Zahlen, bitte! Dampfgigant mit 18915 Bruttoregistertonnen – die Great Eastern

  • Die Great Eastern gilt als Ikone der Industrialisierung: Das einst weltgrößte und schnellste Schiff inspirierte auch Jules Verne, war aber vom Unglück verfolgt.

    31.01.2023 13:37 Uhr

    Von Detlef Borchers


    Mit der britischen "Great Eastern" des Eisenkonstrukteurs Isambard Kingdom Brunel begann im Jahre 1858 das Goldene Zeitalter der Dampfschifffahrt. Das schnellste Schiff seiner Zeit überquerte den Atlantik in der Rekordzeit von 11 Tagen und war 30 Jahre lang das größte Schiff der Welt. Seine aus dem Brückenbau abgeleitete Konstruktion mit Doppelrumpf und dicht schließenden Schotten machte es unsinkbar.


    Es veränderte die Kommunikation in der Welt, denn dank seiner enormen Ladekapazität konnte das erste 5500 Kilometer lange Transatlantikkabel verlegt werden. Dennoch ging der Urahn aller Ozeanriesen als Unglücksschiff in die Geschichte der Seefahrt ein.


    Bereits der Start verlief nicht sonderlich glücklich. Heute vor 165 Jahren war der Stapellauf des Riesenschiffes "Great Eastern" erst im dritten Versuch erfolgreich. Tags zuvor konnte der Koloss mit Winden und Ketten in zweieinhalbmonatiger Schufterei zwar zum Fluss gezerrt werden, verpasste dabei aber knapp das für die Wasserung nötige Hochwasser.


    Zum Glück fehlgeschlagener Stapellauf

    Noch spektakulärer scheiterte der Stapellauf zuvor am 3. November 1857, als die Pflöcke entfernt wurden: Das Schiff bewegte sich nur um 120 Zentimeter, dann zerrissen die Eisenketten und töteten zwei Arbeiter. Mehrere Tausend Menschen, die am anderen Ufer der Themse auf eigens errichteten Tribünen das Geschehen verfolgen wollten und dafür Eintritt bezahlt hatten, blieben so am Leben. Nach heutigen Berechnungen hätte der Querstapellauf des 18.915 Bruttoregistertonnen großen Schiffes drei Flutwellen von 10 Metern Höhe erzeugt und die Tribünen in Kleinholz zerlegt. Der Sage nach war zuvor schon die Schiffstaufe leicht missglückt. Statt einer Champagnerflasche kam eine Wasserflasche zum Einsatz.


    Great Eastern Stapellauf im Jahr 1858. Ein Zu-Wasser-lassen mit Tücken.


    Nach der "Great Western" und "Great Britain" war die "Great Eastern" das dritte Schiffsprojekt von Isambard Kingdom Brunel, des führenden Eisenkonstrukteurs seiner Zeit. Er hatte die Hungerford-Kettenbrücke konstruiert und die Brücken und Tunnel der Great Western Railroad von Bristol nach London. War die "Great Western" für den Pendelverkehr nach Amerika noch ein Raddampfer mit einem Holzrumpf, so wurde der Rumpf der "Great Britain" aus Eisenplatten gefertigt. Das Schiff war der erste Ozeandampfer, der von einer Schiffsschraube angetrieben wurde. Es ist heute noch als Museumsschiff zu besichtigen.


    Die "Great Eastern" sollte all das übertreffen. Sie wurde konzipiert, um auf einer Fahrt 4000 Passagiere bis nach Ceylon (35.000 Kilometer, 19.000 Seemeilen) hin und zurück transportieren zu können, ohne unterwegs Kohle aufnehmen zu müssen. Das von überaus preiswerter walisischer Kohle vorangetriebene Schiff sollte den gesamten Handel mit Indien und Australien an sich reißen, notierte Brunel in seinem Ideen-Notizbuch.


    Dampf-Gigant zusammengehalten von 3 Millionen Nieten

    Von dieser Bedingung ausgehend entwarf er 1851 ein Schiff, das 12.000 Tonnen Kohle bunkern konnte. Zusammen mit dem Schiffbauer John Scott Russell wurde der Doppelrumpf aus 30.000 hydraulisch vorgeformten und nummerierten Eisenplatten mit 3 Millionen Nieten zusammengesetzt. 2000 Arbeiter waren dafür nötig. Die Maschinenanlage der beiden Schaufelräder (Durchmesser 18 Meter) lieferte 3411 PS, die der Heckschraube 4886 PS. Mit sechs nach den Wochentagen benannten Masten sollte das Schiff mit 5900 qm Segelfläche sogar gesegelt werden können, wenn die Reinigung der Dampfkessel anstand.


