Ein Lotterie-Los

  • Eine kurze Passage im 14. Kapitel wurde in der Hartleben-Fassung nicht mitübersetzt und fehlt folglich auch bei Pawlak:
    "… Voilà quelle était l’explication de son attitude, et pourquoi elle
    vivait à l’écart, comme si elle eût voulu se cacher de ses enfants !
    Voilà enfin ce qu’elle n’avait jamais voulu dire à ceux dont elle avait
    compromis l’avenir. …"


    Übersetzung (aus der Paul Heichen-Fassung rauskopiert):
    "… darum ihre gebrochene Haltung! darum ihre Zurückgezogenheit, ihre Abgeschlossenheit, als wenn sie sich vor ihren Kindern hatte verstecken wollen! das also war es, was sie den Kindern, deren Zukunft sie gefährdet hatte, nie hatte sagen wollen! …"


    Edit:
    … Das war also das Geheimniß, welches auf ihrem Herzen lastete. [hier ist die Lücke] Ja, Sandgoïst[134] hatte recht wohl die Mittel in der Hand, seine Wünsche durchzusetzen. …
    von zeno.org kopiert. [134]: Seitenangabe Prachtausgabe.

  • Ich bewundere immer wieder solche Funde. Mir stellt sich die Frage: Vergleichst du die Texte parallel lesend (ggf. an Bildschirmen) oder machst du das mit Hilfe einer Software? Ich staune über die Akribie solcher Untersuchungen. Gerade bei einzelnen gefunden Satz-Lücken ...


    Bei gröberen Suchen lege ich immer die Bücher nebeneinander. Aber das geht nur, wenn man schon eine Ahnung hat oder eine These untermauern will. Ich vermute mal, du machst es professioneller.


    :thumbsup:

  • Ich glaube, das sieht jetzt akribischer aus als es ist. Ich hatte das eher „grob“ mit dem Original verglichen, wie auch an anderer Stelle schon erwähnt (Neue Jules Verne Bücher vom Nikol-Verlag). Meistens gehe ich beim Verne lesen so vor, dass ich eine deutsche Übersetzung nehme (in Buchform) und die Stellen, die mir („übersetzungstechnisch“) interessant oder fehlerhaft erscheinen, mit dem französischen Originaltext vergleiche (online, z.B. bei Wikisource). Wenn dann viele Stellen vorhanden sind, die ich interessant oder „verdächtig“ finde, ist die Untersuchung dann schon relativ akribisch, aber trotzdem findet man da bestimmt nicht alle Fehler oder Lücken. Jedenfalls mache ich am Rand Bleistiftnotizen, und in diesem Fall hatte ich jetzt mein „Pawlak-Lotterie-Los“ zur Hand genommen und noch mal durchgeblättert, et voilà, eine Lücke hatte ich markiert. Es könnte noch mehr geben, auch wenn ich eigentlich davon ausgehe, dass das dann nur ganz kurze Lücken sein dürften.

  • Bei der IT-technischen Beratung zur Gestaltung der neuen Club-Webseite unterstützte uns eine (Verne-)externe Gestalterin. Als sie sah, mit welchem Fleiß Bernhard und die anderen Mitstreiter die Seiten mit Leben erfüllten, kommentierte sie: "... man muss sehr von einer Sache begeistert sein, oder ein bisschen verrückt, wenn man sich so reinkniet".


    Das trifft bei dir bestimmt auch zu. Zumindest lässt es deine Arbeitsweis vermuten.


    Zurück zum oben erwähnten Gespräch: Aber wir stellten dann fest, dass viele Hobbies und auch Kunst, Literatur etc. genau von diesen Verrückten lebt. Und so gibt es eben immer wieder etwas Neues zu entdecken.


    Lassen wir uns also nicht beirren ....

  • Ja, wir sollten vor dem nächsten Urlaub beim Healthful House anfragen, ob grad noch Plätze frei sind :)


    Weitere Lücke im „Lotterie-Los“ – bei Hartleben vorhanden, bei Pawlak nicht:
    „… mit den ganz wie seine Lippen lächelnden Augen, der breiten Stirn, hinter der sich die edelsten Gedanken bequem entwickeln, und der breiten Brust, in der das Herz frei schlagen konnte.“
    (9. Kap., 3. Absatz)
    http://www.zeno.org/Literatur/…+Lotterie-Loos/9.+Capitel

  • @ Stahlelefant, vielen Dank für deine Ergänzung. Das ist schon eine schöne Hilfe, bei der Durchsicht des Textes für die geplante Neuveröffentlichung. Die mache ich ja dann zusammen mit Meiko Richert, und ich bin im Moment bei einer ersten Quersichtung. Da fallen einem dann auch solche Sachen auf, das bei Harleben im 6. Kapitel, bei der Ankunft von Herrn Sandgoïst die folgende von ihm gesprochene Dialogzeile steht:


    „Mein Wagen kann doch wohl eingestellt werden?“


    Da ich parallel immer auch einen Blick auf die Weichert-Übersetzung habe, fällt auf, das dort folgendes steht:


    „Mein Wagen kann doch sicher in ihrem Schuppen untergebracht werden?“ fragte er, auf der Türschwelle stehen bleibend, in rauhem Tone.


