1. Dashboard
  2. Articles
  3. Members
    1. Recent Activities
    2. Users Online
    3. Team
    4. Search Members
  4. Forum
  • Login
  • Register
  • Search
Jules Verne
  • Everywhere
  • Jules Verne
  • Articles
  • Pages
  • Forum
  • More Options
  1. Inside das Hörspiel
  2. Articles
  3. Jules Verne

Der Schnellzug der Zukunft

  • Stahlelefant
  • February 28, 2025 at 2:20 PM
  • 289 Views
  • 1 Comment

Leipziger Tageblatt, Morgen-Ausgabe, Leipzig, 28.3.1905, 99. Jg. Nr. 158

Michel Verne

Der Schnellzug der Zukunft.

Von Jules Verne (†).

„Achtung!“ rief mein Begleiter, „hier ist eine Treppe.“

Ich stieg die Treppe hinunter und befand mich in einem langgestreckten Saal, der hell erleuchtet war durch eine Anzahl elektrischer Lampen mit blendend strahlenden Reflektoren. Es herrschte in diesem Saal eine tiefe, feierliche Stille. Keine Menschenseele war zu sehen. Wo war ich? Was wollte ich hier? Wer war nur mein geheimnisvoller Begleiter? Alle diese Fragen, die ich mir stellte, blieben ohne Antwort.

Wir gingen noch einige Zeit durch dunkle Gänge, stiegen Treppen hinab, kamen von einem Raum in den andern durch metallene Türen, welche schwer hinter uns zufielen.

„Sie denken sicherlich darüber nach, Herr Verne, in wessen Hände Sie eigentlich gefallen sind, nicht wahr?“ nahm mein Führer das Wort. „Sie gestatten deshalb, daß ich mich Ihnen vorstelle: ich bin der Colonel Pierce.“

„Sehr angenehm. Aber wo bin ich hier?“

„Hier? Sie sind in Boston, in Amerika, in einer der Stationen.“

„Stationen? Was für Stationen?“

„Ja, in der Station der Boston-Liverpool-Pneumatic Tubes Company.“ Und mit einer erklärenden Handbewegung wies der Colonel auf zwei lange, nebeneinander liegende eiserne Zylinder hin, deren Öffnungen von etwa anderthalb Metern Durchmesser aussahen, wie die Eingänge zu zwei kleinen Tunnels. Ich betrachtete mit Erstaunen diese riesigen eisernen Röhren, die in einer festen Mauer zu verschwinden schienen.

Mit einem Male ging mir ein Licht auf.

Vor einiger Zeit hatte ich in amerikanischen Zeitungen gelesen, daß ein gewisser Colonel Pierce sich als Erfinder einer neuen Verbindung zwischen der alten und der neuen Welt angemeldet hatte. Dieser stolze Erfinder wollte nämlich den Riesenplan zur Ausführung bringen, Europa und Amerika durch zwei unterseeische Tunnels zu verbinden. Denselben Herrn Pierce hatte ich also vor mir. In Gedanken las ich noch einmal die Einzelheiten jener Artikel durch und mir schossen wieder die ungeheuren Zahlen durch den Kopf, von denen dort die Rede gewesen war. Sechzehnhunderttausend Kubikmeter Stahl zu einem Gesamtgewicht von 13 Millionen Tonnen; zweitausend Schiffe von je zweitausend Tonnen, welche dreiunddreißigmal die Reise zwischen Europa und Amerika unternehmen mußten, um das Material nach den beiden Hauptschiffen zu bringen, die an der amerikanischen und englischen Küste stationiert waren, und auf denen sich die beiden äußeren Enden des anzulegenden Eisentunnels befanden. Dieser Tunnel sollte aus aneinandergeschraubten Stücken von 3 Meter Länge bestehen, während das Ganze in ein dreifaches Netzwerk von Stahl und in einen Mantel von guttaperchaartigem Stoff eingehüllt war.

In diesen Riesenröhren nun sollte eine Reihe Waggons angebracht werden, die durch künstlichen Luftdruck, ähnlich wie die Gegenstände in einer Rohrpost, fortbewegt wurden. Im Vergleich zu den jetzigen Eisenbahnwagen waren diese Waggons ein großer Fortschritt. Vor allen Dingen fiel das ermüdende Schütteln weg, und was die Preise anlangt, so waren diese wegen der Einfachheit der Fortbewegung von einer fabelhaften Billigkeit. Und bezüglich der Schnelligkeit stand die neue Erfindung unerreicht da. Bei der Vorzüglichkeit der Einrichtung war es möglich, 1066 Kilometer in einer Stunde zu durchfliegen.

