Leonie Benesch: „Ich glaube an die Macht des Geschichtenerzählers!“
Erstellt: 04.05.2023, 12:27 Uhr
Von: Marc Hairapetian
Leonie Benesch bei der Premiere des Kinofilms „Das Lehrerzimmer“ in den City Kinos in München. © IMAGO/Ronny Heine
Interview mit Schauspielerin Leonie Benesch zu „Das Lehrerzimmer“, „In 80 Tagen um die Welt“ „Persischstunden“ und die heutige Debattenkultur.
Berlin – 2023 könnte das Filmjahr, der Leonie Benesch werden: Die am 22. April 1991 in Hamburg geborene Schauspielerin wurde im Rahmen der diesjährigen Berlinale als Deutschlands „European Shooting Star“ ausgezeichnet und hatte gleich zwei Produktionen im Gepäck: die ZDF-Thriller-Serie „Der Schwarm“ nach Frank Schätzings Bestselller und den Kinofilm „Das Lehrerzimmer“, der am Donnerstag, dem 4. Mai, bundesweit in den Kinos startet.
Bereits mit 18 wurde sie in Michael Hanekes mit der „Goldenen Palme“ der Internationalen Filmfestspiele von Cannes ausgezeichneten Meisterwerk „Das weiße Band – Eine deutsche Kindergeschichte“ (2009) als „Entdeckung“ gefeiert. Ab 2017 war Leonie Benesch in den ersten drei Staffeln der ARD-Degeto-Sky-Co-Produktion „Babylon Berlin“ als Greta Overbeck zu sehen, wofür sie den „Deutschen Schauspielpreis“ erhielt. Im selben Jahr spielte die herbe Schönheit in zwei Folgen der britischen Netflix-Serie „The Crown“ die Schwester Prinz Philips, die Prinzessin Cecilia von Griechenland. Im folgenden Interview spricht Leonie Benesch über „Das Lehrerzimmer“, die heutige Debattenkultur, den NS-Drama „Persischstunden“ (2020), ihren Kollegen David Tennant und eine mögliche Fortsetzung der ZDF-Erfolgsserie „In 80 Tagen um die Welt“ (2021).
Leonie, was hat es dir bedeutet, im Rahmen der Berlinale, als Deutschlands European Shopping Star ausgezeichnet zu werden?
Das ist eine wahnsinnig schöne Auszeichnung und vor allem ist’s ja nicht nur in Anführungszeichen gesetzt der „Preis“, den man bekommt, sondern es ist auch das damit verbundene Programm reizvoll, dass innerhalb der ersten vier Berlinale-Tage stattfand. Es gab sowohl eine Vorstellung vor der Presse mit Konferenz, als auch einen Tag mit Industry Meetings von 40 Caster:innen, die wir in einer Art und außerdem noch Speed-Dating-Situationen kennengelernt haben. Das war ganz toll! Ich wünschte, ich hätte ein bißchen mehr Zeit da gehabt, aber ich hatte Samstagabend mit „Das Lehrerzimmer“ Premiere und Sonntagabend mit „Der Schwarm“. Weil parallel noch Presse zu beiden war, konnte ich nicht so viel Zeit mit den anderen European Shooting-Stars verbringen, wie ich gerne wollte.
Kommen wir auf „Das Lehrerzimmer“ zu sprechen. Ich fand den Film sehr intensiv, vor allem, was die Themen „Verdächtigung und Mobbing“ bei Siebtklässlern darin betrifft. Wie hast du dich in die Rolle als Lehrerin eingefühlt? Hast du mit echten Schülern und Lehrern vorher Kontakt aufgenommen?
(Schüttelt den Kopf.) Die Recherche haben Regisseur İlker Çatak und sein Co-Drehbuchautor Johannes Duncker gemacht. Ich hatte gar keineZeit, weil ich im Sommer 2021 „Der Schwarm“ drehte. Und dann hatte ich nur zwei Wochen bevor es mit „Das Lehrerzimmer“ losging, d. h. ich musste – und habe mich gern – auf die Recherche der beiden verlassen. Diese rhythmischen Klatschrituale Sachen, mit denen die Klasse unter Kontrolle gehalten wird und die anderen modernere Methoden, die Carla Nowak ausübt, sind alles Dinge die sich İlker beim Hospitieren an Schulen in Hamburg hat zeigen lassen bzw. in seiner Recherche entdeckt und mir und den Kindern dann beigebracht hat.
Du bist selbst Hamburgerin.
Ja, ich bin da geboren, habe dort aber nur meine ersten vier Lebensjahre verbracht. Und zum „Reinfühlen“: Ich finde, wenn der Text gut geschrieben ist, dann ist der Grossteil der Arbeit für mich bereits erledigt. Dann reicht es, wenn man den Text auswendig lernt und spielerisch damit umgehen kann - mit Tempo und Akzente setzen. Man sollte einfach nur die Wahrhaftigkeit der jeweiligen Situation spielen. Und darauf habe ich mich sehr verlassen.
In heutiger Zeit entstehen sehr schnell – vor allem durch Social Media – Mobbing und damit verbundener Shitstorm. Für Kinder und Jugendliche, wie im Film gezeigt wird, ist das noch eine schlimmere Sache. Ist der Film auch eine Botschaft, dass man sich damit auseinandersetzen soll und wie hältst du es selbst mit sozialen Netzwerken? Benutzt du die oder nicht?
Also um den letzten Teil, zuerst zu beantworten: Ich benutze keine Social Media. Zum mittleren Teil: Ilker hatte nicht vor, einen Film mit einer Message zu machen. Ilker stellt eine Frage in den Raum. Ich finde auch Filme, die eine Message vor sich hertragen, oft ein bisschen anmassend. Ich glaube nicht, dass der Film eine Message hat. Ich finde, unser Film ist ein kluger Kommentar zu unserer momentanen Debattenkultur, wo wir viel mit Headlines um uns werfen, argumentieren kann man das ja nicht nennen, und Leute schnell auf ein Statement festgenagelt werden, was sie irgendwann mal geäußert haben. Es ist leider gerade nicht so normal, sich im Graubereich aufzuhalten und zwei Wahrheiten Wahrheiten sein zu lassen. Also ich finde, es gibt zurzeit nicht so viel Raum für echten Dialog.
Nach welchen Kriterien gehst du bei der Auswahl von Rollen vor? Hast du auch schon welche abgelehnt?
Also ich sage viel und gern „nein“. Ich bin fleißige Nutzerin meines IMDb-Pro-Accounts. Sobald ein Projekt bei mir auf den Tisch landet, schaue ich, wer produziert das, wer führt Regie, wer hat das geschrieben und gibt es schon andere Leute in den im Heads of Department. Am wichtigsten sind für mich die Thematik, das Buch und die Menschen, die es machen. Die Frage der Figur ist natürlich auch sehr wichtig, steht aber für mich nicht an allererster Stelle. Für mich ist immer die allerwichtigste Frage, welche Geschichte soll erzählt werden und was sind das für Leute, die sie umsetzen.
Gibt es Grenzen, also etwas was du nicht spielen würdest?
Ich würde grundsätzlich nichts ausschließen, weil ich davon ausgehe, dass eine Geschichte, die mich eigentlich auf den ersten Blick überhaupt nicht interessiert, aus einer anderen Perspektive auf einmal wahnsinnig spannend sein kann.