Edgar Allan Poe: „Arthur Gordon Pyms Abenteuer“

  • Von Maximilian Mengeringhaus · 23.12.2022


    Edgar Allan Poe: „Arthur Gordon Pyms Abenteuer“

    Grausames Seefahrerleben


    Coverbild von Roman "Arthur Gordon Pyms Abenteuer" von Edgar Allan Poe

    © dtv-Verlag


    Edgar Allan Poe

    Arthur Gordon Pyms Abenteuer

    dtv, München 2022

    256 Seiten

    32,00 Euro

    übersetzt von Andreas Nohl


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    Edgar Allan Poes einziger Roman ist düster: Seefahrer Arthur Gordon Pym wird erwachsen zwischen Meutereien und Schiffbrüchen. Das Buch hat viele andere bedeutende Autoren inspiriert. Eine aktuelle Neuübersetzung wird Poes Modernität gerecht.


    Arthur Gordon Pyms Seefahrerkarriere steht von Anfang an unter keinem guten Stern. Gerade erst hat der junge Mann aus Nantucket mit größter Müh und Not einen sorglos-angesoffenen Segeltörn in sturmumbrauster Nacht überlebt, da schmuggelt er sich als blinder Passagier auf einen Walfänger.

    Dabei scheint Pym eine Vorahnung zu haben, was ihm bevorsteht: „Meine Zukunftsvisionen handelten von Schiffbruch und Hunger, von Tod oder Gefangenschaft bei barbarischen Horden, von einem Leben, das voll Kummer und Tränen auf einer grauen öden Felseninsel dahinsiechte, unerreichbar in einem unbekannten Ozean.“


    Expedition in die Antarktis

    Die Abenteuerlust und sein melancholisches Temperament treiben den Jüngling, der allzu gerne aus seinen respektablen Verhältnissen ausbrechen will, in die selbsterfüllende Prophezeiung: Nach nur wenigen Tagen auf See bricht an Bord eine blutige Meuterei aus. Kaum ist die gewalttätig niedergeschlagen, kentert der Walfänger in einem Unwetter.


    Wochenlang harrt Pym auf den hölzernen Überresten aus, wird zum Kannibalen und schließlich von einem vorbeikreuzenden Segler mehr tot als lebendig aufgelesen. In Windeseile kommt er wieder auf die Beine und schließt sich der Expedition Richtung Antarktis an, wo qualvolle Entbehrung und übernatürliches Grauen in der südpolaren Einöde lauern.


    Inspiration für Melville bis Bolaño

    Der Rest ist Weltliteratur. Das zeigt die Rezeptionsgeschichte von „Arthur Gordon Pyms Abenteuer“. Der Roman wirkte auf den Zeitgenossen Herman Melville ebenso wie auf Jules Verne, der sogar eine Fortsetzung verfasste.

    Ernest Hemingway studierte an Pym die Desillusionierung eines Heranwachsenden. Paul Auster und Roberto Bolaño lernten, dass große Bücher die Geheimnisse, um welche sie kreisen, niemals preisgeben.


    Edgar Allan Poe in Geldnot

    Edgar Allan Poe selbst hatte wohl nicht damit gerechnet, dass sein einziger Roman derart Schule machen würde. Er schrieb ihn in erster Linie aus Geldnot und tat das Werk später als Belanglosigkeit ab. Dabei zeigt es ihn auf der Höhe seines Könnens, sowohl stilistisch wie auch kompositorisch.

    Poe verknüpft Komponenten von Abenteuergeschichte und Antibildungsroman. Er lässt einen unzuverlässigen Erzähler einen Reisebericht vorlegen, der zugleich als Studie über die chaostreibende Kraft des Alkohols gelesen werden kann. Und das alles im kunstvollen Gewand eines Fragments.


    Grausam und verstörend

    Aber nicht nur die Form präsentiert sich hemmungslos modern. Auch das Wesen der Verzweiflung und des Horrors schildert der Autor so, dass sich die Grausamkeiten auf jeder neuen Seite überbieten. Die „Conditio humana“ (Natur des Menschen) wird von Poe nicht mehr hinterfragt.

    Ohne Trost spenden zu wollen, beschreibt er die Verlorenheit des Menschen, der ratlos vor dem großen Nichts steht. Wer bei Franz Kafka noch lachen kann, der wird sich bei dieser Lektüre wundern, wie hoffnungslos und beinahe physisch schmerzhaft Literatur im Zeitalter maßloser visueller Gewaltdarstellungen wirken kann.

    Vielleicht wirkt dieses große Werk, das immerhin bald 200 Jahre auf dem Buckel hat, gerade deswegen weiter, weil es andauernd verstört. Eine Qualität, die freilich nur Klassikern beizumessen ist, von denen es bekanntlich nie genügend Neuübersetzungen geben kann. Die Übersetzung von Andreas Nohl wird Poes Modernität in jedem Fall gerecht.


    Quelle: https://www.deutschlandfunkkul…kritik-rezension-100.html