Dies alles trat mir nach und nach vor Augen. Und dieses so gewaltige, ans Unglaubliche grenzende Unternehmen war nun Wirklichkeit geworden. Die beiden Röhren sah ich da vor mir. Und doch war es mir nicht möglich, mich von der Wirklichkeit dessen zu überzeugen, was ich sah. Mochte es auch Tatsache sein, daß die Tunnels fertig waren, so konnte ich doch nie und nimmer annehmen, daß darin Menschen die ungeheure Entfernung zwischen Amerika und Europa zurücklegen würden. Vor allem schien es mir unmöglich, einen Luftstrom von solcher Stärke und solcher Länge ins Leben zu rufen.

Dieses Bedenken äußerte ich auch unumwunden meinem Begleiter, dem Colonel Pierce.

„O, ich bitte Sie“, antwortete dieser, „nichts leichter als das; wir haben dazu nur die genügende Anzahl Blasebälge nötig, ähnlich denen, die man bei den Hochöfen verwendet. Dadurch wird die Luft, wenn ich mich so ausdrücken darf, mit grenzenloser, ungeahnter Gewalt fortgetrieben; und durch diesen Orkan von ungeheurer Schnelligkeit mitgeschleppt, wird unser Zug die viertausend Meilen, die zwischen Boston und Liverpool liegen, in zwei Stunden und vierzig Minuten zurücklegen, also fast mit der Schnelligkeit einer Kanonenkugel.“

„In zwei Stunden und vierzig Minuten?“ wiederholte ich, vor Staunen fassungslos.

„Jawohl, nicht mehr und nicht weniger. Und welche ungewöhnlichen Umstände hat wieder diese außerordentliche Schnelligkeit im Gefolge! In Liverpool ist man uns hier zu Boston mit der Zeit um vier Stunden und vierzig Minuten voraus; ein Reisender, der also um neun Uhr aus Boston abreist, kommt in Liverpool nachmittags drei Uhr und fünfundvierzig Minuten an. Wo in aller Welt hat man es bisher erlebt, daß einem ein Tag so schnell vergeht? Und auf der andern Seite, wenn jemand Liverpool mittags zwölf Uhr verläßt, ist er bereits vormittags neun Uhr vierunddreißig Minuten in Boston, hat also die Reise in weniger als gar keiner Zeit zurückgelegt, und es bleiben ihm noch zweiundeinehalbe Stunde bis zur Mittagszeit, also derselben Zeit, zu welcher er aus Liverpool abgereist ist. Wenn das nicht das Eigenartigste ist, das bisher auf der Welt vorgekommen, will ich nicht Pierce heißen.“

Ich wußte nicht mehr, was ich denken sollte. Hatte ich hier mit einem Irrsinnigen zu tun, oder sollte ich den fabelhaften Ausführungen wirklich Glauben schenken, auch wenn mein Geist sich noch so sehr dagegen sträubte?

„Schön“, sagte ich endlich, „nehmen wir einmal an, daß dies alles so ist, lassen wir unsere Reisenden diese tolle Fahrt unternehmen, lassen wir sie fortfliegen mit dieser teufelartigen Geschwindigkeit, von der Sie soeben gesprochen haben; aber — wie wollen Sie die Schnelligkeit verringern, wie wollen Sie bremsen, wie wollen Sie Ihre Wagen zum Stillstehen bringen? Bei einer solchen Schnelligkeit muß doch alles in tausend und abertausend Stücke zersplittern?“

„Durchaus nicht“, erwiderte der Colonel, während er mitleidig mit den Achseln zuckte. „Durch unsere Tunnels laufen fortwährend Luftströme in entgegengesetzter Richtung. Wenn ein Zug Boston verläßt, verständigt jedesmal der Telegraph das Personal in Liverpool, welches dann die nötigen Maßregeln trifft, um die Schnelligkeit des ankommenden Zuges zu mindern und ihn schließlich zum Halten zu bringen. Es wird einfach ein Riesenventil geöffnet, wodurch der Luftstrom aus dem Nebentunnel mit Macht in den ersteren strömt, dem ankommenden Zug entgegenläuft, anfangs als Bremse und schließlich als Riesenpuffer wirkt. Doch weshalb soll ich Sie noch länger mit der Erklärung von Dingen ermüden, die Sie praktisch am besten versuchen können.“

Und ohne meine Antwort abzuwarten, zog er an einem vernickelten Handgriff, eine Tür schob sich zur Seite, und durch die Öffnung, welche so entstand, gewahrte ich einen prachtvoll ausgestatteten, elektrisch erleuchteten Salonwagen mit langen Reihen kleiner, für zwei Personen eingerichteter Sofas.

„Das ist unser Wagen“, sagte er, während er in das Innere trat. „Bitte, folgen Sie mir.“

Ich trat ein und der Colonel schloß die Tür hinter uns.

