Die Meuterer von der ‚Britannia‘

  • Zum 100. Todestag von Jules Verne habe ich als kleines Geschenk an die Forumsleser - und natürlich ganz speziell für unseren fleißigen, Holly-, äh - Nano-wood erprobten Forums-Moderator Poldi ;) - eine Transkription der ersten Szenen des Hörspiels ‚Die Kinder des Kapitän Grant‘ von Anke Stamm (Fass, 1968) angefertigt. Das Besondere an dem Hörspielanfang ist dabei, daß dieser frei erfunden ist, denn in Jules Vernes Roman gibt es gar keine Meuterei. In dieser zusätzliche Einleitung, die dabei offensichtlich dem Vorbild der ‚Meuterei der Bounty‘ entlehnt ist, treten zudem noch James, ein weiterer und älterer Sohn des Kapitän Grant sowie ein bis aufs Blut mit dem Kapitän verfeindeter Matrose namens Burck auf, außerdem befand sich die ‚Britannia‘ zudem auf einer Expedition zum Südpol á la 'Eissphinx'. Es sind also eine Menge zusätzlicher Motive in diesen Prolog eingeflossen.


    Eine interessante Frage in diesem Zusammenhang wäre darum, ob diese zusätzlichen Szenen gänzlich nur der Phantasie der Hörspielautorin Anke Stamm (etwas bekannter als Anke Beckert) entsprungen ist, oder ob es eine Buchfassung gab, der diese Idee entnommen worden ist. Textvergleiche zeigen übrigens,, daß als Hörspiel-Vorlage weder die Ausgaben von Hartleben, von Bärmeier & Nikel (von Fischer übernommen) noch von Neues Leben (auch von Diogenes übernommen, und z.B. von Kurt Vethake für dessen Hörspielversion benutzt) in Frage kommen, was bei den beiden letztgenannten allerdings eigentlich schon auf den ersten Blick ersichtlich ist, da diese beiden Standard-Ausgaben ‚Die Kinder des Kapitäns Grant‘ betitelt sind. Der alternative Titel ‚Die Kinder des Kapitän Grant‘, den auch die Fass-LP trägt, wurde indessen bis 1968 (neben der Hartleben-Ausgabe einer ‚Buchgemeinde‘-Lizensausgabe der Neues-Leben-Version von 1960) von den – sämtlich bearbeiteten - Übersetzungen von Bruno Hoffmann (Fock 1921), von Hans Maier (Rascher & Cie, 1948) und einer 1956 im Atlas-Verlag Köln erschienenen Kurzausgabe verwendet, letztere Ausgabe könnte vielleicht ein Kandidat für die Buchvorlage des Hörspiels sein.


    Da Jules Verne selber ja auch die ‚Meuterer von der Bounty‘ in einer kurzen Erzählung schildert – oder genauer, einen Text von Gabriel Marcel bearbeitete, der dann unter Vernes Namen erschien - wäre es für einen Jules-Verne-Hörspiel-Freund vielleicht einmal lohnend nachzuforschen, ob eine der zahlreichen Adaptionen eventuell (inoffiziell) auf diesem kurzen Verne/Marcel-Text beruhen könnte. Meist heißt es bezüglich der Vorlage ja bloß "nach einem alten Schiffstagebuch" oder ähnliches, nur bei einige Ausgaben der zweiteiligen Kurt-Vethake-Produktion wird etwa ein Buch des auf Nacherzählungen spezialisierten Günther Sachse angegeben.


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    Coverquelle: www.jules-verne-hoerspiele.de


    Im Juni 1862 verscholl auf der Fahrt zum Südpol der Dreimaster ‚Britannia‘, mit der ganzen Mannschaft und ihrem Kapitän, Harry Grant, einen berühmten schottischen Seemann aus Glasgow. Man nahm an, das Segelschiff sei im Sturm gesunken. Es hatte zwar Schiffbruch erlitten, aber die Besatzung des Dreimasters konnte sich auf eine kleine, unfruchtbare Insel retten. Die ‚Britannia‘ war auf Klippen aufgelaufen und nur noch ein Wrack. Das Beiboot war aber unbeschädigt geblieben, und damit hatten sich der Kapitän, sein Sohn James und die Matrosen retten können, doch die Mannschaft gab Kapitän Grant die Schuld an den Schiffbruch. Ihre heimliche Meuterei machte sich Ayrton, der erste Offizier, zu Nutze.


    Ayrton: Sich so weit in den Süden zu wagen!


    1. Matrose: Da seht ihr ja, was er aus der ‚Britannia‘ gemacht hat - ein Wrack! Ayrton, übernimm du das Kommando an seiner Stelle.


    A: Der Augenblick ist noch nicht gekommen, aber bald wird es soweit sein. Warum hat man auch Grant mit der Mission, den Südpol zu entdecken, betraut. Mir hätte man den Auftrag geben sollen.


    2. Matrose: Ja, du bist der viel bessere Mann dafür.


    3. Matrose: Warum wartest du also noch länger, ha?


    A: Weil ich vorher wissen will, welchen Entschluß Grant fassen wird.