    Ich habe also mal den Originaltext herausgesucht und gesehen, das es auch dort nach dem Dialogsatz noch ein Anhängsel gibt:


    – On peut remiser ma kariol? demanda-t-il d'un ton rude, en s'arrêtant sur le seuil de la porte.


    In Ermangelung französischer Sprachkenntnisse, habe ich also mal einen Onlineübersetzer bemüht um wenigstens zu sehen, was da ungefähr stehen könnte. Sinngemäß kommt dabei anscheinend etwa folgendes heraus, wenn man auch die beiden deutschen Übersetzungen mit einbezieht:


    „Mein Wagen kann doch sicher in ihrem Schuppen untergebracht werden?“, fragte er in rauem Ton und blieb auf der Schwelle der Tür stehen.


    Da stehe ich also vor der Frage, was mache ich nun, wenn ich den Hartlebentext als Basis verwenden möchte.


    Noch haariger wird es im 8. Kapitel, fast am Ende, als Herr Sylvius Hog in die Karriole gesetzt wird. Bei Hartleben steht übrigens immer „Schußwagen“, womit ich am Anfang gar nichts anfangen konnte. Bei Hartleben liest man folgendes:


    Endlich erreichten alle die Sägemühle und Joël brachte sofort den Wagen in Ordnung.
    „Und Sie?“, wendete er sich fragend an Joël. „Ich habe Ihnen nun den Platz weggenommen …“
    „Einen Platz, den ich Ihnen von Herzen gern abtrete …“
    „Aber vielleicht mit schwerem Herzen? “
    „Nein … Nein! Ich habe meine Beine, werter Herr, ordentliche Beine, die sind für wie Landstraßen geschaffen …“
    „Und für so vorzügliche Landstraßen … nicht wahr, junger Freund?«


    Bei Weichert ist die identische Passage folgendermaßen übersetzt:


    Endlich aber erreichte man die Sägemühle, und Joel machte sich dabei, das Karriol anzuschirren.
    Nach Verlauf von fünf Minuten saß der Tourist neben dem jungen Mädchen in dem Kasten.
    „Und Ihr?“ fragte er Joel ... „mir scheint gar, ich habe Euch um Euern Platz gebracht?“
    „Den trete ich Ihnen ab mit ganzem Herzen!“
    „Aber wenn man ein bißchen zusammenrückte ...“
    „Nein, nein! ... ich habe meine Beine, mein Herr, und das sind Touristenbeine ... die sind so gut wie ein paar Räder ...“
    „Wie ein paar stramme Räder, mein wackerer Bursch! das muß ich wohl sagen: wie ein paar stramme Räder!“

    Das entspricht wohl im Original der folgenden Passage:


    Enfin, on atteignit la scierie, et Joël s'occupa d'atteler la kariol.
    Cinq minutes après, le voyageur était installé dans la caisse avec la jeune fille près de lui.
    — Et vous? demanda-t-il à Joël. Il me semble bien que j'ai dû prendre votre place…
    — Une place que je vous cède de bon coeur.
    — Mais peut-être en se serrant…
    — Non… Non!… J'ai mes jambes, monsieur, des jambes de guide! Ça vaut des roues…
    — Et de fameuses, mon garçon, de fameuses!

    Und da die beiden Übersetzungen hier doch erheblich voneinander abweichen, dachte ich mir, kann ein Onlineübersetzer vielleicht insofern weiterhelfen, das ich danach weiß, welche Übersetzung denn nun wohl
    näher am Original sein könnte, doch Pustekuchen. Ich erhielt nur Kauderwelsch, der mich nicht einmal ahnen lässt, welche der Übersetzungen die bessere sein könnte. Es ist also gar nicht so leicht, wenn man eine Übersetzung nicht einfach nur 1 zu 1 übernehmen möchte.

  • Ohne weiter auf die Texte einzugehen: Vielelicht etwas Erläuterndes zu den Pferdewagen.


