Beiträge von Volker Dehs

    Simone Vierne, eine der maßgeblichen Verne-Forscherinnen schlechthin, ist Mitte Januar in der Nähe von Grenoble in ihrem 86. Lebensjahr gestorben. Die Verne-Forschung hatte sie 1972 mit ihrer Habilitationsschrift über die initiatorischen Komponenten im Werk Jules Vernes revolutioniert, die 1973 als Buchausgabe unter dem Titel Jules Verne et le roman initiatique erschien. Es war die erste Promotion in französischer Sprache, zudem noch von einer Frau geschrieben - zu einer Zeit, als Jules Verne an der Universität nur mit Naserümpfen wahrgenommen wurde. Ihr 800-Seiten-Opus war blendend recherchiert und ist heute immer noch mit Gewinn zu durchforsten, zumal es öfter als Referenz zitiert als wirklich gelesen wurde und wird. Auch wenn sie sich später von allzu zugespitzten Thesen, die Vernes Romane auf Initiationsriten reduzierten (was wiederum vereinfacht formuliert ist), distanzierte, spricht das nicht gegen ihren genialen Wurf, sondern vor allem für die geistige Unabhängigkeit, mit der sie sich in verschiedenen Pubilkationen selbst kritisieren konnte. Bis 1994 bin ich ihr zwei- oder dreimal begegnet und war von ihrer bodenständigen, fast schon rustikalen, aber immer geistreichen Art fasziniert. Ich hätte sie gerne noch einmal wieder getroffen.

    Und es wird sich sicher lohnen! Ich habe die Produzenten in Kiel kennengelernt und mich mit ihnen in Göttingen wiedergetroffen und werde mir die Veranstaltung nächste Woche im Planetarium von Nantes anschauen, zusammen mit Ralph Heimsohn. Was man bisher so davon sehen und darüber lesen konnte, war sehr vielversprechend ...

    Bernhards Einschränkungen sind natürlich völlig zutreffend, ich wollte nur darauf hinweisen, dass es einen Unterschied macht, ob man für sich zum Vergnügen liest oder sich einem Text literaturwissenschaftlich nähert. Im letzten Fall müssen gewisse Standards eingehalten werden oder zumindest ein Problembewusstsein vorhanden sein.


    Wahr ist auch, dass die meisten der Varianten zwischen den drei geläufigen frz. Textausgaben für die Übersetzung kaum relevant sind, weil es sich um Änderungen in der Wortwahl, Satzstellung und Interpunktion handelt. Ich habe in Sachen Hartleben auch keine systematischen Recherchen angestellt, aufgefallen sind mir rein zufällig nur drei "Fälle", die mich immerhin hellhörig gemacht haben, weil sie symptomatisch sein dürften:


    - Hector Servadac (1877/78) : hier ist die deutsche Fassung eindeutig antisemitischer als die frz. Buchfassung (Passagen Isaac Hakhabut). Nach Überprüfung entspricht der Text dem des Vorabdrucks; ob auch Elemente der Manuskriptfassung enthalten sind, was auf vorausgehende Druckfahnen hindeuten würde, habe ich nicht weiter verfolgt.


    - Reisestipendien (1903/4) : hier ist bei Hartleben in einem der ersten Kapitel eine längere Passage enthalten, die nur im frz. Vorabdruck vorliegt.


    - Herr der Welt (1904/5) : hier lautet der vorletzte Kapiteltitel "Gleich Gott", in den drei frz. Ausgaben "Im Namen des Gesetzes!" Keine Zutat des Übersetzers, sondern so heißt auch das Kapitel im Manuskript, und einige gestrichene bzw. abgemilderte Passagen dort entsprechen dem Text des Manuskriptes, der sehr viel religiöser ist als die Endfassung. Da liegt es nahe zu schließen, dass der Text auf noch nicht zu Ende korrigierte Druckfahnen zurückgeht, was in diesem Fall insofern interessant ist, als die letzten Korrekturen nicht von Verne selbst, sondern vom Verleger Hetzel ausgeführt wurden