    1: Welchen Entschluß soll er denn fassen als den, diese Insel so schnell wie möglich wieder zu verlassen? Eine Kiste Schiffszwieback und ein Faß Branntwein – für achtzehn Personen?!


    3: Eh acht Tage um sind, werden alle verhungert sein.


    A: In wenigen Augenblicken werden wir wissen, woran wir sind. Still, da kommt Grant mit seinem Sohn. Kapitän, was haben Sie beschlossen?


    Grant: Leute, ich rechne auf euren Mut und unerschütterliches Zusammenhalten! Ich stehe dann für unsere Rettung ein und habe die feste Hoffnung unsere Aufgabe, den Südpol zu entdecken, zu Ende zu führen!


    A: Vergessen Sie denn, daß die ‚Britannia‘ halb zerschollen auf den Klippen liegt und das es unmöglich ist, sie wieder flott zu machen?


    G: Bevor ich einen endgültigen Entschluß fasse, will ich erst diese Insel besichtigen, die ich für die Insel Balker im australischem Meer halte. Nochmals, Freunde, einig sind wir stark – uneinig verloren!


    James: Du nimmst mich doch mit, auf deinen Erkundigungsgang, Vater?


    G: Komm, mein Sohn. Von der Höhe dieser Felsen aus werden wir schnell die Insel übersehen haben.


    A: Und wenn sie bewohnbar ist?


    G: Dann lassen wir uns häuslich darauf nieder. In ungefähr sechs Monaten werden wir aus den Resten der ‚Britannia‘ ein kleines, seetüchtiges Fahrzeug gezimmert haben. Damit können wir dann den Weg nach dem Südpol fortsetzen.


    A: Und wenn diese Insel unbewohnbar ist?


    G: Ja ... dann werde ich weiter überlegen. Komm, James. Und Ayrton, paßt auf, das niemand an das Branntweinfaß geht.


    1: Sechs Monate hier warten, mitten im Eis überwintern, niemals!


    Matrosen: Niemals!!


    A: Damit hat er sein eigenes Urteil ausgesprochen.


    1: Du sollst unser neuer Kapitän sein, Ayrton!


    2: Ja,ja, Hoch Kapitän Ayrton!


    M: Hoch, Hoch!!


    A: Bedenkt, was ihr tut, Kameraden. Werdet ihr mir folgen?


    1 Überall, wohin du uns führen willst!


    M: Hoch, Kapitän Ayerton!


    A: Hört zu, Leute! Euer Vertrauen ehrt mich, ich werde euch nicht enttäuschen.


    2: Wir brauchen ein Fahrzeug, um von dieser trostlosen Insel wegzukommen.


    A: Wir haben ja das Beiboot der ‚Britannia‘. Es ist ein sicheres Fahrzeug und wird uns wohlbehalten an die nächste Küste bringen , nach Australien.


    1: Aber das Beiboot kann höchstens fünfzehn Mann tragen – und wir sind achtzehn!


    A: Harry Grant und sein Sohn bleiben hier, und wenn der Frost und der Hunger sie nicht umbringt, dann besorgt sicherlich Burck den Rest!


    1: Burck?


    A: Ja, Burck, den der Kapitän wegen Ungehorsam hat auspeitschen lassen. Heyward, komm mal her zu mir!


    Burck: Ja, Ayrton.


    A: Burck, was würdest du tun, wenn das Schicksal dir Grant in die Hände lieferte?


    B: Töten würde ich ihn.


    A: Gut, Burck. Heb‘ deinen Zorn für später auf. – Und jetzt Kameraden, Harry Grant hat euch verboten, Brandwein zu trinken. Nun denn, trinkt! Trinkt, so viel ihr wollt!


    M: Ja!


    B: Mir den Branntwein, mir den Branntwein! Da ich mich nicht sofort rächen kann, muß ich meinen Ärger mit Schnaps begießen!


    Alle machten sich sogleich mit großem Geschrei über das Branntweinfaß her. Burck trank am meisten und war ziemlich bald total betrunken. Er legte sich hinter einen Felsen, um seinen Rausch auszuschlafen. Da kam Kapitän Grant von seiner Inselinspektion zurück


    G: Was geht hier vor? Ich hatte doch extra angeordnet ...


    A: Ich habe ihnen erlaubt zu trinken.


    G: Ayrton, ab sofort bist du nicht mehr erster Offizier der ‚Britannia‘.


    A: Was kümmert mich das, es gibt ja keine ‚Britannia‘ mehr, nur noch ein Wrack.


    G: Es bleibt uns das Beiboot. Es ist unsere einzige Rettung. Ich habe die Insel durchforscht, sie ist unbewohnbar. Wir müssen sie also verlassen.


    A: Das Beiboot kann höchstens fünfzehn Mann fassen, und wir sind achtzehn.


    G: Drei von der Mannschaft werden auf dieser Insel zurückbleiben. Sobald wir die australische Küste erreicht haben, kehre ich wieder hierher zurück und hole sie.


