Neuerscheinungen - und wieder neue Verne-Ausgaben- BOD macht's möglich?

  • Hallo,


    vor wenigen Jahren habe ich mich noch gefreut, wenn mal wieder irgendein Verne-Titel, insbesondere weniger übliche, auf den Buchmarkt kamen und dies mit Freude auf der Club-Seite unter "Aktuelles" angekündigt.


    Nicht nur, das die rechtsfreien Texte jetzt inzwischen vielfach auf DVD's als "Werksausgaben" digital für ein paar Euro angeboten werden, auf die Druckfassungen sind dank BOD - Verfahren (Book-on-Demand = Druck auf Bestellung) inzwischen offenbar Anreiz für viele in den Publikationsmedien Tätige mit den alten Texten Geld zu machen. Das Thema "Salzwasser-Verlag" ist dem ein- oder anderen sicher noch im Bewusstsein... Projekt Gutenberg, eigentlich eine gute digitale Sache, glänzt in Sachen Verne aber auch bereits seit einigen Jahren damit. In letzter Zeit stolpere ich vermehrt über Verlage mit englischen Firmennamen, wie jetzt etwa "CreateSpace Independent Publishing Platform" (siehe http://www.jules-verne-club.de/Aktuelles/aktuelles.html , "Eine Überwinterung im Eis" ).


    Nun scheint ein seit etwa 2013 aktiver "Verlag", der nach Internetsuche sogar im Buchhandel so unbekannt ist, dass in einem Buchhandels-Fachforum nach Auskünften darüber gefragt wird, mit einer neuen Verne-Reihe begonnen zu haben:
    Hofenberg - Verlag, "Edition Holzinger" , Hartleben-Übersetzungen durch Michael Holzinger überarbeitet, jetzt im Februar mit drei Bänden auf den Markt gegangen... Neben den obligatorischen 80 Tagen mit den Kindern des Kapitän Grant und Hatteras. Den Grant habe ich mir jetzt mal bestellt, mal sehen was sich zu dem Band sagen lässt...


    Die multimediale "Billigpreis-Vermarktung" der rechtsfreien Verne-Texte macht m.E. die bibliografische Erfassung zu einer unangenehmen Recherchearbeit... Übrigens ein Grund, warum ich W. Thadewald für seine Aktualisierung der geplanten Bibliografie empfohlen hatte wegen der zunehmenden Unübersichtlichkeit mit BOD-Veröffentlichungen seine Bibliografie mit einem bestimmten Jahr als "Abschluß" zu planen, wie z.B. 2010. Für ihn war an BOD's heranzukommen regelrecht unmöglich, da er ja nicht Internet-Aktiv war, und bei der Flut auch eine finanzielle Frage... wie wohl für jeden von uns.


    So wie unsere Welt immer rasanter im Umbruch ist, so gilt dies genauso und uneingeschränkt für die Welt der Bibliophilen. BOD verändert diese Welt rapide, und jeder kann es nutzen, und ob er 10, 100 oder 1000 Exemplare eines Buches am Ende drucken lässt wird später niemand mehr in Erfahrung bringen können. Bücher ohne ISBN sind noch nicht mal auf dem offiziellen Buchmarkt und damit ein rein privater Charakter der Erstellung anzunehmen - so zählt die Erstausgabe des Weg nach Frankreich durch den Jules-Verne-Club in der Prachtbindungs-Fassung quasi gar nicht als Erstausgabe, da sie nicht frei erwerbbar war, die Lizenzausgabe bei Dornbrunnen hingegen schon.


    Die Arbeit der Bibliografen wird zusehends schwieriger...


    Gruß


    B.

    :seemann: :baer:


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    I love you, you love me, ja wo lawe ma denn hi??

  • Bücher ohne ISBN sind noch nicht mal auf dem offiziellen Buchmarkt und damit ein rein privater Charakter der Erstellung anzunehmen - so zählt die Erstausgabe des Weg nach Frankreich durch den Jules-Verne-Club in der Prachtbindungs-Fassung quasi gar nicht als Erstausgabe, da sie nicht frei erwerbbar war, die Lizenzausgabe bei Dornbrunnen hingegen schon.

    Also meines Wissens ist es egal, ob ein Buch eine ISB-Nummer hat oder nicht, um als Erstausgabe zu gelten. Und wenn ich mal schnell bei der Wikipedia nachlese, dann fühle ich mich durch die dortige Definition eigentlich auch bestätigt:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Erstausgabe


    Also sollte und wird sicher auch für Sammler von Erstausgaben die Clubausgabe durchaus die erste Wahl sein.


