Randnotizen - Pool der Peinlichkeiten

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    Pool der Peinlichkeiten

    Von Markus Deggerich, Athen


    Olympia ist Showtime für die Sportausrüster. Die Weltmarken von Nike bis Adidas ringen um die originellste PR-Arbeit und die erfolgreichsten Sportler, zittern vor dem Dopingtest und schrecken vor keiner Peinlichkeit zurück. SPIEGEL ONLINE vergibt die Medaillen außer Konkurrenz für die wirklichen Sportsfreunde.


    Athen - Es sollte der Tag sein, an dem Adidas dem Konkurrenten Nike Gold verleihen wollte. Oliver Brüggen, Pressesprecher der deutschen Firma, hatte zu einem Top-Termin geladen. Keine groß gestreute Einladung, wie er versicherte, nur per Telefon ein paar ausgewählte Journalisten für das Ereignis. Nicht weitersagen, Kumpel. Ian Thorpe, der australische Schwimmer, wäre für ein Interview zu haben. Ein Superstar, ein echter Weltstar. Treffpunkt: Der Politia Tennis Club, wo Adidas sein Olympia-Lager aufgeschlagen hat, etwas außerhalb, etwas schwer zu erreichen, aber in feiner Wohngegend.


    Wer zum vereinbarten Zeitpunkt um drei am Pool des Clubs eintraf, sah als erstes eine lange Schlange hungriger Journalisten jeglicher Nation am Buffet, eine weitere an der Theke. Dass Ian Thorpe auch da war, konnte man an einem Bildschirm verfolgen, denn da gab er gerade der ARD ein Live-Interview. Der Journalist und der Sportler sprachen an einem Tisch mit Adidas-Logo, hinter dem Schwimmer waren erstens ein feiner Blick über Athen und zweitens Modelle von adidas-Laufschuhen zu sehen. Während man sich fragte, wie Thorpe mit diesen Schuhen schwimmen will, erklärte Brüggen, "Hallo - wie geht's", dass es noch etwas dauern werde, bis zum Gespräch, man sehe ja, was hier los sei und erst müssten ein paar Fernsehsender dran.


    Im schicken, aber leider abgesperrten Pool des Clubs, wurde unterdessen ein Podest aufgebaut. Kamerateams und Fotografen gingen schon mal in Stellung. Das roch nach einem Super-Bild: Thorpe, der auf dem Wasser steht, ach was, Ian, der Überirdische, der über Wasser gehen kann.


    Jetconcept aus der Luft gegriffen


    Dass Adidas unter Vorspiegelung falscher Tatsachen und Zeitabläufe möglichst viele Multiplikatoren, so heißen Journalisten im PR-Deutsch, an den Pool kriegen wollte, muss man verstehen. Adidas hat schwer gelitten bei Olympia. Sie hatten eigens einen neuen Schwimmanzug für ihren australischen Goldfisch entwickelt, so ein schwarzes Ganzkörperkondom mit dem Namen "Jetconcept". In einer edlen Broschüre wird einem erklärt, dass man sich dabei der Strömungskenntnisse aus der Luftfahrt bedient habe.


    Blöd war nur, dass das australische Team einen anderen Ausrüster im Vertrag stehen hat als Thorpe. Bis zu drei Prozent schneller sei man in dem Gleiter, hatten die Adidas-Entwickler rausgefunden. So flog Thorpe im schicken Anzug von Sieg zu Sieg, aber das adidas-Logo durfte nicht auf dem Anzug zu sehen sein. Dumme Sache, das.


    Aber es gibt ja Brüggen. Der wollte nun an einem Nachmittag alles nachholen. Olympia ist Messe-Zeit. Da zeigt man seine Stars, zeigt man, was man hat. Neue Shirts, ClimaCool, gegen die Überhitzung der Läufer, neue Sprint-Schuhe mit dem olympisch-friedlichen Namen "Demolisher", der erste Schuh, wie die Broschüre versichert, bei dem alle Spikes gleichzeitig den Boden berühren. Immer auf dem Boden bleiben, denkt man beim Lesen, während von Thorpe eine Stunde nach der vereinbarten Zeit immer noch nichts zu sehen ist. Der esse gerade, erzählen sich ein paar exklusiv informierte Kollegen, während der eigene eigens engagierte Fotograf das Weite sucht wegen anderer Termine und den Job wieder abtritt. Sind ja genug andere da.


    Der Mega-Ausstatter

    Presse-Buffet: PR-Menschen halten Journalisten für faul, verfressen und dumm
    Adidas ist mit 40 Mitarbeitern in den Tennis-Club eingezogen und hat 1,5 Millionen Einzelteile nach Athen geschleppt. Immerhin rüsten die Deutschen 22 Mannschaften aus, sind nur bei zwei Sportarten nicht mit eigenen Produkten vertreten (Reiten und Segeln) und haben nebenbei auch 100.000 Shirts für all die freiwilligen Olympia-Helfer mitgebracht. Denn: It's Showtime.


