• Ameisen jagen Wirbeltiere


    Eine unheimliche Begegnung im Regenwald von Ecuador beschreiben Forscher aus den USA: Sie stießen dort auf eine Gruppe von äußerst aggressiven Ameisen. Die Insekten attackierten sogar Wirbeltiere - und fraßen sie anschließend auf.


    Sean O'Donnell erlebt bei seiner Arbeit Dinge, die andere nur aus Horrorfilmen kennen: "Ein Trupp Arbeiter brach aus dem Boden hervor, einem flüchtenden Riesen-Erdwurm auf den Fersen. Mehrere hundert Arbeiterarmeisen kamen aus dem Boden und rannten über die faulenden Blätter hinweg hinter dem Wurm her. Fünf Arbeiter erkletterten ihn und begannen, ihn zu beißen und zu stechen. Nachdem der Wurm etwa drei Meter weit einen Abhang hinabgekrochen war, zog sich sein Körper von über 40 Zentimetern Länge auf etwa 20 Zentimeter zusammen. Zehn Sekunden, nachdem er aus dem Boden gekommen war, stellte der Wurm abrupt jede Bewegung ein und wurde steif."


    C. andicola: Klauenförmige Kiefer
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    Michael Kaspari/University of Oklahoma
    C. andicola: Klauenförmige Kiefer
    Über seine Begegnung mit den Killerameisen namens Cheliomyrmex andicola im Dschungel von Ecuador berichtet O'Donnell, der eigentlich an der University of Washington lehrt, in der Fachzeitschrift "Biotropica" (Bd. 37, S. 706). Kurz zuvor hatten er und seine Kollegen schon einen anderen Stoßtrupp der furchtlosen Insekten dabei beobachtet, wie sie eine offenbar eben erlegte Schlange abnagten.


    Für die Forscher selbst war die Begegnung mit der Spezies, über die bislang wenig bekannt war, nicht lebensgefährlich - aber doch ziemlich unangenehm: "Die Arbeiter hakten sich an unserer Haut fest, und wir stellten fest, dass ihre Stiche schmerzhafter waren als die anderer Ameisen."


    Was die ziegelroten Untergrundbewohner für andere, viel größere Tiere so gefährlich macht, sind ihre mächtigen Kiefer: Sie sind klauenförmig und tragen lange, dornenförmige Zähne. Mit diesen Beißwerkzeugen verhaken sich die C. andicola an der Haut ihrer Opfer. Außerdem, vermuten O'Donnell und seine Kollegen, könnte der Stich der Ameisen giftig oder gar lähmend sein. Das schließen die Biologen aus dem plötzlichen Ende des Erdwurms.


    Die Spezies sei innerhalb der Gruppe der amerikanischen Wanderameisen (New World army ants) offenbar einzigartig, schreiben die Forscher. Denn andere Ameisenvölker töten zwar auch gelegentlich mal ein Wirbeltier, etwa kleine Eidechsen, Schlangen oder Vögel - aber sie essen sie anschließend nicht auf. Die Tatsache, dass die C. andicola Schlangenfleisch in ihren Mandibeln davontrugen, macht sie zu den ersten Wirbeltier-Fressern dieser Gruppe.


    O'Donnell vermutet, dass die Cheliomyrmex sich einst von afrikanischen Treiberameisen abgespalten haben könnten - vor über 100 Millionen Jahren, als Afrika und Südamerika noch beide zum Ur-Kontinent Gondwana gehörten. "Cheliomyrmex sagt uns vielleicht, dass kooperative Jagd auf große Beutetiere ein evolutionärer Vorläufer der Jagd auf kleinere Beutetiere ist", sagt O'Donnell.


    Die kriegerische Zusammenarbeit sei also möglicherweise eben deshalb entstanden, weil den größeren Happen anders nicht beizukommen war. Inzwischen ist das bei den meisten Verwandten der Killertruppe aus Ecuador anders: Typisch für Wanderameisen sei es eigentlich, andere staatenbildende Insekten anzugreifen, erklärt der Forscher. "Aber Cheliomyrmex hält sich nicht an diese Lebensweise."