    Was nun die ganzen BoD-Editionen von alten Texten und Übersetzungen betrifft, so würde sich im Fall von Jules Verne anbieten, diejenigen Ausgaben, die die keinen Mehrwert bieten, in einer gesonderten Bibliografie zu erfassen. Was dann einen Mehrwert darstellen könnte, kann man ja vorher definieren.

  • @ Predantus


    Erstausgabe - ja und Nein. Ich sehe es eigentlich auch so, der Begriff kann nicht von einer ISBN-Nummer oder ähnlichen Kriterien abhängig sein. Wenn aber schon unser Literaturkenner Volker D. nur frei erwerbbare Ausgaben in Listungen für Neuerscheinungen aufnimmt (auch wenn dies natürlich dem Grund geschuldet ist, was macht es für einen Sinn Neuerscheinungen bekannt zu geben die nicht (mehr) käuflich erwerbbar sind), dann entsteht bei mir das Gefühl, das quasi privat produzierte (oder eben nicht gewerblich vertriebene) Ausgaben eben nicht als echte Erstausgaben angesehen werden....


    Zu "Hofenberg" von meinem vorherigen Post:


    Nachdem Die Kinder des Kapitän Grant
    vorliegen: Herausgegeben von Karl-Maria Guth, Sammlung Hofenberg wird
    herausgegeben im Verlag der Contumax GmbH & Co. KG Berlin, Druck
    durch BOD Norderstedt (in Polen?). Durch Übernahme der Paginierung der
    angegebenen Originalausgabe (Hartleben Prachtausgabe) als zeilengenaue
    Marginalie erhebt die Ausgabe den Anspruch auch für wissenschaftliche
    Zitierungen geeignet zu sein.


    Eine weitere neue Reihe? Als BOD natürlich mal wieder, aber zu erschwinglichen Preisen, leider ohne Bilder.
    BOD - Bibliografie - Mehrwert: Ich denke eine sehr schwierige Sache.


    Ein Mehrwert lässt sich sicher schnell und einfach definieren, (beispielweise: Nur gegeben wenn tatsächlich Text oder Inhalte neu erstellt, z.B. übersetzt oder ergänzend kommentiert ist usw., nur die Wiedergabe früherer Veröffentlichungen in angepasster Schreibweise stellt keinen Mehrwert dar.) Aber ist eine Begrenzung / Einschränkung dieser Art für die bibliografische Forschung / Dokumentation zulässig? Ich denke da scheiden sich die Geister...


    Eine Abgrenzung Gedrucktes zu digitalem Medien denke ich ist eindeutig und nachvollziehbar, also all die Kindle- und sonstwie ebook-Ausgaben aller möglichen Titel haben für mich in einer klassischen Bibliografie nichts verloren bzw. dafür muß / müsste es dann eine eigene Bibliografie geben - mag anlegen wer will. Aber jedes ebook, das dann auch als Printfassung angeboten wird gehört bereits wieder in die klassische Bibliografie.
    LG
    B.

    :seemann: :baer:


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  • Ein herzliches Hallo an Alle:


    Ich habe mit dem Begriff ERSTAUSGABE auch ein Problem, wenn es sich um ein BOD in Kleinstauflage (geht teilweise schon ab 1 Exemplar oder oft nur 10) oder um eine nicht erwerbbbare Ausgabe handelt. Aus meiner Sicht sollte eine Erstausgabe auch öffentlich zugängig sein. Da diese Zugängigkeit als Anzahl der Exemplare wieder zu definieren ist, stellt sich die Frage ab wieviel Stück.


    Die Definition spricht bei kleineren Auflagen, Vorabdrucken oder TB auch von ERSTDRUCKEN. Siehe : "In der Germanistik werden die Begriffe Erstausgabe und (gleichbedeutend) Editio princeps zuweilen auch auf die erste selbständig gedruckte Buchausgabe eingeschränkt, während der Abdruck oder Vorabdruck in einer Zeitschrift oder auch eine Taschenbuchausgabe (sofern sie überhaupt einer gebundenen Buchausgabe vorhergeht) unter den Begriff Erstdruck fallen soll. In der Regel wird jedoch die erste gedruckte Veröffentlichung, sofern es sich nicht nur um den Vorabdruck eines Auszugs handelt, gleichbedeutend als Erstausgabe, Editio princeps oder Erstdruck bezeichnet, unabhängig von der Selbständigkeit der Veröffentlichung und der Art des Einbandes"


    Damit greife ich die Diskussion einige Beiträge weiter oben wieder auf. Denn wo ist der Unterschied zwischen BOD in 2,3 oder 4 Exemplaren zu der Anfertigung einer Textkopie? Wir haben mit Poldi schon Vernematerial (Sekundärquellen) in BOD in 2 od. 3 Exemplaren drucken / binden lassen. Nach der vorangegangen Diskussion müsste das eine Erstausgabe sein und in Bibliographien erscheinen. Spätestens an dieser Stelle zeigt sich der Mangel in dieser Art der Argumentation.


