Advocaat vor Rausschmiss
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Seine Zeit scheint abgelaufen: Hollands Bondscoach Dick Advocaat
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Nach der unglücklichen 2:3-Niederlage gegen Tschechien scheinen die Tage des umstrittenen Holland-Coachs Dirk Advocaat endgültig gezählt: "Wir haben Unheil über uns selbst gebracht", klagte Johann Cruyff.
"Dummer Dick" und "Angsthase Advocaat": Noch ist das EM-Aus der Niederländer nicht besiegelt, doch der Sündenbock für das drohende Scheitern ist längst gefunden. Bondscoach Dick Advocaat ist der große Buhmann im "Oranje-Lager und steht beim Europameister von 1988 praktisch vor der Entlassung.
"Haben uns selbst geschadet"
Mit bitterbösen Worten reagierten die heimischen Medien auf den erneuten taktischen Fehler des Nationaltrainers beim 2:3 (2:1) am Samstagabend gegen Tschechien in Aveiro. Die Fans hatten ihre Meinung schon im Spiel mit einem gellenden Pfeifkonzert kund getan, und Chefkritiker Johan Cruyff fasste die Stimmung der Nation zusammen. "Ich kann es einfach nicht begreifen, warum er Arjen Robben ausgewechselt hat. Wir haben Unheil über uns selbst gebracht", monierte der frühere Weltstar und heutige TV-Experte im niederländischen Fernsehen.
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Advocaat gibt sich selbstkritisch
Auch Advocaat spürt offenbar das Ende seiner zweiten Amtszeit näher rücken. Mit viel Mühe kämpfte der sonst kauzige und unnahbare Coach bei der dem packenden Spiel folgenden Pressekonferenz gegen die Tränen. Zähneknirschend gestand er schließlich ein: "Vielleicht war es ein Fehler, ihn herauszunehmen."
Seit Monaten wird dem 56-Jährigen vorgehalten, mit seiner destruktiven Fußball-Philosopie sein Star- Ensemble nicht zum möglichen Erfolg zu führen. "Alle dürfen mich kritisieren, wenn es bei der EM nicht läuft", hatte Advocaat vor der EM gesagt, doch schon nach dem 1:1 gegen Deutschland reagierte er gewohnt dünnhäutig auf die öffentliche Schelte.
Advocaat verteidigt seine Auswechslungen
Am Sonntag ging Advocaat dann in die Offensive. In einem Zelt neben den Trainingsplatz bat er zur improvisierten Pressekonferenz und manch einer erwartete schon den Rücktritt. Advocaat hielt aber einen fast fünfminütigen Monolog über seine Taktik. "Ich musste reagieren. Die Tschechen hatten ein Übergewicht im Mittelfeld. Wir mussten die Kontrolle wieder gewinnen", verteidigte sich der Coach. Während die Spieler während und nach ihrer öffentlichen Übungseinheit in dem mit rund 600 Zuschauern "ausverkauften" Stadion frenetisch gefeiert wurden, rührte sich für Advocaat keine Hand zum Applaus.
Advocaats Defensivtaktik gegen offensive "Volkseele"
Wie üblich honorierten die Oranje-Fans das zwar erfolglose, aber offensive Spiel ihrer "Elftal". Endlich hatte am Samstag wieder ein Hauch des berühmten "totalen Fußballs" durch das Estadio Municipal von Aveiro geweht. Angetrieben vom überragenden Robben zeigten die Niederlande nach Wochen der großen Krise den von den Fans geforderten Stil mit ständigen Rochaden zwischen den Mannschaftsteilen.
Doch nach einer Stunde verließ Advocaat der Mut. Für den seit drei Monaten von Verletzungen geplagten und daher vermeintlich müden 20-Jährigen vom PSV Eindhoven kam der defensive Routinier Paul Bosvelt und die munter weiter stürmenden Tschechen kamen durch Milan Baros (70.) und Vladimir Smicer (88.) noch zum Sieg. Zuvor hatten Wilfred Bouma (4.) und Ruud van Nistelrooy (19.) für die Niederlande sowie Jan Koller (23.) für die Tschechen getroffen.
Nistelrooy: "Fühle mich hundeelend"
Das mit kritischen Worten nicht sparsame Starensemble um Edgar Davids, Clarence Seedorf oder Patrick Kluivert hielt sich mit Aussagen gegen den eigenen Trainer noch zurück. Auch Robben erhob keine Vorwürfe. "Ich bin natürlich enttäuscht, aber ich kann ihn auch verstehen." Dennoch hing im Übungs-Camp an der Algarve der Haussegen schief, nur die Fans hatten erstaunlich gute Laune. Der loyale Super- Star van Nistelrooy konnte seinen Unmut schwer verbergen können: "Ich fühle mich hundeelend. Man kann über diese Auswechslung diskutieren."
Nachfolgediskussionen
Sollten die für das Viertelfinale qualifizierten Tschechen gegen Deutschland am Mittwoch in Lissabon verlieren, wäre das erste Aus der Niederlande in einer EM-Vorrunde seit 1980 besiegelt - unabhängig vom eigenen Spiel gegen Lettland. Auch in Italien musste man sich damals der DFB-Elf und der Tschechoslowakei beugen. Ein Scheitern würde nach zwei Jahren sicher das Ende Advocaats als Oranje-Coach bedeuten. Der heute 56-Jährige hatte schon nach dem WM-Aus 1994 seinen Hut nehmen müssen. Als heißer Tipp auf die Nachfolge gilt Henk ten Cate, Co- Trainer von Frank Rijkaard beim FC Barcelona.