    Am Ende war der Koloss 211 Meter lang und 25 Meter breit. Er hatte eine Freibordhöhe von 10 Metern und einen Tiefgang von 8 Metern -- und passte damit in keinen asiatischen Hafen. Der Bau der "Great Eastern" kostete 750.000 Pfund, umgerechnet wären das heute rund 100 Millionen Euro. Das monatelange Schleppen von der Querhelling ins Wasser kostete übrigens noch einmal 100.000 Pfund.


    Great Eastern in einer zeitgenössischen Malerei.

  • Beim anschließenden Innenausbau des Schiffes scheuten die Macher keine Kosten. Die "Great Western" sollte betuchte Leute in der ersten Klasse (300 Personen) und der zweiten Klasse (je nach Konfiguration 2000 bis 3500 Personen) transportieren, es gab keine Decks dritter Klasse für Auswanderer wie auf anderen Schiffen. Teakholz, Seide, Samt und Marmor wurden verbaut, die Kabinen hatten eine Gasbeleuchtung, fließend warmes und kaltes Wasser sowie eine Badewanne.


    Schlaganfall bei der Probefahrt

    Als das Schiff am 6. September 1858 zur ersten Probefahrt auslaufen sollte, kam ein gebrochener Mann an Bord, Isambard Kingdom Brunel. Er erlitt einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte, als er sich für eine Fotografie vor den Großmast stellen sollte. Brunel starb mit nur 53 Jahren.


    Die Probefahrten zeigten, dass die "Great Eastern" eine Geschwindigkeit von 14,5 Seemeilen pro Stunde erreichen konnte und damit sehr schnell war. Auf der Probefahrt ereignete sich jedoch das nächste Unglück mit 6 Toten und 15 schwer verletzten Heizern, als der vorderste der fünf Schornsteine und der Kessel explodierten.


    Über das Jahr 1859 wurde das Schiff auf Reede vor Holyhead liegend repariert, als ein schwerer Sturm die Ankerketten zerriss. Kapitän und Mannschaft kämpften gegen das Unwetter (und bewiesen die Seetüchtigkeit der "Great Eastern"), doch die großen Salons und viele Luxus-Kabinen wurden zerstört. Erneut ging es ans Reparieren. Zur Jungfernfahrt nach Nordamerika kamen 300 Fahrgäste der ersten Klasse an Bord, aber viele von ihnen verließen das Schiff noch vor der Abfahrt, weil es zahlreiche Probleme gab.


    Jules Verne war vom Schiff begeistert

    Mit 35 Passagieren und 418 Mann Besatzung stach das Schiff schließlich am 17. Juni 1860 in See. Bedeutendster Passagier war Jules Verne, der von der "schwimmenden Stadt" begeistert war. "Man kann diesen Dampfer kaum noch ein Schiff nennen; es ist wohl mehr eine schwimmende Stadt, ein Stück Grafschaft, das sich von englischem Grund und Boden loslöst, um nach einer Fahrt über das Meer mit dem amerikanischen Festlande zusammenzuwachsen." In New York wurde das Schiff nach 11 Tagen (Rekord) mit großem Jubel empfangen, doch bald gab es Empörung, als für die Besichtigung ein Dollar Eintritt verlangt wurde. Eine anschließende zweitägige Kreuzfahrt misslang komplett, ehe die Heimfahrt mit 100 Passagieren und neuem Rekord (9 Tage und vier Stunden) angetreten wurde.


    Die Great Eastern wartet am Strand aufs Abwracken. Für diesen Zweck wurde sie dort hin bugsiert.


    Die zweite Reise in die USA stand 1861 an und verlief ohne Zwischenfälle, war aber ebenfalls ein finanzielles Fiasko, weil fast niemand in den ausgebrochenen Bürgerkrieg zwischen den Nord- und Südstaaten reisen wollte.


