Abenteuer im Vierteltakt

  • vonRüdiger Geis


    Tom Sawyer, Lederstrumpf oder der brutale Seewolf - die legendären ZDF-Vierteiler zur Weihnachtszeit lockten die Zuschauer zwischen 1964 und 1983 in Scharen vor den Bildschirm. Vor 55 Jahren begann die Reihe mit dem bekanntesten Schiffbrüchigen der Literaturgeschichte: Robinson Crusoe.


    Ein fürchterlicher Sturm erschüttert das Segelschiff, das langsam in seine Einzelteile zerbricht. Ein junger Mann wird über Bord gespült. Scheinbar der sichere Tod in den aufgewühlten Fluten. Doch es ist sein Glück. Als Einziger überlebt er die Katastrophe vor der Küste Südamerikas. Er wird an einer einsamen Insel angespült. Hier beginnen "Die seltsamen und einzigartigen Abenteuer des Robinson Crusoe aus York, berichtet von ihm selbst".


    Der Titel wirkte sicher schon im Oktober 1964, als der erste der legendären ZDF-Abenteuervierteiler über die Mattscheibe flimmerte, etwas sperrig. Doch die Verfilmung von Daniel Defoes Klassiker mit Robert Hoffmann in der Titelrolle gehört zu jener Spezies von TV-Filmen, die man damals mit dem Namen "Straßenfeger" bezeichnete - auch wenn dieser Begriff in den 1960er Jahren eher auf Krimis gemünzt war.


    Die Robinson-Crusoe-Adaption ist die erste einer ganzen Reihe von Literaturverfilmungen, mit denen das damals noch junge ZDF beim Zuschauer punkten kann. Der Produzent Walter Ulbricht hatte die Idee, Abenteuerliteratur in epischer Breite - nämlich in vier Teilen von jeweils eineinhalb Stunden - dem Fernsehzuschauer nahezubringen. Und um Kosten zu sparen, wurde in Kooperation mit dem französischen Produzenten Henri Deutschmeister gedreht.


    Zwar ist Robinsons Nachfolger, "Die Geschichte von Don Quijote von der Mancha" mit Josef Meinrad im Oktober 1965 ein lauer Erfolg. Doch mit "Die Schatzinsel" ein Jahr später bekommt das Projekt wieder einen neuen Schub. Die Geschichte um den Jungen Jim Hawkins (Michael Ande) und den einbeinigen Piraten John Silver war die erste dieser Verfilmungen, die an Weihnachten gesendet wurde. Da die Zeit am Jahresende auch fortan als Sendeplatz reserviert ist, setzte sich nach und nach die Bezeichnung Weihnachts- oder Adventsvierteiler durch.


    1968 folgen "Tom Sawyers und Huckleberry Finns Abenteuer" mit der unvergleichlichen Lina Carstens in der Rolle der Tante Polly. Im Jahr darauf setzen Coopers "Lederstrumpfgeschichten" mit Helmut Lange in der Titelrolle eine neue, besondere Duftmarke, bilden sie doch quasi einen TV-Kontrast zu der gerade erst zu Ende gegangenen Kinoserie um Karl Mays Winnetou.


    Unbestrittener Höhepunkt ist dann aber 1971 die Jack-London-Verfilmung "Der Seewolf". Raimund Harmstorf spielt den mit einer morbiden Intellektualität ausgestatten, Kartoffel quetschenden Kapitän Wolf Larsen so überzeugend, dass er fortan auch in internationalen Filmen gefragt ist.


    Erstmals wird 1974 mit "Zwei Jahre Ferien" eine Jules-Verne-Verfilmung als Vierteiler gezeigt - mit großem Erfolg. Anders dagegen die 1975er-Verfilmung "Lockruf des Goldes" nach Jack London. Wie schon beim "Seewolf" dominieren hier allzu oft brutale Szenen. Das entspricht zwar der literarischen Vorlage, schreckt aber auch manche Zuschauer ab. Hinzukommen Berichte über Tierquälereien und im Schneesturm erfrorene rumänische Soldaten, die als Komparsen dienen. Auch das Typische der Abenteuervierteiler hat sich überlebt: die Erzählerstimme, die Gedanken des Helden verdeutlicht oder die Handlung kommentiert.


    Neustart mit "Michael Strogoff"


    1976 alles auf Neustart: "Seewolf" Raimund Harmstorf bringt den Erfolg zurück. Als "Michael Strogoff" kämpft, fechtet und liebt er sich durch Jules Vernes "Kurier des Zaren". Kuriosum dieser Adaption: Im Gegensatz zum französischen Publikum bleibt dem deutschen das Happy End mit Strogoff und Nadja verwehrt. Die abschließende Tanzszene des Paares in St. Petersburg ist hierzlande nicht zu sehen. Erklärung des ZDF damals: Ein solcher Operettenschluss passe nicht zu der Geschichte.


    Zwei Jahre später noch einmal ein Höhepunkt "Die Abenteuer des David Balfour" nach Robert Louis Stevenson lassen die Herzen der Zuschauer höher schlagen, zumal sich zwischen den Hauptdarstellern Ekkehardt Belle und Aude Laundry tatsächlich eine langjährige Beziehung ergibt. Markant die Titelmelodie, die wohl die bekannteste aller Vierteiler ist.



    1979 kann die Verne-Verfilmung "Mathias Sandorf" nicht mehr an die früheren Erfolge anknüpfen. Sie ist die letzte Adaption klassischer Abenteuerliteratur. Vier weitere Mehrteiler sollten bis 1983 noch folgen. Der letzte, "Der Mann von Suez", schildert den Bau des Kanals am Roten Meer. Die Reihe versandet in der Wüste Ägyptens.


    Epische Breite und Stoffdurchdringung sind nicht mehr so gefragt. Spätere Verfilmungen von "Kurier des Zaren" (1999) mit Hardy Krüger jr., "Die Schatzinsel" (2007) mit Tobias Moretti oder "Der Seewolf" (2008 mit Thomas Kretschmann und 2009 mit Sebastian Koch) beschränken sich daher (mit bescheidenem Erfolg) auf zwei Teile. Das Flair der alten Weihnachtsvierteiler will 2016 auch noch einmal RTL hervorrufen. Doch die "Winnetou"-Verfilmung in drei Teilen scheitert beinahe kläglich.


    Quelle: https://www.giessener-allgemei…vierteltakt-13068630.html