Höllenjagd (The Chase) Rezensionen

  • Quelle: Krimi-Couch.de


    In Kürze:


    Isaac Bell, der erfolgreichste Kopfgeldjäger der USA, heftet sich an die Fersen eines brutalen Bankräubers, dessen Weg von Leichen gepflastert ist. Die Presse nennt diesen Verbrecher, der nie einen Zeugen am Leben lässt, den »Schlächter«. Kompromisslos setzt sich Bell auf die Spur seiner Beute, immer näher rückt er dem »Schlächter« – bis dieser plötzlich den Spieß umdreht und aus dem Jäger der Gejagte wird …




    Im Jahre 1906 treibt der »Schlächter«, ein ebenso genialer wie psychopathischer Bankräuber, in den südwestlichen Staaten der USA sein Unwesen. Penibel bereitet er seine Überfälle vor, rafft gewaltige Summen zusammen – und tötet sämtliche Zeugen per Kopfschuss; ein Vorgehen, das für den Täter die vergnügliche Krönung des Raubzugs darstellt.


    Nachdem jede Fahndung bisher erfolglos blieb, bittet die Regierung in ihrer Not die legendäre Van Dorn Detective Agency zu Hilfe. Joseph Van Dorn setzt seinen besten Mann auf den Fall an: Isaac Bell hätte es als wohlhabender Erbe eigentlich nicht nötig, sein Leben als Verbrecherjäger aufs Spiel zu setzen, doch er zieht die Aufregung seit jeher dem Müßiggang eines reichen Mannes vor.


    Dieses Mal scheint er seinen Meister gefunden zu haben. Der »Schlächter« hat wie beschrieben sämtliche Spuren verwischt, die zu ihm führen. Auch über seinen Verfolger ist er bereits informiert und setzt einen Killer auf Bell an, der dem Anschlag nur knapp entkommt. Verletzt bleibt er dem »Schlächter« auf den Fersen. Endlich zahlt sich seine Hartnäckigkeit aus; Bell lüftet das Geheimnis, wie es dem Mörder gelingen kann, quasi spurlos von den Stätten seiner Untaten zu verschwinden. Nun setzt der Detektiv das Gerücht einer umfangreichen Lohngeldtransaktion in die Welt, dem der »Schlächter« in der Tat nicht widerstehen kann.


    Aber die Falle schnappt nicht richtig zu, das Unternehmen endet als tödliches Fiasko. Immerhin hat Bell die Identität des »Schlächters« aufdecken können. Die Jagd geht weiter und scheint in San Francisco endlich ihr Ende zu finden, als ein gewaltiges Erdbeben für eine dramatische Fortsetzung sorgt …




    Mr. Cussler schreibt sich frei


    Damit war nicht zu rechnen: Ausgerechnet Clive Cussler, 1931 geborener Autor der seit 1973 (!) fest in der Unterhaltungsliteratur etablierten Dirk-Pitt-Serie, löst sich von seinem erfolgreichen Helden und schreibt einen Stand-Alone-Thriller. Immerhin gab es Vorzeichen; so brachte Cussler 2006 mit »The Adventures of Vin Fiz« ein Jugendbuch auf den Markt. Offenbar denkt der schon bejahrte Schriftsteller nicht an den Ruhestand, sondern an einen Neubeginn.


    Wieso auch nicht? Die Dirk-Pitt-Romane weiß Cussler bei seinem Sohn Dirk in guter Schreiberhand. Das Pitt-Universum gedeiht prächtig mit zwei Sub-Serien (»Numa-Akten« und »Oregon-Chroniken«), die von anderen Autoren geschrieben werden. Cussler sen. setzt nur seinen kassenträchtigen Namen über den jeweiligen Titel, damit der Rubel besser rollt. Ansonsten könnte er sich seiner prächtigen Oldtimer-Sammlung, der Suche nach berühmten Schiffswracks oder einfach des Ruhestands erfreuen.


    Stattdessen schreibt er einen Roman, was ihm offensichtlich großen Spaß bereitet hat – ein Vergnügen, das sich auf den Leser überträgt. Nicht mehr von der Chronik vieler, vieler Pitt-Geschichten erdrückt, konnte Cussler einfach sein Garn spinnen. Das Ergebnis ist sicherlich kein Meisterwerk, sondern die vielleicht bestmögliche Alternative: ein Buch, das sich über die gesamte Distanz schnell und spannend liest.




    Am Morgen einer neuen Zeit


    70 Jahre hat Clive Cussler im 20. Jahrhundert verbracht – kein Wunder, dass es ihm vertrauter ist als sein Nachfolger. Sollte Cussler an den letzten Pitt-Romanen überhaupt noch aktiv mitgeschrieben haben, verdanken wir ihm sicherlich vor allem die ausführlichen Szenen um Produkte einer versunkenen Technik-Geschichte: alte Autos, alte Flugzeuge, Dampflokomotiven, die Cussler so liebt.


    Für eine Handlung, die im Jahre 1906 spielt, ist die Kenntnis moderner Supertechnik überflüssig. Cussler kann sich auf Wissen beschränken, das er besitzt und zu beschreiben vermag. Das befreit ihn von der Notwendigkeit einer Recherche, die über die Realität des frühen 20. Jahrhunderts hinausgeht. Stattdessen kann Cussler seine Energie in eine Geschichte investieren, die im positiven Sinn altmodisch geraten ist.