    Ein Karriol (im Deutschen mit Doppel-R) ist ein leichter Einachser als Pferdewagen, meist mit einem Doppelsitz nebeneinander. Diese Version ist auch öfters in Westernfilmen zu sehen, wenn die Farmersfrauen in die Stadt zum "shoppen" fahren. Den passenden US-Begriff kenne ich nicht. Ähnlich auch dem Gig, einem Vorläufer des Cabriolets (einem offenen Wagen mit Verdeck). Wer Sherlock Holmes gelesen hat, dem wird vielleicht noch der englische Hansom in Erinnerung sein. Ebenfalls ein Einachser mit meist Doppelbank, aber noch im "Huckepack" ein separater Kutschersitz dahinter. Ein ziemlich wackliges aber wendiges Gefährt.


    Im Deutschen hat man übrigens früher Karriol gesagt, aus dem Französischen übernommen - vielleicht ist Schusswagen eine österreichische Entsprechung. Ich glaube viele Leser heutzutage können mit dem Namen Karriol nichts mehr anfangen.


    ^^

  • Ich habe ja die Vorkommen von "Schußwagen" schon in "Karriol" umgewandelt, zumal Volker das Wort in seiner Übersetzung vom 18. Kapitel auch benutzt. Das sind dann so die Sachen, wo ich mit Fußnoten arbeiten werde. Ein Sonderfall werden dann auch noch mal die geographischen Namen sein, bzw. deren Schreibweise. Auf Anhieb habe ich noch nicht alle gefunden, wie beispielsweise den so häufig erwähnten Fluss (Bach) Maan Genausowenig konnte ich bisher herausfinden, wer der im 8. Kapitel erwähnte "Eystein" ist, der auf dem Abhang ins Rutschen kam und dann ertrunken ist. Ich habe zwar fünf oder sechs Könige und Priester dieses Namens gefunden, doch welches nun der richtige ist, scheint kompliziert zu werden.

  • Vorsicht bei „seuil“, das ist nicht nur die Schwelle selbst, sondern auch ein gewisser Bereich vor und hinter der Tür. „sur le seuil de la porte“ heißt hier soviel wie „vor der Tür“. „Ça vaut des roues…“: wörtlich: „das ist so viel wert wie Räder“. „en se serrant…“: bei Weichert korrekt übersetzt.


    „Schusswagen“ werde ich in meiner Version wohl beibehalten. Ist halt ein spezieller Name für ein norwegisches Gefährt („skyds“).


    Maan=Måna
    Eystein=Øystein. Eine Figur aus einer Legende und keine reale Person, wenn ich das richtig deute.


    Meine Version wird wohl doch eher eine Neuübersetzung werden als eine leichte Bearbeitung. Ich hatte erst gedacht, eine leichte Bearbeitung würde reichen, wobei ich aber ein paar Korrekturen anbringen wollte … dann habe ich immer mehr gefunden, was ich korrigieren wollte … und dann noch mehr … Am Ende wird von der Hartleben-Fassung zwar noch einiges vorhanden sein, es gibt aber auch viele Passagen, wo von Hartleben nicht mehr viel übrig bleiben wird.


    Man sollte den Übersetzern von damals aber keine großen Vorwürfe machen. Die konnten nicht auf große Wörterbücher im Internet zugreifen, oder andere kostenlose Informationsquellen im Internet.

  • Im 13. Kapitel gibt es noch eine interessante Abweichung. Gleich ziemlich am Anfang gibt es bei Hartleben den folgenden kurzen Textabschnitt:


    Hier konnte er auf dem Run, einem kleinen, diese Meereseinbuchtung regelmäßig befahrenden Dampfer, bis zum untersten Ende desselben gelangen. Nachdem er ferner durch ein wahres Netzgewebe von Fjords
    zwischen den, der norwegischen Küste vorgelagerten Inseln Storö, Tinaas, Sartorö u. a. hindurchgeschifft, landete er mit dem Morgengrauen des 2. Juli am Quai Kai von Bergen.


    Bei Weichert fehlt die namentliche Aufzählung der Inseln „Storö, Tinaas, Sartorö u. a.“; und auch beim Originaltext, den ich mir im Internet angeschaut habe, fehlt diese Aufzählung der Inseln. Nun stellt sich die Frage, woher hat der Übersetzer diese Namen übernommen. Ich vermute, dass Verne sie wohl ursprünglich so aufgeschrieben und später gestrichen hat. Die Hartleben-Übersetzung beruht ja wohl auf eine recht frühe Fassung der Korrekturfahnen des Originaltextes, an dem Verne ja dann für die französische Buchausgabe noch Korrekturen vorgenommen hat, bevor der Text endgültig gedruckt wurde. Vielleicht handelt es sich ja hier um eine dieser Abweichungen zwischen früherer und dann später tatsächlich veröffentlichten Textfassung. das könnte dann eventuell die gravierenden Abweicheungen erklären, die ich weiter oben schon angeführt habe. Weiß zufälligerweise jemand Näheres dazu? Danke.

