Hallo zusammen!
Der Kauf der fantastischen Jules-Verne-Werke-CD der Digitalen Bibliothek scheint mir ein guter Anlaß für den Einstand in dieses Forum zu sein.
Ich persönlich bin ja vorallem auch von Vernes Ballongeschichten und Romanen fasziniert, und so hatte ich mich vor gut 10 Jahren bei der Lektüre von Volker Dehs rororo-biographie gefragt, was wohl der Inhalt des Reiseberichtes 'Vingt-quatre minutes en ballon' sei. Etwa 5 Jahre später, als ich mich im Internet erstmals auf die Spuren Vernes begab, fand ich leider noch keine Informationen zu dem Text. In diesem Sommer nun erinnerte ich mich wieder an den Bericht und forschte abermals, und siehe da, ich fand den Text im französischen Original wie auch in englischer Übersetzung unter -> http://home.netvigator.com/~wbutcher/articles/24m.htm
Nun sind meine Französisch-Kenntnisse eher dürftig und die automatischen Übersetzungshilfen, die im Internet angeboten werden, eher Lachnummern, oder bestenfalls Vokabelstichwortgeber, dennoch habe ich mal versucht, mit Hilfe der englischen Übersetzung wie auch der maschinenübersetzten Texte sowie einem Französisch-Deutsch-Wörterbuch eine wenigstens halbwegs lesbare deutsche Übersetzung herzustellen, die ich hiermt einmal vorstellen möchte. Falls jemand da Fehler entdeckt, oder auch sonst Vorschläge zu einem flüssigeren Textversion hat - ich habe mich da sicher etwas zurückgehalten, was eine freiere, dafür aber besser lesbare Form angeht - sei dazu herzlich eingeladen.
Thosch
[Blockierte Grafik: http://perso.numericable.fr/~julesverne/24minutes.jpg]
Vierundzwanzig Minuten im Ballon
Mein lieber M. Jeunet,
hier sind die kurzen Notizen, um welche Sie mich bezüglich der Reise des Météore baten.
Sie wissen, unter welchen Bedingungen der Aufstiegs erfolgte: Ein verhältnismäßig kleiner Ballon mit einer Kapazität von 900 Kubikmetern, einschließlich der Gondel und der Geräte 270 Kilos wiegend, aufgeblasen mit einem Gas, welches zwar hervorragend für Beleuchtungszwecke geeignet ist, aber dafür eine zu mittelmäßige Auftriebskraft besitzt, um damit gleich vier Personen zu befördern; den Aeronauten Eugène Godard sowie drei Passagiere: M. Deberly, einen Rechtsanwalt, M. Merson, einen Leutnant des 14. Linienregiments und mich selbst.
Im Moment der Abfahrt war es für alle zusammen dann auch unmöglich aufzusteigen. Da nun M. Merson bereits Luftreisen mit Eugène Godard unternommen hatte, willigte er, obgleich es ein Verlust für ihn war, ein, seinen Platz M. Deberly zu überlassen, welcher, wie auch ich, seine erste luftige Exkursion machen sollte. Das traditionelle "Alles loslassen!" wurde ausgerufen, und sogleich ließen wir den Erdboden unter uns ...
Aber wir hatten unsere Rechnung ohne den Sohn Eugène Godards gemacht, einen unerschrockenen kleinen Kerl von neun Jahren, der in den Korb hineinkletterte, sodaß es notwendig wurde, zwei der vier Ballastsäcke zu opfern. Nur noch zwei Beutel! Noch nie war Eugène Godard unter solchen Bedingungen aufgestiegen. Der Ausflug konnte also nicht lange dauern.
Langsam und schief waren wir um 5.24 morgens abgehoben. Der Wind trug uns Richtung Südosten und der Himmel war von unvergleichlicher Klarheit. Nur am Horizont zeigten sich einige stürmische Wolken. Jack der Affe, wurde mit seinem Fallschirm heraus geworfen und ermöglichte es uns dann schneller zu steigen, sodaß wir, wie das Aneroidbarometer anzeigte, um 5.28 in einer Höhe von 800 Metern schwebten.
Die Ansicht der Stadt war überwältigend. Der Ort Longueville ähnelte einem Ameisenhaufen aus roten und schwarzen Ameisen, einige davon militärischer und andere von ziviler Natur; die Spitze der Kathedrale, die nach und nach entschwand, zeigte wie eine Nadel auf unseren fortwährenden Aufstieg.
In einem Ballon ist keine Bewegung, weder horizontal noch vertikal, wahrnehmbar. Der Horizont bleibt immer auf der gleichen Höhe. Nur sein Radius erhöht sich, wobei sich der Erdboden unter dem Korb wie in einem Trichter krümmt. Dazu absolute Stille und vollkommende atmosphärische Ruhe, die lediglich durch das Knarren des Korbgeflechtes, welches uns trägt, gestört wird.
Um 5,32 bricht ein Sonnenstrahl aus den Wolken, welche am westlichen Horizont schweben, und trifft den Ballon; das Gas dehnt sich aus und ohne daß irgendein Ballastsack geworfen wird, werden wir in eine Höhe von 1200 Metern getragen, dies ist das Maximum, welches wir während der Reise erreichen.
