1904: Karl May in Bad Nauheim

  • 1904: Karl May in Bad Nauheim

    Von: Hanna von Prosch

    Stadtarchivar Alexander Jung hat die Spuren der Reise von Karl May im Jahr 1904 akribisch rekonstruiert. © Hanna von Prosch

    Im Jahr 1904 hielt sich Karl May in Bad Nauheim und Friedberg auf - nicht zur Kur, sondern für einen Gerichtsprozess und ein Freundschaftstreffen. Zwischen literarischen Enthüllungen, persönlichen Begegnungen und juristischen Auseinandersetzungen lässt sich eine faszinierende Geschichte rekonstruieren. Stadtarchivar Alexander Jung hat die Hintergründe dieses Aufenthalts beleuchtet.

    Unbeschreiblich liebe Menschen«, notiert Klara May über ihren Aufenthalt in Bad Nauheim. Es ist der 26. Oktober 1904, als sie gemeinsam mit ihrem Mann Karl May die Kurstadt besucht. Der Schriftsteller, berühmt für seine Abenteuerromane, sucht hier nicht nur Erholung, sondern trifft Weggefährten wie den Mainzer Bürgermeister Dr. Emil Göttelmann. Außerdem beschäftigt ihn ein juristischer Konflikt. Stadtarchivar Alexander Jung hat die Spuren dieser Reise akribisch rekonstruiert.

    Über 90 Karl-May-Bände stehen bei Alexander Jung im Bücherregal - das gesammelte Werk und Briefe. Sie sind stets für ihn präsent von den Anfängen über die Jugenderzählungen wie »Unter Geiern« bis zur berühmten Reiseliteratur, die im Spätwerk mit der Autobiografie »Mein Leben und Streben« endet. In Briefen und einer Karl-May-Chronik von Dieter Sudhoff und Hans-Dieter Steinmetz (2005) stieß er auf den Besuch in Bad Nauheim und die denkwürdige Vorgeschichte.

    »In Wirklichkeit ist sein Werk mehr als Indianergeschichten«, sagt Jung. »Es geht um Pazifismus, Toleranz und Völkerverständigung. Er hat akribisch recherchiert. Als er bei seinen späteren Reisen mit der Wirklichkeit konfrontiert wurde, die so ganz anders war als in seiner Vorstellung, machte ihm das gesundheitlich zu schaffen. In dem Prozess in Friedberg greift alles ineinander.

    Haft wegen Betrug und Diebstahl

    Karl May übt zuerst den Lehrerberuf aus, muss aber in jungen Jahren so manche Haftstrafe verbüßen wegen Betrugs und Diebstahls, was ihn für dieses Amt untragbar macht. So nutzt er seine blühende Phantasie und wird Schriftsteller. Längst etabliert, versteigt er sich in die »Old-Shatterhand-Legende«: Er stellt seine Erzählungen so dar, als habe er sie selbst erlebt. Das alles macht ihn immer wieder angreifbar.

    Die Verunglimpfungen führen, verursacht durch einen Artikel im »Stern der Jugend«, zu einer Anklage Mays wegen Beleidigung gegen den Verleger Auer aus Donauwörth und den Herausgeber Dr. Johannes Nepomuk Praxmarer, Pfarrer in Friedberg. Am 20. Oktober 1904 findet der Gerichtstermin statt, zu dem May erscheint, an dem aber nichts entschieden wird. Es kommt an den folgenden Prozesstagen in der Steiermark und Donauwörth zu Vergleichen. Am 26. Oktober reist May mit seiner Frau Klara nach Bad Nauheim, wo er im Hotel Reichshof in der damaligen Moltkestraße Quartier nimmt.

    Die Freunde, die er hier trifft, sind Baurat Dr. Carl Eser, der mit Wilhelm Jost beim Bau des Sprudelhofs zusammenarbeitet, und Dr. Emil Göttelmann, zu dieser Zeit Bürgermeister in Mainz. Die Wege der beiden kreuzen sich mehrfach, so dass sie ihre tiefe Bewunderung für Karl May austauschen können. Am 30. Dezember 1897 schreiben sie einen überschwänglichen Brief an den verehrten Schriftsteller und bitten um Antwort.

    Diese kommt wohl bald, denn es entspinnt sich eine intensive Korrespondenz. Dabei geht es um die erste Orientreise, die May 1900 unternimmt. Die beiden Herren wollen May keineswegs zur Last fallen, aber Eser bittet um detailliert beschriebene Mengen und Ausführungen von »echten arabischen Tschibuks« (Pfeifen) und »verführerisch geschildertem Dschebeli« (Tabak). Dazu schickt er ihm eine Kostprobe seines bevorzugten Dschebeli und ein paar Flaschen Pfalz- und Rheinwein. Der Brief trieft vor Schleim. Göttelmann geht es vielmehr um die Leseabenteuer und die faszinierende Wirkung auf ihn und seine Familie.

    May löst das Versprechen ein. Am 26. Oktober 1904 kommt es zur Begegnung zwischen den drei Herren, eben in Bad Nauheim. Eser und seine Frau Luise empfangen May und seine Frau Klara sowie Göttelmann in der Dienstwohnung im alten Badehaus I.

    Besuch bei Bindernagel

    »Göttelmann ist eine ganz hervorragende Natur. Keineswegs ein Durchschnittsmensch. Ihm merkt man die Schablone nicht an, er hat eigene Formen. Dr. E. ist ein prachtvoller Bayer. Ehrlich, treu und - grob«, notiert Klara May in ihrem Tagebuch. Es müssen sehr schöne Abende gewesen sein, denn Eser verabschiedet die Mays am 31. Oktober am Bahnhof mit einem »prächtigen Rosenbuschen«. May gelingt auf Druck die Aussöhnung mit Praxmarer in Bad Nauheim.

    Er besucht in diesen Tagen auch die Buchhandlung Bindernagel in Friedberg, um zu fragen, welche Leser seiner Bücher es dort gebe. Unter dem Vorwand, eine Stelle als Landvermesser zu suchen, spricht er bei dem Geometer Julius Heineck vor. Als dieser May erkennt, sei große Freude im Haus gewesen, erzählte Heinecks Tochter Milly. Auch diese Verbindung muss wohl noch einige Zeit gehalten haben. Doch ist die Kiste mit dem Briefwechsel verschollen.

    Quelle: https://www.wetterauer-zeitung.de/wetterau/1904-…m-93486926.html