Luise Teutsch/Müller – Jules Verne – Hamruden

  • In fünf seiner 65 Romane lässt Jules Verne einen Bezug zum „karpato-pontischen“ Raum erkennen. Zuneigung und Liebe zu einer Hamrudnerin, Verarbeitung vor Ort gewonnener Erkenntnisse und Erfahrungen in seinen Werken beziehungsweise minuziöse Recherche und Fremddokumentation sind wichtige Fragen, die die Fachwelt bis heute beschäftigen.


    „War Jules Verne tatsächlich in Hamruden?“ Zeichnung von Helmut Lurtz


    Im Jahre 1882 glitt eine Jacht unter französischer Flagge die Donau abwärts und ging im Hafen von Giurgiu vor Anker. Nach Erledigung der Zollformalitäten verließ ein etwa 55-jähriger Mann in Begleitung einer jüngeren Dame das Schiff. Ihr Interesse galt einem baldigen Zug nach Bukarest. Das Paar weilte einige Tage in Bukarest, reiste dann aber weiter Richtung Kronstadt. Am darauffolgenden Tag erreichten sie Hamruden. Wer war nun dieses aufreizende, elegante Paar? Er, ein gutaussehender modisch gekleideter Herr mit einem von dichtem Bart umrahmten Gesicht. Es konnte sich nur um den berühmten französischen Schriftsteller Jules Verne handeln, der, um nicht erkannt zu werden, seine Identität verschleierte. Und sie, die Dame? Es war die verwitwete Luise Fabre, die wegen Erbangelegenheiten ihren Heimatort besuchte. Eine günstige Gelegenheit, um ihrem Freund und Begleiter ihre schöne Heimat zu zeigen. Bis Luise ihr Elternhaus an einen betuchten Hamrudner veräußerte, verbrachte Jules Verne einige Tage in Hamruden. Bereits von den ersten Augenblicken an war der Gast von der imposanten Burg beeindruckt und wünschte, diese aus nächster Nähe zu betrachten. In der Dorfmitte befindet sich die befestigte Wehrkirche mit über 3 m dicken Mauern, Basteien und einem über 33 m hohen Wehrturm. Eine über fünf Jahrhunderte alte Anlage, die Zeugnis über vergangene dunkle, ereignisreiche Zeiten ablegt. Einen Monat lang erkundete der Gast das von den Karpaten umschlossene Gebiet. Die zahlreichen mittelalterlichen Wehrburgen und Schlösser haben ihn durch ihre majestätische und architektonische Einmaligkeit fasziniert.


    Es ist bekannt, dass der berühmte Schriftsteller nach dieser Reise bestrebt war, die von der ungeduldigen Leserschaft erwarteten Zyklen zu verfassen. Bekannten Quellen ist zu entnehmen, dass seine junge Freundin nicht nur des Öfteren nach Amiens und Paris zurückkehrte, sondern auch nach ihrer Heirat mit Gustave Müller einen regen Briefwechsel mit Jules Verne pflegte.


    Um Jules Vernes‘ Aufenthalt im heutigen Rumänien dem Reiche der Fiktionen zu entreißen, fehlt gegenwärtig leider ein einziges Mosaiksteinchen, ein Indiz, ein existierendes authentisches Reisedokument, das dafür sprechen könnte, schreibt Simon Săveanu in seinem Buch „Pe urmele lui Jules Verne în România“ (Auf Jules Vernes‘ Spuren in Rumänien).

    Wer war nun Luise Müller?

    Luise Müller, ob als Bekannte, Vertraute oder gar als Geliebte von Jules Verne, hat es tatsächlich und nachweislich gegeben. Nach einem recht ereignis- und abwechslungsreichen Leben starb sie 1930 hochbetagt in Bukarest. In den Archiven der Evangelischen Kirche Hamruden ist die Eheschließung von Georg Teutsch, einem Kantor, und Elisabeth verzeichnet. Dem Ehepaar Teutsch wurde am 16. März 1845 die Tochter Luise geboren. Als Hebamme wird Katharina Polgar und als Taufpate Johann Greger genannt. Konfirmiert wurde sie am 17. April 1859 von Karl Martin Pildner, wie die Kronstädter Journalistin Camelia Onciu aufgrund eines Eintrags im Archiv der Evangelischen Kirche feststellte.