    Höllenjagd verschafft ihm die Gelegenheit, ehrwürdige Technik als Nonplusultra in Szene zu setzen. Seine Schilderung einer Aufholjagd über Land am Steuer eines »Locomobile«-Automobils – das sicherlich bis in die letzte Schraube so existiert/e, wie Cussler es beschreibt – ist nicht nur im Rahmen der erzählten Geschichte spannend, sondern wirkt auch aufgrund der offenkundigen Begeisterung des Verfassers ungemein lebendig.




    Männer (und Frauen) der Tat


    Dabei hat Cussler das Rad wahrlich nicht neu erfunden. Ein Zug stürzt schon im fünften Pitt-Abenteuer Night Probe (1981; dt. Um Haaresbreite) eindrucksvoll in die Seefluten. Isaac Bell könnte der Großvater von Dirk Pitt (oder eine frühere Inkarnation) sein. Beide sind typische Tatmenschen. Ihre Arbeit ist ihnen nicht Beruf, sondern Berufung. Der schnöde Mammon ist Bell nur Mittel zum Zweck; er verschmäht ihn nicht, sondern setzt ihn dort ein, wo ihm ansonsten Grenzen gesetzt wären. Im brutalkapitalistischen Amerika von 1906 ist er damit ein glücklicher Mann, wie Cussler deutlich macht: Als ein Detektiv-Kollege im Einsatz stirbt, bedeutet dies für seine Familie den Absturz ins Armenhaus, denn ein soziales Netz gibt es in diesem Land der Tüchtigen & Rücksichtslosen nicht. (Natürlich springt der edelmütige Bell ein.)


    Höllenjagd ist wie schon angedeutet eine naive aber unwiderstehliche Hymne an die Geschwindigkeit. Gleichzeitig erstaunt Cussler mit einem Handlungsstrang, der alle Anforderungen des klassischen »Whodunit«-Krimis erfüllt. Bell ist kein Glücksritter, der in Indiana-Jones-Manier seinem Jagdziel hinterher ist. Er bedient sich kriminologischer Methoden, sucht und sichert Indizien, recherchiert systematisch und fügt Puzzlestein auf Puzzlestein zum Mosaik zusammen, das ihm verrät, wer der »Schlächter« ist und wie er seiner habhaft werden kann.


    Natürlich ist Cussler Profi genug, um Bell umgehend einen dicken Strich durch die Rechnung zu machen. Der »Schlächter« hat die Arbeitsmethoden der Gesetzeshüter sorgfältig studiert und kann sich deshalb auf diese einstellen. Auch der Zufall bzw. die Tücke des Objekts spielt eine Rolle.


    Schon früh setzt Cussler uns, seine Lesern, darüber in Kenntnis, wer sich hinter der Maske des »Schlächters« verbirgt, während er Bell noch im Dunkeln tappen lässt. Der Zweikampf zwischen Gut und Böse verliert darüber keineswegs an Spannung. Wir verfolgen, wie Bell dem »Schlächter« unter Nutzung einschlägigen Wissens und langjähriger Erfahrungen näher rückt. Dass sein Gegner längst im Bilde ist, verleiht den Bemühungen des diesbezüglich lange ahnungslosen Bell eine besondere Note. Zwar sind wir sicher, dass ihn der »Schlächter« nicht erwischen wird, aber Cussler macht ihm trotzdem das Leben sehr sauer.




    Die Frauen an ihren Seiten


    Cussler ist ein leichtfüßiger Autor, wenn es gilt, seinen Helden in atemberaubende Abenteuer zu verwickeln. Das verflüchtigt sich, sobald er einhält oder gar gefühlvoll wird. Diese literarische Ebene bleibt ihm eindeutig verschlossen. So wirken die Komplizin des »Schlächters« in der Rolle der schönen aber bösen Frau – immerhin ist sie rot- und nicht schwarzhaarig – wie die ebenso schöne aber gute Dame, an die Bell sein Herz verliert, lieblos dem Klischee-Katalog entnommen. Cussler vermag sich ein wenig in Zeitkolorit zu flüchten, wenn er seinen weiblichen Figuren schematische Gefühlsäußerungen diktiert; Anno 1906 ist die Gleichberechtigung noch ein abstrakter Begriff. Dennoch wirkt vor allem Bells Werbung einerseits pennälerhaft und andererseits einem Publikum geschuldet, das angeblich auf eine Liebesgeschichte nicht verzichten mag.


    Apropos Zeitkolorit: Wesentlich wohler fühlt sich Cussler, wenn er in historischen Fakten schwelgen und sie ein wenig zu Gunsten seiner Geschichte umformen kann. So sorgt er dafür, dass Jäger und Gejagter San Francisco genau dann in San Francisco aufeinandertreffen, als die Stadt am 18. April 1906 durch ein Erdbeben vernichtet wird; ein Ereignis, das Cussler mit gebührender Wortgewalt darzustellen weiß. Als Statisten treten darüber hinaus einige prominente Persönlichkeiten wie der Sänger Enrico Caruso oder der Schriftsteller Jack London auf.


    Das alles fügt sich zu einer Lektüre, die nie etwas anderes als Unterhaltung sein möchte und diesem Zweck gerecht wird. Als geschäftstüchtiger Mann hat Clive Cussler das Potenzial seines neuen Helden erkannt und startet folgerichtig eine Isaac-Bell-Serie, die er – auch dieses Verfahren hat er perfektioniert – nicht selbst schreibt, sondern schreiben lässt: »The Wrecker« verfasste 2009 Justin Scott. Sicherlich wird auch den deutschen Lesern die Möglichkeit geboten festzustellen, ob dieser ‚outgesourcte‘ Bell mit dem Original mithalten kann.


    Michael Drewniok, Juni 2009