Geschichten hören führt zu gleichem Herzschlag

  • Wenn Menschen aufmerksam dieselbe Geschichte hören, gleicht sich ihr Herzschlag an – manchmal schlägt das Herz schneller, manchmal langsamer. Davon berichten US-Forscher, die ihren Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern Jules Vernes „20.000 Meilen unter dem Meer“ vorlesen ließen.


    16. September 2021, 9.24 Uhr


    Zwischen 60- und 100-mal pro Minute schlägt das menschliche Herz. Wie oft genau, hängt von verschiedenen Faktoren ab – etwa ob man gerade Ruhe oder Aufregung, Sport oder Entspannung erlebt.


    Bereits frühere Studien haben gezeigt, dass der individuelle Herzschlag synchronisiert werden kann. Ein Kino- oder Konzertbesuch etwa sorgt für eine gemeinsame emotionale Stimmung und damit tendenziell denselben Herzschlag der Menschen im Raum. „Was wir herausgefunden haben, ist, dass dieses Phänomen verbreiteter ist als angenommen und es schon ausreichen kann, derselben Geschichte zu lauschen, um einen synchronen Herzschlag zu entwickeln“, sagt der Studienerstautor Lucas Parra vom City College New York.


    Geschichte gibt Herzschlag vor

    Sein Team hat für die in der Fachzeitschrift „Cell Reports“ veröffentlichte Studie Probandinnen und Probanden eine Audioversion von Jules Vernes „20.000 Meilen unter dem Meer“ vorgespielt, und zwar in einminütigen Teilen. Diesen sollten sie aufmerksam folgen, während gleichzeitig ihr Herzschlag via Elektrokardiogramm (EKG) ermittelt wurde. Bei 17 der insgesamt 27 Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnte eine Synchronisation des Herzschlages nachgewiesen werden. Die besagten Personen hatten einen erhöhten bzw. niedrigeren Herzschlag an denselben Passagen der Geschichte, je nachdem ob es sich um eine aufregende oder ruhigere Textstelle handelte.


    Illustration der Herzschlag-Synchronisation

    Perez and Madsen et al./Cell Reports


    In weiteren Experimenten fanden die Expertinnen und Experten einen Zusammenhang zwischen Herzschlag und Gedächtnis. Wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim Betrachten eines Informationsvideos abgelenkt, verringerte sich sowohl die Herzsynchronisation als auch die – danach überprüfte – Merkleistung deutlich. Offenbar spiegelt die Herzfrequenz wider, wie stark sich eine Zuhörerin bzw. ein Zuhörer mit der Erzählung auseinandersetzt und was davon im Gedächtnis bleibt.


    Vergleich mit Komapatienten

    Schließlich verglichen die Forscherinnen und Forscher mit ihrer Methode auch Gesunde mit Patienten, die unter Bewusstseinsstörungen litten und sich etwa im Koma oder Wachkoma befanden. Beiden wurden Hörbuchversionen eines Kinderbuchs vorgelesen, wie erwartet zeigten die Patienten eine geringere Herzsynchronisation als die Gesunden. Interessant war laut den Forschern aber, dass der Patient mit der stärksten Herzschlagangleichung ein halbes Jahr später wieder das Bewusstsein erlangte.


    Ihre Erkenntnisse seien für die Medizin vielversprechend, meinen die Forscherinnen und Forscher: So könne man mit dem einfachen „EKG-Hörbuch-Test“ auf die Hirnaktivität von Patientinnen und Patienten schließen – und die Methode möglicherweise sogar bei Personen im komatösen Zustand anwenden. Nun gelte es aber, größere Studien mit mehr Teilnehmern durchzuführen.


    Amra Mujadzic, science.ORF.at


    Quelle: https://science.orf.at/stories/3208702/?fr=operanews