    ?(

  • ... nun, da hast Du wohl recht, Andreas. Dann ist unser Weg nach Frankreich ja wohl auch mehr ein Erstdruck als Erstausgabe, da nicht frei erhältlich...

    :seemann: :baer:


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  • Ich glaube, das kann man so oder so sehen. „während der Abdruck oder Vorabdruck in einer Zeitschrift oder auch eine Taschenbuchausgabe (sofern sie überhaupt einer gebundenen Buchausgabe vorhergeht) unter den Begriff Erstdruck fallen soll“: es war ja kein Abdruck in einer Zeitschrift und keine Taschenbuchausgabe, sondern „die erste selbständig gedruckte Buchausgabe“. Die DNB scheint auch keine Einwände gegen die Bezeichnung „Erstausgabe“ zu haben:
    https://portal.dnb.de/opac.htm…ue&query=idn%3D102709063X
    Und es waren ja auch nicht nur 3 oder 5 oder 10 Exemplare.


    Zu den Hartleben-Neuverwurstungen: „Durch Übernahme der Paginierung der angegebenen Originalausgabe (Hartleben Prachtausgabe) als zeilengenaue Marginalie erhebt die Ausgabe den Anspruch auch für wissenschaftliche Zitierungen geeignet zu sein.“ Nicht schlecht, gibts bei zeno.org aber online „für lau“ …
    http://www.zeno.org/Literatur/M/Verne,+Jules


    „BOD“ hört sich für mich immer ein bisschen nach Werbung an – es gibt auch noch andere Unternehmen, die diese Art der Veröffentlichung anbieten. Ich würde es eher „Print on demand“ oder „POD“ nennen – wobei sich aber in Deutschland wohl der Begriff „Book on demand“ durchgesetzt hat, da würde ich also auch niemandem einen Vorwurf machen, der diesen Begriff benutzt.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Book-on-Demand
    https://en.wikipedia.org/wiki/Print_on_demand

  • Zitat

    "Zu den Hartleben-Neuverwurstungen: „Durch Übernahme der Paginierung der
    angegebenen Originalausgabe (Hartleben Prachtausgabe) als zeilengenaue
    Marginalie erhebt die Ausgabe den Anspruch auch für wissenschaftliche
    Zitierungen geeignet zu sein.“"

    Diese Selbstvermarktung ringt mir doch eine Bemerkung ab: Übersetzungen sind für wissenschaftlliche Arbeiten so gut wie nie zitierfähig, es sei denn, sie werden am französischen Original überprüft. Eine Ausnahme bilden Arbeiten, die sich direkt übersetzungstechnischen Fragen widmen oder den Einfluss etwa auf deutschsprachige Autoren untersuchen, die nachgewiesenermaßen Vernes Werke nur in dieser oder jener Übersetzung zur Kenntnis nehmen konnten.


    Wer meint, das sei eigentlich nicht so wichtig, den verweise ich auf die Böcke, die Rainer E. Zimmermann in seinem Buch über Jules Verne geschossen hat, der lautstark Kritik an den Hartleben-Übersetzungen übte, ohne zu berücksichtigen, dass es auch im Französischen mehrere Textfassungen von Vernes Werken gibt (siehe meine Besprechung: http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=2557 ). Weshalb er in seiner akademischen Arbeit Übersetzungen zitiert (und gleichzeitig kritisiert), statt sich auf eine frz. Originaltextausgabe zu beziehen, wird wohl sein Geheimnis bleiben.


    Tatsächlich ist die Textlage auch im Französischen für Verne größtenteils noch nicht untersucht (mehr oder weniger wichtige Varianten gibt es immer zwischen Vorabdruck - Erstausgabe - illustrierte Ausgabe, die meist als letzte erschien, aber nicht immer den definitven Text präsentiert), umso extremer sind die Textabweichungen bei deutschen Übersetzungen, die meistens ungeklärt lassen, auf welche konkrete Ausgabe sie sich beziehen. Und dann kommen natürlich noch Textauslassungen, Schludrigkeiten, Irrtümer oder gutemeinte Korrekturen der Übersetzer oder Bearbeiter hinzu... Und was Hartleben betrifft: die Übersetzung beruht bei den meisten Romanen auf eine Fassung, die so im Frz. nie erschienen ist, weil Hetzel Druckfahnen an den Verlag zur Übersetzung lieferte, deren Korrektur Jules Verne nicht immer schon abgeschlossen hatte!

  • ..tja, da hat sich der
    Verlag offenbar literaturwissenschaftlich gesehen "ein Ei ins Nest
    gelegt" ... Ich muß übrigens anmerken, das in dem von mir jetzt
    wiederholt zitiertem Satz das in Klammern gesetzte "(Hartleben
    Prachtausgaben)" so nicht im Impressum der Bücher steht, sondern als
    Erläuterung von mir eingefügt wurde. Im Buch stehen Angaben, die es nur einem mit der Materie Vertrautem
    ermöglichen diese Quelle zu identifizieren. Ich habe selber erst einmal
    nachgeschlagen welche Hartleben-Ausgabe da eigentlich angegeben wird...


    Zu Deinem letzten Satz: Die meisten Romane? Wirklich? Ja!


    Ich
    denke, dass trifft zu für die Romane, die zwischen 1873 und 1881 bei
    Hetzel und zeitnah bei Hartleben erschienen (11 Romane), dann tut sich
    eine größere Zeitlücke auf, da Hartleben über 3 Jahre lang keinen Verne
    abdruckte. Die zwischen 1882 und 1885 bei Hetzel erschienen Romane kamen
    bei Hartleben erst zwischen 1885 und 1887 (6 Romane). Aus dem Rahmen
    fallen dann noch die beiden 1889er bei Hetzel, die bei Hartleben erst
    1891 kamen (also 2 Romane). Setzen wir bis zum Tod von Jules Verne 54
    Romane abzüglich den nicht übersetzten Weg nach Frankreich und den bei
    Meidinger publizierten Cascabel an, also 52 Romane, und schauen was
    übrig bleibt: 34 Romane, die als zeitnahe Übersetzungen erschienen sind
    und man daher annehmen kann, daß diese tatsächlich in der beschriebenen
    Art ihre Übersetzung von den Druckfahnen erfuhren. Ja, die meisten
    Romane, das stimmt also.


    Einem Leser hier interessiert nun
    vermutlich noch, wie stark sind denn da nun die Abweichungen. Denn das
    klingt ja nun nach gravierenden Differenzen zwischen den französischen
    Finalfassungen und den Hartleben-Übersetzungen. Nun, teilweise bestehen
    gravierende Differenzen, teilweise nicht - vermutlich ähnlich wie bei
    den von Volker angesprochenen französischen Versionen. So hat
    beispielweise unser Mitglied Stefan Schmidt diesbezüglich einen
    Vergleich gemacht von "Das Testament eines Exzentrikers" . Die einzigen
    Abweichungen lagen hier in deutlichen Schnitzern des Übersetzers, nicht
    aber in Abweichungen zur französischen Buchfassung. Wobei ich nun nicht
    weiß, ob dieser Roman im französischen besondere Differenzen aufweist...
    Was ich damit aber sagen will: Eklatante Abweichungen zur "finalen"
    französischen Buchfassung gibt es in verschiedenen Fällen, müssen aber
    nicht zwingend bestehen. Da es aber auch in Frankreich bislang keine
    kommentierte und vergleichende (analytische) Werksausgabe gibt, welche
    die Unterschiede der einzelnen Fassungen aufzeigt, wäre eine
    vergleichende Analyse der Hartleben-Übersetzungen eine Lebensaufgabe...
    Volker hat an Hand der Novelle Fritt-Flacc aufgezeigt wie eine solche
    französische analytische Ausgabe aussehen müsste (siehe
    http://www.jules-verne-club.de/wordpress/francais/textes_jv ), und erst
    wenn eine solche Ausgabe für die französischen Originaltexte vorliegen
    würde könnte man im Vergleich mit den Hartleben-Übersetzungen mit
    einigermaßen richtiger Annahme sagen a) nach welcher Vorlage die
    Übersetzung angefertigt wurde, b) wo gravierende Unterschiede zu den
    finalen französischen Buchfassungen liegen, c) wo in der Übersetzung
    unsauber oder falsch übersetzt wurde oder d) bewusst Weglassungen oder
    Kürzungen vorgenommen wurden.


    Für jeden, der Verne mehr aus Genuß
    als Analytik liest dürften diese Dinge jedoch überwiegend ohne
    Interesse sein - die Hartleben-Übersetzungen sind nicht so schlecht wie
    man nun denken könnte, und es tut dem Lesevergnügen auch keinen Abbruch,
    wenn da mal etwas anders ist als unser Jules das am Ende gerne gesehen
    hätte...