    A: Einen Augenblick. Wir haben die drei bereits gewählt. Sie, Kapitän Grant, ihr Sohn und der volltrunkende Burck bleiben hier, und ich hole euch bestimmt nicht wieder.


    B: Was erlaubst du dir, Ayrton? Bis jetzt bin ich noch euer Kapitän!


    1: Nein! Ayrton ist unser Kapitän!


    M: Hoch, Ayrton! Hoch! Hoch!


    Harry Grant war machtlos. Die anderen waren in der Überzahl. Er flehte Ayrton an, wenigstens seinen Sohn James mitzunehmen, aber dieser lachte nur darüber. Er stieg mit seinen Anhängern in das Beiboot, den Rest Zwieback nahmen sie auch noch mit. Burck war zu betrunken, um zu bemerken, daß er von seinen Kameraden im Stich gelassen wurde.


    J: Sie fahren ab, Vater. Jetzt ist alle Hoffnung hin..


    G: Helfen wir uns selbst, James. Wir müssen die Insel verlassen haben, ehe das Eis sie umschließt. Das Holz der ‚Britannia‘ ist in guten Zustand, daraus bauen wir uns ein Boot.


    (Detonation)


    J: Zu spät, Vater. Diese Schurken haben das Wrack in die Luft gesprengt, und unsere letzte Hoffnung ist zerstört.


    G: Es gibt noch eine geringe Chance. Wir werfen eine Flaschenpost ins Meer. Irgendein Schiff wird sie vielleicht finden und uns retten.


    J: Ja, Vater, schreibe. Hier ist eine leere Flasche.


    G: Kapitän Grant und sein Sohn, verlassen auf der Insel Balker, in der Nähe der australischen Küste, nach Schiffbruch der ‚Britannia‘ unter dem 37. südlichen Breitengrad und den 165. westlichen Längengrad, eine lange Agonie erwartet sie. Eilt ihnen zur Hilfe, oder sie sind verloren. Gezeichnet, Harry Grant


    Die Flasche wurde mit geteerter Leinwand verschlossen und ins Meer geworfen. Inzwischen erwachte Burck aus seinen Rausch.


    B: Hey, James, Sohn des verdammten Kapitäns, wo sind die anderen?


    J: Burck, sie sind alle fort und haben dich, meinen Vater und mich verlassen.


    B: Verlassen, verlassen auf dieser wüsten Insel?


    J: Wirst du uns helfen zu entkommen?


    B: Pshaw, ausgerechnet euch helfen. Dein Vater hat mich auspeitschen lassen. Nein , es gibt nichts Gemeinsames zwischen uns, nur Hass und Rache, bis in den Tod.


    Burck hatte ein Beil ergriffen und wollte sich damit auf James stürzen. Dieser aber ergriff eine Flinte und legte sie auf Burck an.


    J: Verschwinde mir aus den Augen. Und sei vorsichtig, Burcke, sonst brenne ich dir eine Kugel ins Fell.


    B: Rache, James und Harry Grant – Rache!


    G: Von dem ist keine Hilfe zu erwarten. Unsere einzige Hoffnung liegt jetzt in der Flaschenpost. Lieber Himmel, laß sie in hilfreiche Hände fallen.

  • Zitat

    Originally posted by Thosch
    Das Besondere an dem Hörspielanfang ist dabei, daß dieser frei erfunden ist, denn in Jules Vernes Roman gibt es gar keine Meuterei. [...] Eine interessante Frage in diesem Zusammenhang wäre darum, ob diese zusätzlichen Szenen gänzlich nur der Phantasie der Hörspielautorin Anke Stamm (etwas bekannter als Anke Beckert) entsprungen ist, oder ob es eine Buchfassung gab, der diese Idee entnommen worden ist.


    Diese Motive sind nicht der Phantasie Anke Stamms entsprungen, und auch nicht einer Neubearbeitung entnommen. Das Theaterstuck "Les Enfants du capitaine Grant" von Jules Verne und Adolphe D'Ennery ist die Quelle dieser Elemente! Ich werde mich nicht erstaunen, wenn am Ende dieses Horbuchs ein Walfang die Rettung bringt...


    Garmt.

  • :shy: Asche über mein Haupt! :shy: Durch den ganzen Trubel der Mondial ist mir Dein Beitrag doch glatt durch die Lappen gegangen!


    Wie immer: :applaus: für Deinen Bericht, und dann auch noch über mein allererstes Jules Verne Hörspiel.


    Die Information von Garmt mit der Theaterversion ist neu für mich, allerdings spielt bei dem Hörspiel am Ende kein Walfang eine Rolle. Die Theaterversionen von Jules Verne gibt es leider nicht in einer deutschen Übersetzung, und da ich nicht so gut französisch spreche wie Garmt...


    Die Bounty-Version von Verne habe ich erst kürzlich gelesen, Parallelen zum Beginn des Hörspieles sind mir nicht aufgefallen.