falschen Moment erwischt, das könnte wirklich gesteuert gewesen sein."


    Frage: "Am Donnerstag findet die Anhörung vor dem World Council statt. Wie geht es jetzt weiter?"
    Surer: "Wir sind alle gespannt, was da rauskommt. Ich denke, dass noch viel anderes aufgedeckt wird, denn es ist nicht so schwarz-weiß, wie wir alle glauben. Es wird immer kopiert, es werden auch immer Daten transferiert - selbst ein Mechaniker weiß über die Gewichtsverteilung eines Autos Bescheid, denn wenn er das Auto auf die Waage schiebt, sieht er die. Auch die FIA kennt die Gewichtsverteilung. Es gibt immer Leute, die über so was Bescheid wissen. Diese Daten bleiben nicht geheim - und somit ist es total überbewertet, was hier passiert ist. Und ich muss ganz klar sagen: Wie war es möglich, dass 780 Seiten bei Ferrari verschwunden sind? Das hat nicht ein Mann gemacht - entweder es war eine Verschwörung oder es war gesteuert."


    Frage: "Es wechseln ja laufend Ingenieure ihr Team. Da geht laufend Wissen und Know-how mit."
    Surer: "Genau. Wenn jemand bekannt gibt, dass er zu einem anderen Team wechselt, wird er in der Regel sofort freigestellt, damit er nichts mehr mitkriegt - genau wie ein großer Manager einer Firma sofort freigestellt wird, wenn er die Absicht äußert, die Firma zu verlassen. Selbst ein Mechaniker - man unterschätzt das - weiß über das Auto Bescheid. Der hat doch die ganzen Maße im Kopf, wie ein Auto eingestellt und vermessen wird."

    Was Abstimmungsdaten bringen können


    Frage: "Zwischen Fernando Alonso und Pedro de la Rosa soll es brisanten E-Mail-Verkehr gegeben haben. Kann ein Fahrer mit Abstimmungsinformationen eines ganz anderen Autos überhaupt etwas anfangen?"
    Surer: "Nur in Zusammenarbeit mit dem Ingenieur. Der Ingenieur muss die Daten auch umsetzen können, aber natürlich ist es interessant für einen Fahrer, wenn er weiß: 'Aha, die probieren jetzt mehr Gewicht auf der Vorderachse, also probieren wir es auch! Was sind die für einen Sturz gefahren? Dann wird die Spur so eingestellt und so weiter.' Das interessiert dich als Fahrer. Du möchtest es wissen und dann auch ausprobieren. Vielleicht führt dich das in die richtige Richtung, auch wenn es auf deinem Auto nicht unbedingt funktionieren muss. Es ist nicht so, dass solche Daten das Auto plötzlich schneller machen."


    Frage: "Fahrer wechseln ja auch von einem Team zum anderen - und das ohne Pause!"
    Surer: "Richtig. Die nehmen die Daten auch mit. Die haben das im Kopf - wenn sie es nicht zu Hause im Laptop sowieso gespeichert haben, welches Rennen sie mit welcher Einstellung gefahren sind. Da passiert auch viel Datentransfer. Deswegen sage ich: Es wird überbewertet, wie das passiert ist, und die Quelle, wo es herkam, muss sich wirklich auch Gedanken machen, wie das passieren konnte."


    Frage: "Spionage hat es in der Formel 1 immer schon gegeben, zum Beispiel wurden in der Turboära Benzinproben geklaut. Wurde das damals auch so streng geahndet oder war das eher ein Kavaliersdelikt?"
    Surer: "Es gab in der Formel 1 sogar schon Leute, die in die Garage eingebrochen sind und die Autos vermessen haben. Der Lotus war seinerzeit das erste Wing-Car mit dem Ground-Effect. Da sind die Leute in die Garage eingebrochen! Man hat einmal einen Fotografen unter dem Auto hervorgezogen, der das für ein anderes Team ausgekundschaftet hat. Spionage gab es schon immer, das ist etwas ganz Normales in der Formel 1. Wenn es heute überbewertet wird, dann deswegen, weil es im Moment um die Weltmeisterschaft geht."

    Kritik am aktuellen Punktesystem


    Frage: "Gutes Stichwort. Da ist nämlich einer wahrscheinlich draußen, nämlich Felipe Massa."
    Surer: "Das Traurige an diesem Punktesystem ist, dass der, der einmal ausscheidet, draußen ist. Man darf bei diesem Punktesystem nicht ausfallen, daher finde ich es falsch, wie ich schon oft gesagt habe. Dabei bleibe ich nach wie vor, weil ein Ausfall die WM entscheiden kann."


    [/B]: "Zwischen Fernando Alonso und Lewis Hamilton ist es dafür hauchdünn."
    Surer: "Hoffen wir, dass die es wirklich auf der Strecke ausfahren können und dass nicht einer von beiden ausfällt und es dadurch entschieden wird."


    [B]Frage: "Hat Kimi Räikkönen überhaupt noch eine Chance? Ist eine der vier noch zu fahrenden Strecken vielleicht Ferrari-Terrain?"
    Surer: "Ich glaube, schon in Spa wird Ferrari viel stärker sein. Die hatten Probleme über die Randsteine - und die fehlen in Spa. Es gibt zwar auch eine Schikane, aber die ist nicht so tragisch. Spa ist eher wie die Türkei - und da war Ferrari überlegen. Ich glaube, dass sie in Spa eine gute Chance haben."


    Frage: "Muss Felipe Massa Kimi Räikkönen von jetzt an helfen?"
    Surer: "Von der Logik her schon. Ich glaube auch, dass Kimi in der Türkei nicht überholen durfte, denn er hat nie versucht anzugreifen. Jetzt müsste das Ganze umgedreht sein."


    Frage: "Das BMW Sauber F1 Team hat sich mit dem vierten und fünften Platz definitiv als dritte Kraft etabliert, nicht wahr?"
    Surer: "Ja. Die haben das ganz stark gemacht. Das Überholmanöver von Kubica gegen Rosberg auf der Außenbahn war eine Klasse für sich."


    Frage: "Nun geht es weiter nach Spa-Francorchamps, früher immer eine Mutstrecke. Heute sagen viele Fahrer, es ist gar keine Mutstrecke mehr..."
    Surer: "Nein, leider. Wir haben jetzt mit den V8-Motoren 200 PS weniger als beim letzten Mal, als dort gefahren wurde, daher sagen die Fahrer nach den Testfahrten, dass Eau Rouge problemlos voll geht. Somit ist natürlich eine Herausforderung weg, aber trotzdem: Spa ist eine Naturstrecke, es geht bergauf, bergab, es ist eine schnelle Strecke - ich finde, es kribbelt immer, wenn man in Spa fährt!"


    Frage: "Was glaubst du, wer dort die Nase vorne haben wird?"
    Surer: "Ich tippe, dass Ferrari dort ein bisschen stärker sein wird."