    In diesem Sinne: Viel Spaß auch weiterhin


    B.

    :seemann: :baer:


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  • Bernhards Einschränkungen sind natürlich völlig zutreffend, ich wollte nur darauf hinweisen, dass es einen Unterschied macht, ob man für sich zum Vergnügen liest oder sich einem Text literaturwissenschaftlich nähert. Im letzten Fall müssen gewisse Standards eingehalten werden oder zumindest ein Problembewusstsein vorhanden sein.


    Wahr ist auch, dass die meisten der Varianten zwischen den drei geläufigen frz. Textausgaben für die Übersetzung kaum relevant sind, weil es sich um Änderungen in der Wortwahl, Satzstellung und Interpunktion handelt. Ich habe in Sachen Hartleben auch keine systematischen Recherchen angestellt, aufgefallen sind mir rein zufällig nur drei "Fälle", die mich immerhin hellhörig gemacht haben, weil sie symptomatisch sein dürften:


    - Hector Servadac (1877/78) : hier ist die deutsche Fassung eindeutig antisemitischer als die frz. Buchfassung (Passagen Isaac Hakhabut). Nach Überprüfung entspricht der Text dem des Vorabdrucks; ob auch Elemente der Manuskriptfassung enthalten sind, was auf vorausgehende Druckfahnen hindeuten würde, habe ich nicht weiter verfolgt.


    - Reisestipendien (1903/4) : hier ist bei Hartleben in einem der ersten Kapitel eine längere Passage enthalten, die nur im frz. Vorabdruck vorliegt.


    - Herr der Welt (1904/5) : hier lautet der vorletzte Kapiteltitel "Gleich Gott", in den drei frz. Ausgaben "Im Namen des Gesetzes!" Keine Zutat des Übersetzers, sondern so heißt auch das Kapitel im Manuskript, und einige gestrichene bzw. abgemilderte Passagen dort entsprechen dem Text des Manuskriptes, der sehr viel religiöser ist als die Endfassung. Da liegt es nahe zu schließen, dass der Text auf noch nicht zu Ende korrigierte Druckfahnen zurückgeht, was in diesem Fall insofern interessant ist, als die letzten Korrekturen nicht von Verne selbst, sondern vom Verleger Hetzel ausgeführt wurden

  • Nun habe ich gleich eine Retourkutsche erhalten - unser Mitglied Stefan Schmidt hat mir soeben mitgeteilt, das er mich nicht über eine Abweichung bei dem Testament eines Exzentrikers informiert hatte, die er erst später feststellte, ich zitiere hier seine Mitteilung an mich:


    Wie erst nachträglich bemerkt, läßt sich auch im Falle "Testament eines Exzentrikers" anhand eines inhaltlich eigentlich völlig banalen Textunterschieds beweisen und sogar datieren, daß die Hartleben-Übersetzung anhand von Druckfahnen erfolgte. Das 13. Kapitel des ersten Bandes endet bei Hartleben mit den Worten: Von hier aus steuerte sie aufs hohe Meer hinaus (frz.:elle mettait le cap au large). In der französischen Fassung folgen hier noch drei weitere Abschnitte, und erst nach den Worten "et Hodge Urrican n'en avait que bien peu à perdre." beginnt das 14. Kapitel mit "La brise tint tout la journée" (dt.: Der Wind hielt den ganzen Tag). Die bewußten drei Abschnitte fehlen allerdings in der deutschen Fassung nicht etwa, sie sind nur an den Anfang des 14. Kapitels und noch vor die Worte "Der Wind hielt den ganzen Tag" gerutscht. Oder anders ausgedrückt: der Romantext ist eigentlich völlig der gleiche, nur die Kapitelüberschrift wurde an eine andere Stelle verschoben.


    Durch einen glücklichen Zufall ist in der Correspondance inédit ein Brief Jules Vernes vom 29. Juni 1899 enthalten, in dem Verne genau diese Änderung absegnet: "Il n'y a rien de mieux à faire que la coupure indique sur l'épreuve. Terminez le chap. 13 sur ces mots ; Hodge Urrican n'en avait que bien peu à perdre et commencez le chap 14 par ceux-ci : La brise tint tout la journée" (C5, S. 57). Diese neue Fassung lag dem deutschen Übersetzer offensichtlich nicht vor; ergo kann als bewiesen gelten, daß er anhand von Druckfahnen arbeitete, die vor dem 29. Juni 1899 entstanden sind!



    Ich fordere hiermit Stefan S. offiziell auf unserem Forum beizutreten, damit ich nicht immer alles transferieren muß ;); :D: :thumbup:



    B.

    :seemann: :baer:


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