    Auf der dritten Reise, die am 10. September 1861 begann, zerschlug ein Orkan die Salons und die Schaufelräder des Schiffes, auch das Ruder wurde schwer beschädigt. So konnte die "Great Eastern" nicht mehr gesteuert werden, was die Ladung ins Rutschen brachte. Große Fässer mit Fischöl und Worcestersauce zerbarsten. Im widerlichen Gestank meuterten die Heizer und plünderten die Alkoholvorräte.


    Ruder durch findigen Ingenieur repariert

    Die wenigen mitreisenden Passagiere mussten eine bewaffnete Bordpolizei bilden und sich verschanzen. Das Ganze endete nicht im Fiasko, weil ein mitreisender Ingenieur einen Weg fand, mithilfe von Ankerketten das Ruder nach 72 Stunden zu bändigen. Von der Aktiengesellschaft, der mittlerweile die Great Eastern gehörte, forderte er eine Belohnung von umgerechnet einer Million Euro, bekam nach einem Prozess nur ein Drittel zugesprochen.


    Nach einer Reparatur für umgerechnet 5 Millionen Euro konnte das Schiff nach Europa zurückkehren. Auf der nächsten Reise, auf der das Schiff fast nur noch als Frachtschiff genutzt wurde, wurde der tief liegende Rumpf während der Einfahrt nach New York an zwei Stellen von einem Felsen aufgeschlitzt, der sieben Meter unter Wasser lag und heute als "Great Eastern Rock" bekannt ist. Dank der von Brunel konstruierten doppelten Bootswand konnte das Schiff weiterfahren – anders als die Titanic.


    Allerdings gab es in den USA weit und breit kein Trockendock für die notwendige Reparatur des Kolosses. Die US-amerikanischen Ingenieure Edward und Henry Renwick konstruierten eine Art Taucherglocke, mit der erstmals Reparaturen unter Wasser durchgeführt werden konnten. 16 Wochen dauerte die Reparatur und brachte die Aktiengesellschaft an den Rand des Ruins. Die "Great Eastern" wurde versteigert.


    Jules Verne, der größte Fan der "Great Eastern", schrieb: "Das kolossale Transportschiff war somit außer Curs gesetzt und fand sich von den Seereisenden verschmäht und zur Ruhe verdammt. Als dann die Versuche, das transatlantische Kabel zu legen, gescheitert waren, ein Mißerfolg, der großentheils an der Unzulänglichkeit der dazu benutzten Schiffe lag, dachten die Ingenieure zuerst wieder an den Great-Eastern. Er allein hatte die erforderlichen Dimensionen, um die 3400 Kilometer Metalldraht im Gewicht von 4500 Tonnen zu lagern, und nur er konnte, dank seiner Indifferenz gegen die Gefahren des Meeres, diesen enormen Greling abrollen und versenken. Um das Kabel im Schiffsraume zu stauen, bedurfte man jedoch besonderer Vorrichtungen, und so ließ man zwei der vorhandenen sechs Dampfkessel und einen der drei Schornsteine springen."


    Telegraphiekabel der Superlative verlegt

    Das Kabel wog 5000 Tonnen und hatte nur in einem Schiff von der Größe der "Great Eastern" Platz. Am 13. Juli 1866 lief das Schiff mit dem Kabel aus, am 27. Juli wurde die Relaisstation Neufundland erreicht und am 28. telegraphierten Queen Victoria und US-Präsident James Buchanan über diese Leitung miteinander. "Two weeks to two minutes" titelten die Zeitungen.


    Nach diesem späten Höhepunkt ihrer Karriere verlief das Leben der "Great Eastern" bescheiden. Ein erneuter Umbau zum Luxusliner -- das Schiff sollte vermögende Amerikaner hin und zurück zur Weltausstellung in Paris transportieren -- geriet zum Fiasko, weil nur 191 Passagiere an Stelle der erwarteten 1000 die Reise buchten. Danach verlegte sie wieder Kabel für das Imperium des Nachrichtendienstes von James Reuter, wurde als Kohlenbunker genutzt und schließlich zu Reklamezwecken ausgeliehen.


    1888 wurde sie zum letzten Mal verkauft und dann verschrottet. Dafür musste wiederum eine spezielle Abwrackkugel entwickelt werden, die die Nieten sprengen konnten. Erst am 30. September 1891 waren die Arbeiten nach zweieinhalb Jahren beendet. Die "Great Eastern" kam 50 Jahre zu früh.

    (mawi)


    Quelle: https://www.heise.de/hintergru…reat-Eastern-7475435.html