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Die Zeitmaschine & Die Reise mit der Zeitmaschine
von Thomas Harbach
H.G. Wells und Egon Friedell
Verleger Dieter von Reeken kombiniert H.G. Wells Klassiker „Die Zeitmaschine“ mit der ersten „offiziellen“ Fortsetzung „Die Reise mit der Zeitmaschine“ aus der Feder Egon Friedells und 1946 das erste Mal veröffentlicht.
Thomas Thiemeyer hat sich mit seinem eindrucksvollen Titelbild am Bildnis der Sphinx orientiert, welche schon die Erstveröffentlichung in Großbritannien auf den ausdrücklichen Wunsch H.G. Wells zierte.
H.G. Wells spielte zum ersten Mal mit dem Thema der Zeitreise in der Kurzgeschichte „The Chronic Argonauts“, die 1888 in einer Collegezeitschrift erschienen ist. Wenige Jahre später wollte der Brite aus der Prämisse eine Reihe von Artikeln machen, die in der Pall Mall Gazette veröffentlicht werden sollten. Der Herausgeber überredete H.G. Wells dazu, einen Fortsetzungsroman zu schreiben. Die in der Zeitung veröffentlichte Fortsetzungsgeschichte differiert ein wenig von der späteren Romaneveröffentlichung.
Als Grundlage für seine Neuauflage hat Dieter von Reeken absichtlich die Übersetzung von 1904 aus der Feder Felix Paul Greves genommen, weil Egon Friedell seine Fortsetzung auf dieser nicht selten kritisierten Arbeit aufbaute. In einer Fußnote weist Friedell auf die aus seiner Sicht Schwächen der Übersetzung hin. Wer sich nur mit H.G. Wells „Zeitmaschine“ auseinandersetzen möchte, sei auf die zahllosen Originalveröffentlichungen, aber auch die verschiedenen neu übersetzten deutschen Ausgaben verwiesen. Dieter von Reeken geht es darum, ein in sich geschlossenes Bild der Vorlage und der Fortführung im Rahmen ihrer Entstehung zu präsentieren. Dafür nimmt der Herausgeber die Fehler oder zumindest den nicht guten Ruf der ersten Übertragung ins Deutsche billigend in Kauf.
Für die Neuauflage hat H.G. Wells „Die Zeitmaschine“ eher als die Arbeit eines enthusiastischen jugendlichen Schriftstellers abgetan, auch wenn er zwischen den Zeilen seines entsprechenden Vorworts auch stolz auf den Roman ist.
In den mehr als einhundertfünfzwanzig Jahren seit der Erstveröffentlichung gibt es vor allem in der Beziehung zwischen den Morlock und den Eloy sehr viele Interpretationsmöglichkeiten. Als Jugendlicher muss sich Wells wie ein Eloy gefühlt haben. Seine Familie verbrachte die Zeit neben der Arbeit in einer dunklen, im Keller gelegenen Küche. Seine Mutter arbeitete später als Putzfrau in einem herrschaftlichen Haus mit zahlreichen Tunneln. Die Angestellten lebten in den unteren Etagen, nicht selten unter die Erde gebaut und ohne Sonnenlicht. Der Jugendliche Wells musste ebenfalls als Lehrling eines Tuchmachers in eben diesen Kellern hausen und arbeiten. Im Grunde müsste sich Wells eher den Eloy zugeneigt fühlen, die aber in dem Roman wie auch den Verfilmungen auch als Vegetarier in einer paradiesischen Landschaft mit allerdings zerfallenden Gebäuden ohne Pflichten vor sich hin leben und nur Angst vor der Dunkelheit haben.
Das erklärt allerdings nicht die Morlocks. Als dominierende zukünftige Rasse leben sie eben auch unter der Erde, wo sie ihre gigantischen Maschinen. Auf H.G. Wells Lebensumstände bezogen sind die Eloy in ihren kurzen Leben deutlich besser dran als die mutierten Morlocks. Das lässt sich von der „Das Haus am Eaton Place“ Gesellschaft aus H.G. Wells Jugend ja nicht sagen.
Auch die Idee zweier sozialer Schichten, die nur auf den zweiten Blick erkennbar untrennbar miteinander verbunden sind, lässt sich aus der Gegenwart des in die Zukunft reisenden namenlosen Abenteurer nicht unbedingt sagen. Die Eloy könnten tatsächlich in ihrem Paradies naiv und kindlich weiterleben. Es sind die auf den ersten Blick dominanten Morlocks, die auch durch ihre Abhängigkeit vom Frischfleisch im Grunde die „schwächere“ Rasse sind. Während die Morlocks noch über eine begrenzte Intelligenz verfügen, die es ihnen ermöglicht, die Maschinen zu bedienen, das Tor der Sphinx zu öffnen und schließlich auch den Zeitreisenden in eine aus ihrer Sicht perfekte Falle zu locken, reicht das alles nicht, um ohne die Eloy zu überleben. Sowohl das Sonnenlicht als auch ihre Nahrungsgrundlage stellen Hindernisse für sie dar. Auf der anderen Seite erhalten die unter der Erde lebenden Morlocks das Paradies der Eloy und sichern ihren Lebensstandard. Man kann sich aber kaum vorstellen, das ein klassischer Butler seine Herrschaften nicht nur umsorgt, sondern auch noch direkt für ihren Lebensstil sorgt.
Ein Kapital ist in allen Buchveröffentlichungen gegenüber der Fortsetzungsgeschichte in der Zeitung nicht mehr vorhanden. Auf seiner Flucht/ Reise in die ferne Zukunft begegnet der Reisende auf einer inzwischen erkalteten Erde eine ihm fremde Rasse von aus seiner Sicht Tieren. Er tötet eines der Tiere und stellt allerdings von H.G. Wells ein wenig oberflächlich dargestellt fest, das diese an Kängurus erinnernden Kreaturen sowohl Erbanteile der Eloy wie der Morlocks enthalten. Kritisch gesprochen hat sich zu diesem Zeitpunkt jede Spur der Menschen verloren.
“Die Zeitmaschine” ist unabhängig von den dunklen Zukünften inklusiv der Vorhersage mindestens eines verheerenden Krieges aber auch von den markanten frühen Arbeiten H.G. Wells die vielleicht am meisten Optimistisch. Eingepackt in eine im viktorianischen England spielende Rahmenhandlung wird der anfänglich sehr auf seine Erfindung fixierte namenlose Protagonist schließlich nicht unbedingt zum Retter aller Eloy, aber er kann sein Glück buchstäblich aus einem kleinen See ziehen. Sonst wäre die schöne Frau ertrunken. Auch wenn es H.G. Wells durch die Berichtsform nicht ausspricht, ist der Leser zuversichtlich, dass er in der fernen Zukunft mit seiner Weena nach einem schweren Rückschlag glücklich werden könnte. Weena ist fast ein Novum in dieser Geschichte. Zusammen mit den Beginn eingeladenen Gast Filby trägt sie einen Namen. Die anderen Dinnergäste sind entweder nach ihrem Beruf oder ihrer Statur anonym beschrieben. Auch der Erfinder/ Erzähler bleibt unabhängig von seinem anscheinend begüterten Stand namenlos.
Der Zeitreisende nimmt am Ende des Buches entschlossen Weenas und sein Schicksal in die eigenen Händen. Damit hat er es besser als die Menschheit im “Kampf der Welten”, die ja nur durch einen biologischen Zufall gerettet wird. Oder “Der Unsichtbare” auf dem Weg in den Wahnsinn. Auch der exzentrische Dr. Moreau wird schließlich von den eigenen Kreaturen zerrissen. Alles keine optimistischen Enden.