  • Poldi: vielleicht könntest du alles ab Beitrag Nr. 49 abtrennen und einen eigenen Thread daraus machen? Es geht inzwischen ja mehr um Hartleben als um Pawlak. (Und wenn du es machst, könntest du eventuell Nr. 44 bis 48 in den neuen Thread mit reinkopieren. Falls das technisch möglich ist.)


    Mir sind auch ein oder zwei Stellen aufgefallen, wo bei Hartleben mehr steht als bei den anderen Versionen. Such ich noch mal raus und poste es dann.

  • 9. Kap.:
    „Die eine ist blau mit einem gelben Kreuz, die andere roth mit blauem
    Kreuz, nur das obere Eckfeld am Flaggenstock enthält das von
    norwegischer Seite ebenfalls vielfach bestrittene Unionszeichen beider
    Länder
    .“
    http://www.zeno.org/Literatur/…+Lotterie-Loos/9.+Capitel


    Ich meinte eigentlich, es wären zwei Stellen gewesen, die ich gefunden hatte (die von dir gefundene Stelle nicht mitgerechnet), aber da hat mich meine Erinnerung wohl getäuscht. Falls ich doch noch mehr finde, poste ich noch mal.


    Sind die Manuskripte eigentlich irgendwo online verfügbar? Sonst müssten wir wohl Volker Dehs fragen, ob er an den betreffenden Stellen mal nachschauen könnte – falls dieses spezielle Manuskript erhalten ist und er Zugriff darauf hat, bzw. auf einen Scan, wovon ich eigentlich ausgehe. Oder hat sonst noch jemand Zugriff darauf?


    Oder ist von den Druckfahnen irgendwas erhalten? Die Frage wäre natürlich auch generell interessant, nicht nur was das „Lotterie-Los“ betrifft.

    Nautron respoc lorni virch.

    Einmal editiert, zuletzt von Stahlelefant () aus folgendem Grund: Ergänzung

  • Poldi: vielleicht könntest du alles ab Beitrag Nr. 49 abtrennen und einen eigenen Thread daraus machen? Es geht inzwischen ja mehr um Hartleben als um Pawlak. (Und wenn du es machst, könntest du eventuell Nr. 44 bis 48 in den neuen Thread mit reinkopieren. Falls das technisch möglich ist.)


    Erledigt!

  • Sind die Manuskripte eigentlich irgendwo online verfügbar? Sonst müssten wir wohl Volker Dehs fragen, ob er an den betreffenden Stellen mal nachschauen könnte – falls dieses spezielle Manuskript erhalten ist und er Zugriff darauf hat, bzw. auf einen Scan, wovon ich eigentlich ausgehe. Oder hat sonst noch jemand Zugriff darauf?


    Hallo Stahlelefant,
    fast alle Manuskripte von Jules Verne sind online einsehbar. Vor einigen Jahren brauchte man noch ein Paßwort, später waren vorübergehend die meisten frei verfügbar, heute muss man online irgend so ein Formular ausfüllen. Da ich Französisch nicht beherrsche, kann ich Dir leider nicht erklären, wie es geht. Vielleicht ist es auch ganz simpel. Aber wenn Du mich nicht bei unseren französischen Freunden verrätst, könntest Du die "Sicherheitslücke" nutzen, solange sie noch offen steht:


    https://catalogue-bm.nantes.fr…=h::Nantes_173&highlight=


    Es ist jedoch kein Vergnügen, JVs Handschrift zu entziffern, wenn Du nicht fließend französisch sprichst. Viel Vergnügen!


    Norbert

  • Poldi: Vielen Dank!


    Norbert: Hervorragend! Danke sehr! Die Schrift ist aber leider auch dann schwer zu entziffern, wenn man Französisch kann …


    Also:
    À l’un, l’étamine blanche, avec la croix de St. André bleue, à l’autre l’étamine rouge, avec la croix blanche (?)
    (S. 45 des Manuskripts)


    Das Fragezeichen hat seine Berechtigung. Da werden die Flaggen Schottlands und Dänemarks beschrieben. Das „obere Eckfeld am Flaggenstock“ kommt nicht vor. Wohl ein Zusatz des Hartleben-Übersetzers. Wobei der Meister die Passage ja noch ändern musste, um die richtigen Flaggenbeschreibungen einzusetzen, denkbar, dass da dann auch das mit dem Eckfeld stand, und das in der Folge auf den Druckfahnen stand und später wieder gestrichen wurde.


    Von den Druckfahnen ist aber wahrscheinlich nichts überliefert, oder?


    Edit: Oh, hab mich auch vertan. Es ist nicht die Flagge Schottlands, die da beschrieben wird, die ist ja blau mit weißem Kreuz und nicht weiß mit blauem Kreuz.


    Edit 2: Die Namen der Inseln (s. Post 11) werden im Manuskript nicht erwähnt (S. 69).