    1850 übersiedelt die Familie Teutsch nach Deutsch-Weißkirch, wo der Vater nach kurzer Zeit verstirbt. Bereits als 17-jährige arbeitete sie in einem Modehaus in Bukarest, das von Bekannten ihrer Eltern betrieben wurde. Mit 19 Jahren heiratete Luise den Schweizer Bratschi. Dieser Ehe entstammt ein gemeinsamer Sohn Ludwig, der bereits im Alter von 12 Jahren verstarb. 1873 heiratete sie in zweiter Ehe den wohlhabenden Franzosen Oscar Fabre, einen Hotelbesitzer aus Bukarest. Die Verwandtschaft von Herrn Fabre lebte in Amiens, der Stadt, in die auch Familie Verne übersiedelte. Während wiederholter Aufenthalte des Ehepaares Fabre in Amiens macht das Paar die Bekanntschaft von Jules Verne. In den 1880er Jahren verbindet eine enge Freundschaft die beiden Familien. Das Paar hält sich oft längere Zeit in Amiens auf. Diese Ehe blieb kinderlos. Auch Herr Fabre verstarb viel zu früh.


    In dritter Ehe heiratete Luise 1887 den Schweizer Gustave Müller (10. Juli 1844-15. November 1900). Er war zunächst Direktor des Hotels „Boulevard“ in Bukarest, das er dann auch erwarb. Die Freundschaft und der intensive Briefwechsel mit Jules Verne überdauerten Luises Schicksaalschläge und endeten erst mit dem Tod des Romanciers (24. März 1905).


    Alexandru Brebier, ein Enkel von Luise Müller, war bereits in jungen Jahren von der mysteriösen Aura, die seine über alle Maßen intelligente und gutaussehende Großmutter umgab, fasziniert. Er beschloss, Licht in das Leben seiner geheimnisumwitterten Großmutter und deren Nachkommen zu bringen.


    Luise schenkte vier Kindern das Leben: dem Sohn Ludwig sowie den Töchtern Eugènie (geboren 1880) und den Zwillingen Angèlle und Georgette, geboren 1884. Angèlle (1884 in Bukarest-1951 in Curtea de Argeș) heiratete den Apotheker Guillaume Berbier. Diese Ehe entstammen die beiden Kinder Alexandru und Margareta (1906-1962).


    Luises Enkel Alexandru Brebier erinnerte sich, dass eine seiner Cousinen, die Gattin des bekannten Bukarester Architekten Radu Dudescu, einige Gegenstände aus dem persönlichen Besitz von Jules Verne besaß. Diese wurden ihr von ihrer Großmutter Luise persönlich überreicht, wie die Cousine Edith bestätigte, und galten als bedeutender Beweis der intensiven Beziehungen von Jules Verne zu Luise. Es handelte sich um aus Holz geschnitzte „Mikromodelle“ von Nautilus, Duncan und Saint-Michel. An der Wand hing eine kleine Pendeluhr, ebenfalls ein Geschenk von Jules Verne an ein Familienmitglied, so die Aussage von Frau Dudescu, Luises Enkelin.


    Edith Endrejat bat ihren Vetter Alexandru Brebier erneut, nach einem Schrank, der einst in der Eingangshalle des Elternhauses in der Calea Moşilor Nr. 137 stand, zu forschen. Im unteren Fach dieses dreiteiligen Schreins bewahrte die Großmutter Liebesbriefe und Andenken aus ihrer Jugend auf. Von der Großmutter erhielt Edith einen Schlüssel zu dem besagten Fach, mit der Bedingung, dieses erst nach ihrem Tode zu öffnen. Anlässlich eines Besuches 1936 in Bukarest stellte Edith jedoch fest, dass der Schrein sich nicht mehr an seinem angestammten Platz befand, angeblich wurde er an die Schneiderin Nicolau vererbt, wobei sich seine Spur endgültig verliert. Diese Tatsache hat Edith sehr betrübt, da trotz aller Bemühungen und Nachforschungen der Schrank mit den Briefen und sämtlichen Artefakten für immer verloren scheint. Eine weitere verlorene Chance, um die vielen Fragen über das Verhältnis von Luise zu Jules Verne und Siebenbürgen zu ­beantworten.