    Zitat

    "Zu den Hartleben-Neuverwurstungen: „Durch Übernahme der Paginierung der
    angegebenen Originalausgabe (Hartleben Prachtausgabe) als zeilengenaue
    Marginalie erhebt die Ausgabe den Anspruch auch für wissenschaftliche
    Zitierungen geeignet zu sein.“"

    Diese Selbstvermarktung ringt mir doch eine Bemerkung ab: Übersetzungen sind für wissenschaftlliche Arbeiten so gut wie nie zitierfähig, es sei denn, sie werden am französischen Original überprüft. Eine Ausnahme bilden Arbeiten, die sich direkt übersetzungstechnischen Fragen widmen oder den Einfluss etwa auf deutschsprachige Autoren untersuchen, die nachgewiesenermaßen Vernes Werke nur in dieser oder jener Übersetzung zur Kenntnis nehmen konnten.


    Wer meint, das sei eigentlich nicht so wichtig, den verweise ich auf die Böcke, die Rainer E. Zimmermann in seinem Buch über Jules Verne geschossen hat, der lautstark Kritik an den Hartleben-Übersetzungen übte, ohne zu berücksichtigen, dass es auch im Französischen mehrere Textfassungen von Vernes Werken gibt (siehe meine Besprechung: http://www.iaslonline.de/index.php?vorgang_id=2557 ). Weshalb er in seiner akademischen Arbeit Übersetzungen zitiert (und gleichzeitig kritisiert), statt sich auf eine frz. Originaltextausgabe zu beziehen, wird wohl sein Geheimnis bleiben.


    Tatsächlich ist die Textlage auch im Französischen für Verne größtenteils noch nicht untersucht (mehr oder weniger wichtige Varianten gibt es immer zwischen Vorabdruck - Erstausgabe - illustrierte Ausgabe, die meist als letzte erschien, aber nicht immer den definitven Text präsentiert), umso extremer sind die Textabweichungen bei deutschen Übersetzungen, die meistens ungeklärt lassen, auf welche konkrete Ausgabe sie sich beziehen. Und dann kommen natürlich noch Textauslassungen, Schludrigkeiten, Irrtümer oder gutemeinte Korrekturen der Übersetzer oder Bearbeiter hinzu... Und was Hartleben betrifft: die Übersetzung beruht bei den meisten Romanen auf eine Fassung, die so im Frz. nie erschienen ist, weil Hetzel Druckfahnen an den Verlag zur Übersetzung lieferte, deren Korrektur Jules Verne nicht immer schon abgeschlossen hatte!

    Vielen Dank für diese Nachricht. Ich denke, wer immer Wolfgang
    kennenlernen durfte, dem bleibt seine freundliche, humorvolle und immer
    kompetente Art unvergesslich. Unsere Freundschaft hat fast 30 Jahre gedauert. Der Jules-Verne-Club wird mit Sicherheit
    dabei mitwirken, dass das, was Wolfgang nicht mehr zu Ende bringen
    konnte, zum Wohl aller Verne-Interessierter verwirklicht wird.


    Mit traurigen Grüßen,
    Volker

    Hallo, eine Strafbarkeit liegt nicht vor, diese bezog sich um 1900 auch nur auf den Verkauf der verbotenen Bücher. Der Wert alter Bücher bemisst sich nach ihrer Häufigkeit oder Seltenheit und nach ihrer Begehrtheit bei Sammlern. Insofern ist diese Ausgabe sicher ein interessantes Fundstück.


    Ist der Einband denn einfarbig (rot mit silberner Titelei) oder bunt ?

    Hallo,


    nicht alles, was sich ähnelt, steht auch in einem Zusammenhang zueinander. Die Person, auf die Verne in "En Magellanie" als Vorbild für den Kaw-djer anspielt, ist zwar tatsächlich der vor Südamerika verschollene Johann Orth, ehemaliger Erzherzog Johann Salvator, aber der von Verne verehrte und mit ihm befreundete Erzherzog war dessen Bruder Ludwig Salvator, der eine Reihe geographischer Werke über die Mittelmeerinseln veröffentlicht hat.