    "Für den Umsatz bringt das erstmal nichts", weiß Brüggen. Anders als bei der Fußball-EM in Portugal, die geholfen hat, den Adidas-Ball fast sechs Millionen mal zu verkaufen und "damit der erfolgreichste Ball der Geschichte ist", wie Brüggen einfließen lässt. Bei Olympia geht es um Imagebildung, Präsenz zeigen. "Unsere Botschaft: Wir sind die Marke, die den Sport am Besten versteht". Das ist zwar ein Satz, den man beim besten Willen nicht versteht, aber da kann der Adidas-Claim für alles aushelfen: Impossible is nothing.


    "Unmöglich" finden hingegen mittlerweile einige in der exklusiv ausgesuchten Riesengruppe, dass sie nun schon 90 Minuten warten müssen - in der Hitze. Im Pool wird das Podest wieder abgebaut, da scheint sich was im Zeitplan verschoben zu haben. Brüggen lässt sich immer seltener sehen, und wenn, dann erzählt er gerne, er habe gerade gehört, Nike, der schärfste Konkurrent, habe mit mehreren peinlichen Terminen die Gold-Medaille im PR-Desaster gewonnen.


    Die sollte wegen Dopings aberkannt und Puma überreicht werden. Die haben gleich ein ganzes Schiff gemietet im alten Jachthafen von Piräus und zu einer einstündigen Bootstour mit Sportlern geladen. Sven Ottke boxt sich als Moderator durch, wobei Hostessen freundlich lächeln und so knapp angezogen sind, dass selbst Beach-Volleyballer nicht mehr wüssten, wo sie noch hingucken sollen.


    "Wie haben Sie sich gefühlt?
    Aber PR-Menschen darf nichts peinlich sein. Sie sind Journalisten in herzlicher Abneigung verbunden. PR-Menschen halten Journalisten für faul, verfressen und dumm (was oft stimmt), Reporter halten die Öffentlichkeitsarbeiter für faul, schleimig und dumm (was oft stimmt). Wenn sie dann zusammenkommen, klagen sie sich gegenseitig das Leid über ihren persönlichen Megastress, ziehen über Abwesende her und hoffen innerlich, dass sie bald weg können, nachdem sie ihre Fragen gestellt haben: "Wie haben sie sich gefühlt?"



    Schwund am Arbeitsplatz: Einige Journalisten ziehen es in Athen vor, ihre Zeit doch lieber bei den Veranstaltungen der Sponsoren zu verbringen
    Asics mischt natürlich auch mit beim Ausrüster-Hürdenlauf in Athen. Jeden zweiten Tag wird man per SMS ("asics breaking news") eingeladen zu irgendeiner Party - "original griechische Nacht!" - in Athen! - mit Sportlergarnitur. Im Vorraum ihrer Lounge sind historische Schuhe ausgestellt, im Hinterraum kann man sich mit Sauerstoff beatmen lassen: "Airnergy bei Oasics". Auch die Wortspiele der PR-Profis leiden unter Sauerstoffentzug.


    Am Eingang steht am Boden des auf Läufer spezialisierten Schuhherstellers der innere Monolog eines Marathonmenschen eingraviert: "Where is the finish line? Where is it?" Zur Eröffnung wurde der mittlerweile 84 Jahre alte Firmengründer aus Japan eingeflogen und musste sich in Turnschuhen und jugendlichem Jackett auf die Beatmungspritsche legen für die Fotografen. Es sah dann aus wie Erste Hilfe hinter der "finish line".


    Wettkampf der Härtesten
    Für ein Bild, besser noch fürs Fernsehen, machen sie alles. So sitzen die zweitklassigen Wortjournalisten nach zwei Stunden immer noch am erstklassigen Adidas-Pool, während Thorpe von Fernsehsender zu TV-Station weitergereicht wird. "In zehn Minuten", ruft Brüggen verschwörerisch im Vorbeigehen zu. Weil er das vor zehn Minuten schon mal gesagt hatte, gehen wieder ein paar. Ein bisschen Schwund ist immer im Wettkampf der Härtesten.


    Das mit dem Schwund ist auch für die PR-Strategen ein Problem. Jeden Tag fiebern sie mit ihren Schützlingen, jede Medaille wird gefeiert, als sei man selbst gelaufen, gesprungen oder geschwommen. Ein Sieg ist immer ihr Sieg. Aber noch viel mehr fiebern sie, wenn es dann zur Dopingprobe geht und danach bei den Athener Hormonspielen wieder mal ein Großflächenplakat eines Sportsfreundes des Ausrüsters eilig zugehängt wird.


    Als Ian Thorpe dann nach zweieinhalb Stunden durch die Adidas-Kulisse geschoben wird zum abgedunkelten und klimatisierten Saal für Pressekonferenzen, taucht auch Brüggen wieder auf und verkündet, der versprochene Termin könne nun beginnen. Diejenigen, die sich ein Exclusivgespräch erhofft hatten, gehen dann. "Sorry, anyway", sagt Brüggen den fliehenden Kollegen. Im persönlichen PR-Peinlichkeitsranking hat Puma Gold, Nike Silber, Asics Bronze und Adidas, äh, Holz. Denn die verstehen den Spott am Besten.


    Quelle: www.spiegel.de