    Durch das erneute ­Aufgreifen dieser weitestgehend belegbaren Tatsachen wird versucht, geehrte Leserin, geehrter Leser, deine geschätzte Aufmerksamkeit auf einen durch seine landschaftliche und ­kulturelle Einmaligkeit gekennzeichneten Landstrich Siebenbürgens, die Gemeinde Hamruden im Repser Ländchen, zu lenken.

    Hermann Knall


    Quelle: https://www.siebenbuerger.de/z…-mueller-jules-verne.html

  • Eine interessante These. Mann kann die Argumentation auch umkehren: Was hat Jules Verne im Jahre 1882 so getrieben? Also mit seiner Jacht war er definitiv nicht unterwegs. Denn 1882 und 83 hat er mit dem eigenen Schiff keine Reisen unternommen. Was soll das für ein franz. Schiff auf der Donau gewesen sein? Das wäre ein Ansatz.

    Auf jeden Fall eine Aussage die für mich neu ist. Vielleicht reiht sie sich aber nur in den Geschichten und Geschichtchen ein, in denen bestimmte Leute gern etwas vom Lichte eines Prominenten abhaben wollen.


    Mal sehen was es vertiefend dazu gibt. Ein Fund, der wieder die Fantasie anstachelt. Danke!

  • Was man mit Sicherheit sagen kann, ist zweierlei:

    1. Eine Reise von Jules Verne nach Rumänien kann man ausschließen, sowohl auf der Saint-Michel, als auch 1882-83 (in diesen Jahren war er viel zu sehr mit dem Theater beschäftigt, da war keine Zeit für Ausflüge) oder sonst in seinem Leben. Pedantisch wie der Herr nun mal war, hat er in seinen noch unveröffentlichten Notizen alle Reisen zwischen 1859 und 1900 notiert; Rumänien wird nirgends erwähnt. Natürlich kann man behaupten, dass er den Aufenthalt aus durchsichtigen Gründen vertuschen wollte. Nur: diese Notizen waren niemals für die Öffentlichkeit geplant.

    2. Luise Teutsch taucht in der rumänischen Verne-Literatur seit den 1970er Jahren (soweit ich mich recht entsinne, vielleicht auch schon früher) auf und wurde als Thema immer wieder insbesondere von Ion Hobana behandelt, der alle möglichen Fakten zusammengetragen hat. Dass Verne sie in Amiens kennengelernt hat, ist möglich und auch wahrscheinlich, und zwar über eine gemeinsame Bekannte, Mme Berton, die Leiterin des Mädchengymnasiums. Dass zwischen den beiden etwas "gelaufen" ist, kann man mangels Belegen, Indizien oder gar Beweisen nicht behaupten, das ist reine Spekulation, die nur auf die Behauptungen von Luises Nachfahren zurückgeht, die das vielleicht gerne so gehabt hätten.

    Auch der Artikel scheint mir ein wenig auf Werbung für die zweifellos besuchenswerte Region ausgerichtet zu sein.

  • Von der Großmutter erhielt Edith einen Schlüssel zu dem besagten Fach, mit der Bedingung, dieses erst nach ihrem Tode zu öffnen. Anlässlich eines Besuches 1936 in Bukarest stellte Edith jedoch fest, dass der Schrein sich nicht mehr an seinem angestammten Platz befand, angeblich wurde er an die Schneiderin Nicolau vererbt, wobei sich seine Spur endgültig verliert. Diese Tatsache hat Edith sehr betrübt, da trotz aller Bemühungen und Nachforschungen der Schrank mit den Briefen und sämtlichen Artefakten für immer verloren scheint. Eine weitere verlorene Chance, um die vielen Fragen über das Verhältnis von Luise zu Jules Verne und Siebenbürgen zu ­beantworten.

    Ja, nichts Genaues weiß man nicht. Steht ja auch im Artikel. Die Chance, die Fragen zu beantworten, ist verloren, denn die Spur des Schranks hat sich „endültig verloren“. Im nächsten Satz heißt es aber dann gleich, dass der Schrank „für immer verloren *scheint*“. Vielleicht ist er also nur *scheinbar* verloren? Nichts Genaues weiß man nicht über diesen Schrank. Aber wir können uns ganz sicher sein: Wenn wir den Schrank noch hätten, dann wäre alles klar, oder? 8)