    In "L'île à hélice" spielt Verne mit dem König von Malecarlien auf den ehemaligen König von Brasilen, Dom Pedro II. an, der abdanken musste, nachdem er in seinem Land gegen den Willen der "weißen" Bevölkerung die Sklaverei abgeschafft hatte und später mit seiner Frau im Pariser Exil starb.

    Danke für den Tipp!


    Bei dem frz. Text handelt es sich in der Tat um eine Übertragung des Hood-Artikels, mit einigen Freiheiten. Insbesondere der Schluss ist anders und soll den offenen Schluss erklären: die Kutsche, in der der Erzähler ("ein blasser junger Mann") seinen Mitreisenden die Geschichte seines Aufstiegs erzählt, landet im Graben und der Erzähler wird verletzt.


    Hoods Artikel, der mehrere Abdrücke erfahren hat (ab 1862 auch in seinen Gesammelten Werken) soll übrigens schon 1821 in The London Magazine veröffentlicht worden sein und rückt damit in unmittelbare zeitliche Nähe zum Erlebnis des Ballonfahrers Green; möglich also, dass es sich dabei um ein und dieselbe Geschichte handelt.

    Ich habe in meinen Büchern noch zwei frühere Wiedergaben der Green-Geschichte gefunden:


    Sircors & Pallier: Histoire des ballons et des ascensions célèbres (1876), S. 335. Hier wird sie indirekt mal auf 1847, mal auf 1836 datiert.


    Louis Figuier: Les Merveilles de la science, Bd. 2 (1868), S. 555-556. Beide Bücher ebenfalls auf Gallica.


    Beide Fassungen ähneln sehr der von Lecornu, bis in Formulierungen hinein, und es steht zu vermuten, dass sie alle auf eine oder mehrere frühere Quellen zurückgehen. Da Green damals der berühmteste englische Ballonfahrer gewesen ist, kann man davon ausgehen, dass sein Erlebnis international Beachtung gefunden hat. Und in der Folge haben alle voneinander abgeschrieben, so wie heute im Internet...

    Ich kann jetzt präziser werden: Zugestoßen ist das Abenteuer dem englischen Ballonfahrer Charles Green (1785-1870), und zwar laut englischer Wikipedia im Jahr 1822. Nacherzählt wird das u.a. in La Navigation aérienne von J. Lecornu (1903), S. 162 (auf Gallica abrufbar). Man kann davon ausgehen, dass Verne auf eine andere Schilderung dieses Ereignisses in einer noch unbekannten Quelle gestoßen ist; möglicherweise liegt dann auch kein Plagiat seiner Erzählung vor, sondern einfach andere Variationen des ursprünglichen Ereignisses.


    Beste Grüße,

    Interessante Entdeckungen von Predantus, und Kompliment für deine Hartnäckigkeit. Es bestehen gute Aussichten, noch weitere Texte dieser Art zu finden, und ich teile Bernhards Begründung dafür. Allerdings ist das Thema "ein Wahnsinniger im Ballon" keine reine Fiktion, sondern hat sein(e) Pendant(s) in der Wirklichkeit, das oder die auch Jules Verne auch zum Vorbild hat nehmen können. Soweit mir bekannt, ist dieses Modell aber noch nicht identifiziert, der Verne-Biograph Charles-Noel Martin erwähnt es in einer seiner beiden Biografien und verweist auf eine Geschichte der Ballonfahrt, die allerdings NACH Vernes Geschichte erschienen ist; was aber natürlich nicht ausschließt, dass das Ereignis VORHER stattgefunden hat. ich schaue mal nach und melde mich wieder, wenn ich ein brauchbares Ergebnis gefunden haben sollte.