Dabei bietet sich uns dieser Anblick: Unter unseren Füßen liegt Saint-Acheul und seine schwärzlichen Gärten, so geschrumpft, als ob man es durch das falsche Ende eines Teleskops betrachtet; die Kathedrale ist so zusammengequetscht, daß sich ihre Spitze jetzt mit den umgebenen Stadthäusern vermischt; die Somme erscheint als ein dünnes klares Band; die Eisenbahnstrecken als ein paar von einer Feder gezeichnete Striche; die Straßen wie gewundene Schnürbänder; die Bäume und Büsche wie eine beliebige Ausstellung eines Gemüsehändlers; Felder wie jene mehrfarbige Probekarten, die Schneider in alten Zeiten neben ihren Türen aufzuhängen pflegten; Amiens wie ein Haufen kleiner gräulicher Würfel, so als ob ein Kasten Nürnberger Spielzeug auf die Ebene entleert worden wäre. Dazu die umgebenden Dörfer, Saint-Fuscien, Villers-Bretonneux, La Neuville, Boyes, Camon, Longueau, die wie große Steinhaufen aussehen, welche hier und da in Vorbereitung auf ein gigantisches Asphaltieren ausgestreut wurden.
In diesem Moment wird das Innere des Luftschiffs beleuchtet. Ich schaue durch die untere Öffnung, die Eugène Godard noch immer offen hält. Darin ist es kristallklar, sodaß die abwechselnd gelben und braunen Hüllenstreifen des Météore ganz und gar sichtbar sind. Nichts verrät das Vorhandensein des Gases, weder seine Farbe noch sein Geruch.
Nun aber sinken wir wegen unseres Gewichts. Wir müssen etwas Ballast abwerfen, um unsere Höhe beizubehalten. Die Tausenden an Zetteln, die herausgeworfen werden, zeigen einen lebhafteren Luftstrom in einen unteren Schichten an. Vor uns liegt Longueau, aber noch vor Longueau befindet sich eine Kette von sumpfigen Halbinseln.
"Werden wir in diesem Sumpf fallen?", fragte ich Eugène Godard.
"Nein," antwortete er, "und falls wir noch mehr Ballast abwerfen müssen, nehme ich meinen Reisesack. Dieser Sumpf muß unbedingt überquert werden.",
Wir fallen immer weiter. Um 5.43 erfaßt uns 500 Meter über dem Boden ein starker Wind. Wir fliegen über einen Fabrikschornstein, in dem wir tief hineinschauen; der Ballon wird von einer Art von Luftspiegelung im Wasser des Sumpfes reflektiert; die menschlichen Ameisen sind größer geworden und laufen über die Straßen. Eine kleine Wiese zeigt sich, zwischen zwei Eisenbahnstrecken und vor deren Verzweigung gelegen.
"Und nun?", bemerke ich.
"Und nun? Wir werden die Eisenbahn überqueren, und dann das Dorf da hinten überfliegen!", antwortet Eugène Godard.
Der Wind ist recht heftig. Dies erkennen wir an der Bewegung der Bäume. Wir sind hinter La Neuville. Vor uns ist die Ebene. Eugène Godard wirft sein Führungsseil - ein 150 Meter langes Tau - dann seinen Anker heraus. Um 5.47 trifft der Anker den Boden; das Ventil wird mehrmals geöffnet; einige äußerst zuvorkommenden Zuschauer eilen herbei und ergreifen das Führungsseil; und ohne die geringste Erschütterung berühren wir den Boden. Der Ballon ist, nicht etwa wie eine Jagdbeute mit Blei in den Flügeln, sondern wie ein großer gesunder Vogel gelandet.
Zwanzig Minuten später, war der Ballon entlüftet, zusammengerollt, verschnürrt und auf einen Karren deponiert, und ein Wagen nimmt uns zurück nach Amiens.
Dies sind, mein lieber M. Jeunet, meine kurzen aber genauen Eindrücke. Lassen Sie mich hinzufügen, daß ein einfacher Luftspaziergang, ja selbst eine lange Luftreise, unter der Leitung von Eugène Godard keinerlei Gefahr mit sich bringt. Beherzt, intelligent, erfahren, ein Mann großer Kaltblütigkeit, der mehr als tausend Aufstiege in den alten und neuen Welt gemacht hat, Eugène Godard überläßt nichts dem Zufall. Er plant alles. Kein Zwischenfall kann ihn überraschen. Er weiß, wohin er geht, er weiß, wo er aufsetzt. Er wählt mit erstaunlichem Scharfsinn seinen Landeplatz. Er geht mathematisch vor, ein Barometer in einer Hand und einen Ballastsack in der anderen. Sein Geräte sind in hervorragenden Zustand. Kein verzögernes Ventil, keine Falte im der Ballonhülle. Sollte das Luftschiff mal über den Boden schleifen und es deshalb nötig werden, zum Anhalten den Ballon blitzschnell zu entleeren, erlaubt es ihm ein "Bruchseil" die Hülle aufzureissen. Dank seine Erfahrung, seiner Kaltblütigkeit und seiner Weitsicht, ist Eugène Godard ein wirklicher Herr der Luft, welche ihn trägt und transportiert, und, wie man weiß, kein anderer Aeronaut ist mit ihm vergleichbar. Unter diesen Bedingungen bietet eine Luftreise jegliche Sicherheit. Ja, es ist nicht einmal nur eine Reise, sondern es ist eher ein Art von Traum, aber ein Traum, der jedesmal zu kurz ist!
Ihr erlaubt, mein lieber M. Jeunet, usw.
Jules Verne