Wie Jules Verne das Funkloch erfand

  • Von Michael Pilz

    Redakteur Feuilleton


    Telekommunikation ist in der schönsten Landschaft

    Quelle: picture alliance / Hinrich Bäse


    In Albanien und Kasachstan ist die mobile Telekommunikation besser als in Deutschland. Schon 1876 erzählte Jules Verne vom Fluch der Funklöcher in Russland – und vom besseren Empfang in Kirgisien.


    Wer von LTE, von Long Term Evolution, redet, darf von deutschen Funklöchern nicht schweigen. In der Brandenburger Steppe sterben Menschen, weil der Notarzt nicht mobil erreichbar ist. Albanier und Kasachen haben es da besser als die Deutschen, wie die aktuelle Länderrangliste von Opensignal, einem freien Analysten, zeigt. Deutschland ist 70. von 88. Eine digitale Wüste, ein 4G-Entwicklungsland. Es gibt ein Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Mobilfunkstrategie und eine Kommunikationsoffensive des Verkehrsministeriums mit dem Ziel, mehr Masten zu errichten.


    Und es gibt die Klassiker der telekommunikativen Ohnmacht. Niemand hat die Dramen des Informationszeitalters tiefgründiger und ausführlicher beschrieben als Jules Verne. In „Der Kurier des Zaren“ legen widerständige Tataren die russischen Telegrafennetze lahm, weshalb der Offizier Michael Strogoff für den Zaren mit einer Depesche durch Sibirien reist, um die entstandenen Funklöcher zu überbrücken und die Ahnungslosen in den toten Winkeln des riesigen Reiches zu benachrichtigen.


    In Kirgisien, in der Steppe, hat Strogoff wieder ein Netz: „Glücklicherweise erlitt der Postbetrieb hier noch keine Störung, so wenig wie das Telegrafenwesen. Auf jedem Relais lieferten die Postmeister zu den vorschriftsmäßigen Bedingungen. Auf jeder Station befanden sich die Beamten an ihren Schaltern zur Beförderung der aufgegebenen Telegramme, welche höchstens durch die vielen Staatsdepeschen einige Verzögerung erfuhren.“


    „Der Kurier des Zaren“ erschien 1876. Zwei Jahre nach seiner Dystopie der schönen neuen Datenströme schob Jules Verne zum Trost die Utopie nach. Seine „Reise durch die Sonnenwelt“ berichtete von Gegenden, wo „die Telegrafenmasten wie Bäume wachsen“, in Marokko: „Die Engländer von Ceuta lebten dabei gar nicht so sehr vereinsamt, da sie nur zweieinhalb Meilen von Gibraltar trennten, so dass sie durch ihren Telegraphen stets in Verbindung mit ihren Genossen blieben.“ Als kritischer Futurist und visionärer Skeptiker hat sich Jules Verne um zahlreiche Technologien verdient gemacht. Die Menschheit baute seine Tauchboote und Raumschiffe, installierte Solaranlagen und Stromnetze und schaltete die Welt über Rundfunkkanäle und Bildtelefone zusammen.


    Wenn es funktionierte, war es gut. Aber Jules Verne wäre ein schlechter Fiktionär gewesen, wenn in seinen Büchern immer alles funktioniert hätte. Im Fortschritt war bei ihm auch immer die Tragödie angelegt. Je weiter der Mensch reisen konnte, umso schlimmer konnte er verloren gehen. Seine Helden strandeten auf Inseln, wo sie unerreichbar waren und sie niemanden erreichen konnten. In „Zwei Jahre Ferien“ genossen sie ihre Robinsonade ohne Netz, bis alles aus dem Ruder lief.


    In „Der Kurier des Zaren“ kämpft ein Mann dagegen, dass sein Land, sein mächtiges Land untergeht, weil ein paar Masten nicht mehr stehen, Kabel neu verlegt und Anschlüsse gewartet werden müssten, damit es den Russen so gut geht wie den Kirgisen.


    Quelle: https://www.welt.de/kultur/art…-das-Funkloch-erfand.html

  • Ich kannte den Artikel schon durch einen anderen Hinweisgeber. Der Hintergrund ist gut recherchiert und allemal einen Beitrag wert.

    Aber das technische Grundsätze "verbogen" werden müssen, nur um eine nette Titelzeile zu erhalten, da sträuben sich mir bei mir als Techniker die Haare. Drahtgebundene Telegrafie hat nun mal gar nichts mit "Funk"-Löchern zu tun. Denn Wireless ist nun mal ohne Draht.

    Aber zumindest kam Verne mal wieder in eine Zeitschrift ...


    ;)

  • Ich sehe es ähnlich. Der Vergleich ist etwas weit hergeholt, aber der Artikel ist recht unterhaltsam zu lesen.


    Die Stelle mit dem Semaphor auf Ceuta ist nicht richtig wiedergegeben, soweit ich das sehen kann:

    »Herr Kapitän!

    – Nun, Ben-Zouf?

    – Da ist unbedingt Jemand auf Ceuta, der gegen uns Bewegungen mit den Armen macht. Er scheint die Arme auszustrecken, wie ein Mensch, der aus langem Schlafe erwacht.

    – Mordio! rief Kapitän Servadac, sollten wir zu spät kommen?«

    Beide drangen weiter vor, bis Ben-Zouf ausrief:

    »Ah, Herr Kapitän, es ist nur ein Telegraph!«

    Es war in der That ein Telegraph, ähnlich jenen Semaphoren der Seeküsten (Zeichentelegraphen zur Communication mit Schiffen auf offener See), der auf dem Felsen von Ceuta functionirte.

    »Mordio! wiederholte Kapitän Servadac, wenn sich dort aber ein Telegraph befindet, so muß ihn wohl Einer errichtet haben.

    – Wenigstens, bemerkte Ben-Zouf, wenn auf der Gallia die Telegraphen nicht etwa wie Bäume wachsen.

    – Und wenn er gesticulirt, so muß ihn Jemand in Bewegung setzen.

    – Wahrhaftig!«

    http://www.zeno.org/Literatur/…welt/2.+Theil/16.+Capitel


    Also wachsen die Telegraphen da gar nicht wie Bäume. Oder ist noch an einer anderen Stelle im Roman von Telegraphen in Marokko die Rede???


    :ff: