"Die Gestrandeten" als Film

  • Hier eine Kritik zu Les naufragés du Fol Espoir von Beatrice Behn. Hoffentlich bald auf ARTE zu sehen.
    Keep watching the skies!


    In Theaterkreisen ist Ariane Mnouchkine schon seit Jahrzehnten eine
    feste Größe. Die Leiterin des berühmten Théâtre du Soleil verbindet ihre
    Bühnenarbeit aber auch gern mit Film und genauso entstand ihr neustes
    Werk Les naufragés du Fol Espoir (auf deutsch: "Die
    Schiffbrüchigen der Fol Espoir"). Der Film ist ein Meta-Meta-Metastück
    über Theater, Kino und die Geschichte Europas des letzten Jahrhunderts.
    Beginnen wir also dieses dreistündige Werk einmal genauer zu betrachten:


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    Frankreich, 1914: Ein vom Kino besessener Restaurantbesitzer stellt
    sein Haus für eine Filmproduktion zur Verfügung. Die Filmemacher,
    aufgrund ihrer sozialistischen Einstellung von den großen Studios
    ausgeschlossen, drehen hier mit Laiendarstellern einen Film über die
    Schiffbrüchigen der Fol Espoir - eine Geschichte voller
    Klassenunterschiede und sozialistischer Ideen, die wohl ganz im Sinne
    Eisensteins gewesen wären. So wird der Kellner zum Zaren, die Putzfrau
    zur Opernsängerin, der Regisseur selbst zum kapitalistischen
    Großgrundbesitzer. Währenddessen ändert sich die Welt außerhalb des
    "Studios" dramatisch. Hier nun kommt eine dokumentarische Ebene ins
    Spiel, die mithilfe von echten Fotografien die Ermordung Franz
    Ferdinands und die hektischen Tage und Wochen vor dem ersten Weltkrieg
    in die Geschichte mit einflechtet. Drinnen drehen die Sozialisten
    hoffnungsvoll einen Film, draußen drehen die Konservativen und
    Nationalisten hohl.


    Die dokumentarischen Bildaufnahmen - wohl gemerkt Bilder, nicht
    Bewegtbilder - und das Theaterstück, in dem die Theatersteller die
    Filmarbeiten mimen, sind beides Elemente, die eigentlich wenig bis
    nichts mit Film zu tun haben. Selbst wenn das Theater selbst wieder
    gefilmt wurde - ist das Film? Ist das Kino? Oder andersherum: ist das
    Theater? Die Antwort ist... egal. Denn seit jeher vermischen sich Kunst-
    und Medienformen - mal zum Guten und mal zum Schlechten - miteinander
    und bilden Hybride wie dieses hier. Das bedeutet für den Zuschauer von Les naufragés du Fol Espoir aber vor allem zuerst einmal, dass er sich auf die sehr stilisierte Art des Schauspiels von Ariane Mnouchkines Théâtre du Soleil-Truppe einlassen muss, deren Traditionen der Darstellung Wurzeln in der commedia dell'arte haben und manchmal auch an Pina Bauschs Choreografie Arbeiten erinnern.


    Wem das nicht passt, der wird schnell genervt sein von der Art des
    Schauspiels. Kann man sich aber auf dieses Experiment einlassen, so
    verfliegen die drei Stunden Laufzeit wie im Fluge und man wird
    überrascht feststellen, dass der magische Kinomoment doch stattfindet.
    Trotz des Herausstellens der Theaterarbeit vermag man nämlich irgendwann
    in diese Geschichte einzutauchen wie in einen Film und diese Welt -
    auch wenn sie die massive Restriktion einer Theaterbühne erfährt - als
    weitläufig und für den Moment als realistisch zu betrachten.


    Leicht macht es Mnouchkine einem nicht gerade - aber wer hat denn
    gesagt, dass Film immer nur heitere Unterhaltung sein muss. Manchmal ist
    es eben auch Arbeit und die lohnt sich von Zeit zu Zeit.


    (Beatrice Behn)