Lokaltermin im olympischen Dorf

  • Mahlzeit


    Im Deutschen Haus in Athen gibt es kaum Siege zu feiern - aber immer genug zu essen.


    Es gibt im Deutschen Haus zu Athen einen ungeheuren Bedarf an Scampispießen. So ziemlich jeden Tag werden große Mengen Scampi vertilgt, mal mit der Gabel von den Holzspießchen gelöst, mal direkt vom Spieß genagt, mal mit Zitrone bespritzt, mal in Tsatsiki getunkt.



    DPA
    Eingang des Deutschen Hauses in Athen
    Hinter dem Deutschen Haus steht ein gewaltiger Laster vom "Fischhaus Sylt". Er könnte randvoll mit Scampi gefüllt sein. Wobei Schwertfischfilets hier auch gut ankommen.


    Den Deutschen geht es gut, geht es prächtig, jedenfalls im Deutschen Haus zu Athen, wo sich VIPs, Sportler, Journalisten und Funktionäre treffen. Es gibt reichlich zu essen, es wird ständig gefeiert. In den Stadien von Athen verpassen die Deutschen eine Medaille nach der anderen, aber im Deutschen Haus wird zu jeder schlechten Nachricht eine weitere Schüssel Hackfleischbällchen aufs Büfett gekippt. Mittags gibt es Hackfleischbällchen oder Wiener Würstchen, abends Scampispieße. Dazwischen schleppen die Kellner Kuchenbleche herbei. Und hinter den Glastüren riesiger Kühlschränke lacht das Bier in schlanken Flaschen.


    Es gibt drei Gruppen von Besuchern im Deutschen Haus. Die Journalisten kommen morgens zur Pressekonferenz und manchmal zwischendurch, um hastig einen Happen zu essen, bevor sie wieder in ein Stadion gehen. Die Sportler streifen scheu herum und essen wenig. Die VIPs, das sind vor allem die Gäste der Sponsoren, genießen sich in gepflegter Untätigkeit und füllen ständig ihre Teller.


    Der kritische Punkt ist so gegen 16.30 Uhr erreicht. Dann kommen keine Kuchenbleche mehr, aber das Abendbüfett ist noch nicht aufgebaut. Man behilft sich mit Studentenfutter aus kleinen Tüten, die für den Notfall überall herumliegen, aber glücklich macht das natürlich nicht.


    Die Gäste der Sponsoren sitzen etwas angespannt im Innenhof der deutschen Schule von Athen, wo das Deutsche Haus untergebracht ist, und schauen lustlos auf die Leinwände mit dem Programm von ARD und ZDF. Man hört von Montagsdemonstrationen gegen Sozialabbau und sieht eine weitere Niederlage eines deutschen Athleten. Man hat fürchterlichen Hunger, und jetzt riecht es plötzlich wunderbar nach Hackfleischbällchen. Ein Kellner trägt ein Tablett vorbei, aber das ist ungerechterweise für eines der Hinterzimmer bestimmt, wo gerade eine kleine Konferenz abgehalten wird, wahrscheinlich über das schlechte Abschneiden der Schwimmer. Gierige Blicke folgen ihm.


    Dann quietscht es endlich, und die Stammgäste wissen, dass dies der Wagen ist, auf dem der Koch die Speisen des Abends zum Büfett schiebt. Diesmal hat er eine Wanne mit großen Fleischlappen dabei. Es gibt Steaks. Um 17. 30 Uhr wird das Büfett eröffnet, sofort bildet sich eine Schlange. Natürlich gibt es auch Scampi.


    Der einzige Sportler, der im Deutschen Haus genauso reinhaut wie die Gäste der Sponsoren, ist Jan Ullrich. Am Tag, an dem er im Straßenrennen 19. wurde, sieht man ihn um ein Uhr morgens tüchtig essen, als arbeitete er eher auf sein winterliches Mondgesicht hin als auf eine Medaille.


    Ein paar Tage später sitzt er auf dem Rad und strampelt sich etwas träge durch das Einzelzeitfahren, für das er Favorit war. Die Gäste der Sponsoren dürfen da schon wieder Kuchen essen und sehen kauend zu, wie ihr Idol scheitert. Ullrich wird Siebter, aber zwischen ihm und den Genüssen des Winters liegt nur noch ein großes Rennen, die Weltmeisterschaft im Oktober.


    So präsentiert sich Deutschland in Athen als gefräßige Nation mit dem weltweit stärksten Willen, nicht zu leiden. Die Hitze von Athen? Kein Problem, im Innenhof stehen große Wasserzerstäuber, die die Gäste kühl berieseln. Die langen Wege zu den Wettkämpfen? Kein Problem, es gibt bequeme Shuttle-Busse von Mercedes und Velo-Taxen, deren griechische Fahrer die von der Völlerei beschwerten Deutschen überall hinfahren.


    Es soll aber niemand behaupten, die Gäste der Sponsoren würden sich nicht bewegen. Ist das Büfett leer gegessen, wird getanzt. Man feiert, man ist fröhlich. Dass Franziska van Almsick über 200 Meter Freistil das ersehnte Gold nicht geholt hat, liegt schon sechs Stunden zurück.


    Aber der Deutsche in Athen wäre nicht deutsch, hätte er nicht auch ein bisschen Angst. Die Angst im Deutschen Haus heißt China. Auf einer Pressekonferenz fragt ein Journalist den Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees, Klaus Steinbach, ob ihm die Erfolge der Chinesen Sorge machten im Hinblick auf die Spiele in Peking 2008, wo noch größere Anstrengungen von den Gastgebern zu erwarten seien. Was würde das bedeuten für Olympia, fragt der Journalist, wenn es dort 60 chinesische Sieger gebe, "ohne Gesichter, ohne Geschichten"?


    Es ist die Angst der Satten, überholt zu werden von den Hungrigen. Sportlich ist das schon in Athen passiert, wirtschaftlich wird es auch nicht mehr lange dauern. Und dann hätten die Deutschen nur noch Gesichter und Geschichten, aber keine Medaillen mehr und keine Scampispieße.


    Am selben Tag werden im Deutschen Haus zwei Chinesen gesehen. Sie tragen Anzüge und haben Gesichter. Sie schauen sich auffällig genau um, als wollten sie das Deutsche Haus demnächst übernehmen. Vielleicht brauchen sie mehr Platz, um ihre vielen Medaillen zu feiern.


    DIRK KURBJUWEIT


    Quelle: www.spiegel.de