Ich konnte es nicht unterlassen, meine Blicke noch einmal in die Runde schweifen zu lassen. Der Wagen schien ein langer Zylinder zu sein. An der vorderen und hinteren Seite waren Einrichtungen angebracht für Luftwechsel und Luftreinigung. Die frische Luft strömte von vorn unbemerkt nach innen; die verdorbene verließ den Raum an der hinteren Seite. Die Regulatoren, welche zu diesem Behuf angebracht waren, regelten die Zufuhr je nach der Schnelligkeit der Bewegung.

Nach einigen Augenblicken begann ich nach der Fortsetzung des so geradezu märchenhaften Erlebnisses zu verlangen.

„Wann fahren wir ab?“

Der Colonel sah mich mit einem merkwürdigen Blick von der Seite an.

„Abfahren? Mein lieber Freund, wir sind ja schon lange unterwegs.“

„Unterwegs? So ganz, ohne daß wir etwas gemerkt haben?“

Der Colonel nickte.

„Das ist eben die unvergleichliche Verbesserung gegenüber dem unbequemen und aufreibenden Fahren in den Eisenbahnzügen.“

Ich lauschte aufmerksam, begierig, irgend ein Geräusch aufzufangen. Wenn der Colonel mich nicht zum besten hatte, mußten wir jetzt schon in rasender Fahrt tief unter den Wogen des Atlantischen Ozeans fortfliegen.

Ich hörte indessen nichts, als ein dumpfes, ganz leises Geräusch, das, wie ich vermutete, durch die Fortbewegung unseres Zuges hervorgebracht wurde. Mein Erstaunen wuchs von Minute zu Minute, und ich saß still und in mich gekehrt da und starrte vor mich hin. Auf diese Weise ging etwa eine Stunde dahin, als mich plötzlich ein Gefühl der Kälte auf meiner Stirn und auf meinem Gesicht aus meiner zeitweiligen Betäubung aufweckte. Ich richtete mich auf und faßte mit der Hand nach meinem Gesicht. Es war über und über naß. Wie war das möglich? Wie konnte mein Gesicht naß geworden sein? War die Hülle um den Tunnel beschädigt und kam der Ozean nun tropfenweise durch die Poren der stählernen Wand nach innen?

Eine unbeschreibliche Angst kam über mich; ich fühlte, wie mir die Schweißtropfen neben dem Wasser, das schon lange mein Gesicht befeuchtete, von der Stirn rannen. Das Gefühl der Kälte wurde immer stärker, die Angst immer entsetzlicher, ich wollte dem Colonel Pierce zurufen, um Hülfe schreien. —

„Aber Jules, Mann, sitzt du denn immer noch da? Es regnet ja!“ rief meine Frau von fern.

Ich erwachte und saß ruhig in meinem friedlichen Garten, während ein frischer Mairegen herniederströmte, dessen dicke Tropfen meinen Schlaf und meinen Traum unterbrochen hatten. Vor mir auf dem Tisch lag ein Päckchen amerikanischer Zeitungen; die Nummer mit dem bewußten Artikel, in welchem mit echt amerikanischer Großsprecherei über eine neue Verbindung mit Europa gesprochen wurde, lag neben mir auf dem Boden. Der Schlaf hatte mich beim Lesen übermannt und während des Schlafes mein Geist das angefangene Thema weitergesponnen. Ich fürchte aber, daß die Idee des Colonel Pierce ebenso wie mein vermeintliches Erlebnis sich als ein Traumbild erweisen werde.

  • Michel Verne
  • Alte Übersetzung
  • Kreuz und quer ddW
  • Previous Article Der Eilzug der Zukunft
  • Next Article Bibliographische Ergänzungen zu Jules Verne

Related Articles

Der Eilzug der Zukunft

Neue Augsburger Zeitung, Feuilleton-Beilage Der Schwäbische Postbote, Augsburg, 6.2.1889, Nr. 17
Stahlelefant
February 27, 2025 at 3:31 PM
Thanks 1
1

Comments 1

Stahlelefant
March 1, 2025 at 10:12 PM
Author
  • Report Content

Siehe auch hier:

Post

RE: N11/12: Der Schnellzug der Zukunft

Noch ein paar Infos: Der „Eilzug“ von 1889 ist die einzige der alten Übersetzungen, die ungekürzt ist. Allerdings sind dem Übersetzer einige Fehler unterlaufen.

Zum „Schnellzug“ von 1905 im Leipziger Tageblatt: Das ist die gleiche Übersetzung, die im Sammler erschien und in N11/12 nachgedruckt wurde. Sechzehn Abdrucke dieser Übersetzung wurden bis jetzt gefunden. Beim Abdruck im Neuen Wiener Journal gab es noch eine Einleitung, die allerdings vor Fehlern nur so strotzt:

Neues Wiener Journal

Der…
Stahlelefant
March 1, 2025 at 10:10 PM

Categories

  1. Default Category 0
  2. Inside 0
  3. Jules Verne 4
  4. Reset Filter
  1. Privacy Policy
  2. Legal Notice
Powered by WoltLab Suite™ 6.1.11