Zum Schloß wird hier der Raum

  • Zum Schloß wird hier der Raum
    von Steffen Richter


    Der Raum erlebt derzeit Konjunktur. Wissenschaftsjournalisten gehen auf die Suche nach dem Längengrad oder recherchieren die Geschichte eines höchst lukrativen Kartendiebstahls. Doch wo war er denn hin, der Raum? Angeblich "vernichtet" in der Beschleunigung von Transport- und Nachrichtentechnologien, erstarrt in postmodernen Simulakren. Nicht zuletzt macht das nationalsozialistische "Lebensraum"-Konzept den Zugang noch heute problematisch. Um den Raum in seine Rechte einzusetzen, genügt es daher nicht, auf seine evidente Existenz und Relevanz zu insistieren. Insofern kommt der von Robert Stockhammer herausgegebene Band "TopoGraphien der Moderne" gerade recht. Mit seinen 13 Beiträgen bietet er ein theoretisch fundiertes, hochgradig inspirierendes Panorama zum gegenwärtigen "spatial turn".



    Es beginnt mit einer geharnischten Polemik Werner Kösters gegen die fragwürdige Aktualisierung von Carl Schmitts Raumordnungstheorie in jüngeren deutschen Publikationen. Köster demontiert die vorgebliche Wissenschaftlichkeit deutscher Geopolitik der zwanziger und dreißiger Jahre und rekonstruiert Schmitts völkerrechtswidrige Thesen sowie deren Anschlußfähigkeit an die Raum-Propaganda der Nazis. Dem verständlichen Verlangen nach Materialität und einem "gesteigerten Realismus" inmitten gegenwärtiger Diskurse des Virtuellen setzt er zu Recht "eine gewisse Mißtrauenshermeneutik" entgegen.



    Erfreulich diskursiv kommt auch der Beitrag Michel de Certeaus über Jules Verne daher. Vernes Seefahrten, so de Certeau, "semantisieren die Löcher des Universums", indem sie den unbekannten Raum "beschreiben", ihn in Taufakten mit Namen versehen und geographische Informationen in Karten eintragen, die schließlich in Archiven verfügbar werden. Bei Verne wird auch klar, daß die Geschichte der Entdeckungen nicht im kolonialen Begehren aufgeht.



    Eines der reizvollsten Themen des Bandes bildet die Beziehung von Kartographie und Literatur. Robert Stockhammer geht der Faszination der Literatur für die Macht der Karten nach. Macht hat, wer "ortet". Und große Landvermesserromane der Moderne wie Franz Kafkas "Schloß" sind sich dieser Macht sehr wohl bewußt. Zum einen bemühen sie sich, wie Stockhammer in überraschenden und erhellenden Lesarten begründet, um "Teilhabe am Dispositiv der Verortung". Zum anderen versuchen sie, "sich der Verortung zu entziehen".



    Daß Romane einen besonderen Sinn für Vermessungen, für die Konstruktion und Repräsentation von Räumen besitzen, ist nicht verwunderlich. Es geht um Aufklärung und die Produktion von Ambiguität - beides schon immer eine Angelegenheit der Literatur.



    Robert Stockhammer (Hg.): TopoGraphien der Moderne. Wilhelm Fink, München. 418 S. 49,90 EUR.


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    Artikel erschienen am Sa, 3. Juni 2006


    http://www.welt.de/data/2006/06/03/899754.html

  • "Zum Schloß wird hier der Raum", ein schöner Satz, nicht wahr? Mir fällt hierzu ein anderes Prunktstück aus dem kürzlich erschienenen Verne-Buch von Rainer E. Zimmermann ein:


    "Was Verne angeht, so haben wir erreicht zu zeigen, daß seine Hauptmotivik vor dem Hintergrund des anthropologischen Vermittlungszusammenhangs zwischen Raumempfinden und Technikverständnis gelesen werden [nicht besser: wird??], wobei die Motivik selbst auf enzyklopädische Weise all jene Implikationen bereitstellt, die auf das Verhalten der Menschen im Alltag zu wirken geeignet sind" (S. 377).


    Alles klar? Na also.