Mareike Mikat ist die neue Oberspielleiterin am Stadttheater Ingolstadt und wird sich dem Publikum am 18. Oktober mit ihrer Shakespeare-Inszenierung „Romeo und Julia“ vorstellen. Sie steht für leidenschaftliches und politisches Theater.
Frau Mikat, was macht eine Oberspielleiterin? Inwiefern werden Sie das Theater prägen?
Mareike Mikat: Defacto hatte Donald Berkenhoff dieses Amt inne und auch sehr gut ausgefüllt. Man beschäftigt sich viel damit, wie man das Ensemble weiterentwickeln kann, was Schauspieler zu spielen bekommen und wie man sie fördern kann. Natürlich geht es auch um Spielplanentscheidungen. Den aktuellen Spielplan habe ich noch nicht mitverantwortet, weil wir uns erst später gefunden haben. Aber ich werde bei zwei Stücken Regie führen. Vielleicht sind es auch drei. Wir denken gerade über eine weitere Uraufführung im Frühjahr nach. Bei all dem gilt: Ich bin nur ein Teil des Leitungsteams, ein weiteres Rad im großen Uhrwerk Theater.
Sie sind in Ostdeutschland geboren, weiblich, jung – also wenn man so will, der Gegenpol zu Intendant Knut Weber. Haben Sie unterschiedliche Sichten auf Theater?
Mikat: Ich denke eher, dass wir uns in vielem sehr einig sind – etwa was Schauspieler anbelangt. Wir haben zusammen die Vorsprechen betreut, um das Ensemble zu verjüngen, und haben ganz tolle junge Schauspieler engagiert, die Sie schon in „Black Rider“ und „Romeo und Julia“ kennenlernen werden. Ich finde, Knut Weber hat mit dem Stadttheater Ingolstadt ein richtiges Schmuckkästchen geschaffen, das hat mich gleich fasziniert. Was das Alter betrifft: Ich bin 40 Jahre alt und beruflich schon einige Zeit unterwegs, habe in Leipzig eine feste Spielstätte geleitet und war dann zehn Jahre als freie Regisseurin tätig. Durch meine familiäre Situation – mein Sohn ist viereinhalb – passte es gerade, sich wieder mal fest und vor allem längerfristig an ein Haus zu binden. Da kann ich einfach mit einer anderen Perspektive arbeiten und Ideen reifen lassen. Ich glaube, Knut Weber hat jemanden gesucht, der frischen Wind ins Haus bringt ohne es total durcheinanderzuwirbeln.
Für welches Theater stehen Sie?
Mikat: Für ein sehr leidenschaftliches Theater. Ich mag Theater, dass mich so ergreift, dass ich mich kaum auf dem Sitz halten kann. Ich mag Theater für den Kopf und fürs Herz. Das Tollste am Theater ist doch, dass man Leidenschaften bewegen kann. Und zwar in jeder Hinsicht. Man kann empört, erschrocken, verzückt und verliebt sein.
Was muss Theater heute leisten?
Mikat: Es muss einerseits unterhalten, andereseits sollte es uns Impulse geben, über unsere Gesellschaft und unser Miteinander nachzudenken. Theater ist die Möglichkeit zur Befähigung zur Handlung durch eine Art von beispielhaftem Vorführen. Man darf nur nicht den Fehler machen, mit anderen Medien konkurrieren zu wollen. Wir sollten uns eher auf das zurückbesinnen, was Theater ausmacht, nämlich das unmittelbare Spiel von Menschen für Menschen in einem Raum. Wenn wir darin ehrlich und authentisch bleiben, hat Theater eine eigene Qualität, die sich gar nicht messen muss. Wenn wir versuchen, Rammstein zu sein, stoßen wir schnell an Grenzen. Das können wir technisch nicht leisten.
Muss Theater politisch sein?
Mikat: Viele Stoffe sind politisch. Die Konflikte, die Politik hervorruft, und das ist ja auch eine Form unseres gesellschaftlichen Miteinanders, sind auch Konflikte fürs Theaters. Das lässt sich gar nicht so genau trennen. Auch in Komödien steckt oft ein politischer Konflikt, der oft nur auf eine andere Art zubereitet ist. Wir haben auf jeden Fall als Theater die Aufgabe, uns mit gegenwärtigen Themen auseinanderzusetzen und auch mal eine andere Perspektive einzunehmen.
Welche Autoren interessieren Sie?
Mikat: Ich bin ein großer Fan russischer Autoren – das hat natürlich mit meiner Herkunft zu tun. Meine besten Inszenierung waren solche von russischen Autoren. Viktor Pelewin beispielsweise. Er ist der meistgelesene Autor Russlands und hat vor allem bei jungen Lesern längst Kultstatus. Ich hoffe, dass ich ihn auch den Ingolstädtern näher bringen kann.
Sie stellen sich als Regisseurin mit „Romeo und Julia“ vor.
Mikat: Ich durfte mir die Besetzung selbst aussuchen und habe als Romeo und Julia Peter Rahmani und Karolina Nägele engagiert. Karolina hat ein großes Spektrum zwischen einer Zartheit und einer Kraft. Das habe ich mir für Julia gewünscht: Eine Figur, die mit beiden Beinen auf dem Boden steht und selbst über ihr Leben bestimmen will, aber gleichzeitig sensibel genug ist, sich in Romantik zu verlieren. Peter ist vielleicht kein klassischer Romeo. Aber ich wollte für diese Rolle jemanden, der ein Geheimnis hat – und das hat er auf jeden Fall. Den kann man nicht mit einer Begegnung entschlüsseln.
Was interessiert Sie an Shakespeare und wo wird das Stück bei Ihnen spielen?
Mikat: Ich bin ein ganz großer Shakespeare-Fan. Das ganze Drama bei Shakespeare kommt aus dem menschlichen Drama. Ich habe lange überlegt, wo das Stück bei mir spielen soll. Für die Konstellation mit den beiden verfeindeten Familien braucht man ja ein abgeschlossenes Biotop. Ich habe mich für einen Rummelplatz und das Schaustellermilieu entschieden. Zum einen, weil das Stück ja auch ein bisschen derb und zotig ist, zum anderen bin ich bei meinen Recherchen auf ganz tolle Storys von verfeindeten Schaustellerfamilien gestoßen. Da ging es um Konkurrenzgeschäfte, Messerstechereien und ähnliches. Das ist auch ein Milieu, wo sich bestimmte Traditionen halten. Und es geht um die Atmosphäre: Was wird auf dem Rummel verkauft? Glück, Liebe, Rausch. Das ist alles sehr shakespearesk.
Ihr Mann Andrej Kaminsky ist als Schauspieler am Theater Augsburg engagiert. Es geht also privat auch viel um Theater. Braucht man da vielleicht einen Ausgleich?
Mikat: Klar interessiert man sich für den Arbeitsalltag des anderen. Aber in erster Linie bestimmt unser Sohn unser Leben. Aber ich koche leidenschaftlich gern vegetarisch – auch ausgefallene Sachen, backe gern Kuchen, koche Marmelade ein. Essen zubereiten kann einen wahnsinnig glücklich machen.
Wie erkunden Sie die Stadt?
Mikat: Ich habe mir extra für Ingolstadt ein altes gebrauchtes Klapprad gekauft, das ich im Zug von Augsburg nach Ingolstadt transportieren kann. Das habe ich Ingemar getauft und mit ihm erkunde ich stückweise die Stadt und die Donau.
Worauf freuen Sie sich am meisten in dieser Spielzeit?
Mikat: Wie bei einer guten Reise weiß man das Highlight erst, wenn man sie gemacht hat.