Display MoreJules Vernes Kapitän Nemo Band 1 "Tötet Nemo"
von Thomas Harbach[Blocked Image: http://www.robots-and-dragons.de/sites/default/…1_cover_web.jpg]
Thomas Ostwald
Mit Thomas Ostwald als Autor unter dem "Pseudonym" Ned Land schreibend erscheinen im BLITZ Verlag neue Abenteuer um Kapitän Nemo und die NAUTILUS. Thomas Ostwald schreibt unter anderem als Experte für Friedrich Gerstäcker ebenfalls neue Abenteuer um Old Shatterhand. Ein direkter Vergleich der jeweiligen Auftaktbände dieser Serien zeigt allerdings, dass es anscheinend leichter ist, Karl May fortzuführen als Jules Verne. Über Jules Verne hat Thomas Ostwald wie über Friedrich Gerstäcker eine Biographie verfasst. Sein außerordentliches Wissen zeigt sich mit der auf den ersten Blick verblüffenden Freundschaft zwischen Kapitän Nemo und Robur, dem Eroberer aus zwei anderen Werken Jules Vernes. Robur befreit schließlich mit seinen technischen Ideen die NAUTILUS aus dem Felsengefängnis auf der geheimnisvollen Insel. Der Vulkanausbruch hat die NAUTILUS nicht zerstört, sondern nur den Zugang zum Meer versperrt. Aus „Das Karpathenschloss“ wird der Projektor übernommen, mit dem dreidimensionale Bilder an die Wand geworfen werden können. So wie Thomas Ostwald diese Idee nutzt, erinnert aber einiges eher an Robert Kraft und seinen phantastischen Fortsetzungsroman „Atalanta“. Obwohl die Handlung stringent erzählt ist und verschiedene bekannte Charaktere nicht nur aus „20.000 Meilen unter den Meeren“ – den gängigen Übersetzungsfehler erwähnt Thomas Ostwald ebenfalls -, sondern auch aus „Die geheimnisvolle Insel“ auftreten, begnügt sich der Autor nicht mit einer klassischen Fortsetzung, sondern begeht wahrscheinlich überambtioniert einen für reine Jules Verne Anhänger ketzerischen Strukturfehler. In „Old Shatterhand“ wie den vorangegangenen Romanen Karl Mays erwartet jeder, dass diese so einzigartige, wie auch die Realität in Karl Mays Leben verzerrende Symbiose zwischen den fiktiven Figuren Old Shatterhand/ Kara Ben Nemsi und dem in Sachsen lebenden Autoren in den neuen Abenteuern fortgeführt wird. Old Shatterhand nennt sich auch an einer wichtigen Stelle des Auftaktbuches Karl May.Bei Jules Verne erwartet man es nicht. Vor allem weil Thomas Ostwald impliziert, dass Ned Land der Erzähler/ Chronist dieser neuen Abenteuer ist. Thomas Ostwald fügt Jules Verne als lebenden Charakter in die Handlung ein. Lange Zeit ist der Leser der Meinung, dass Jules Verne mit seinem technologischen Halbwissen die Abenteuerberichte anderer Menschen aufgenommen und schließlich zu den bekannten fiktiven Reiseromanen geformt hat. Anscheinend ist Cyrus Smith seine Quelle gewesen. Auf den letzten Seiten überrascht Thomas Ostwald die Leser, in dem er aus Jules Verne keinen entfernten Chronisten macht, sondern durch die Aufdeckung seines Alter Egos einen aktiven Teilnehmer der Reisen in „20.000 Meilen unter den Meeren“. Dabei verbirgt sich Jules Verne natürlich nicht hinter einer unscheinbaren Gestalt, sondern da nur wenige Personen von Kapitän Nemo in dem ersten Buch gerettet worden sind, muss es sich um eine weltbekannte Persönlichkeit handeln. Und hier gehen die Probleme los. Jules Verne ist ein sehr bekannter Schriftsteller gewesen, sein Alter Ego ist auf einem anderen Gebiet bekannt. Ist niemanden über einem Zeitraum von immerhin mindestens fünfzehn Jahren – so lange hat Jules Verne schon Romane geschrieben – aufgefallen, dass diese beiden Menschen ein und dieselbe Persönlichkeit sein sollen? Das wirkt unglaubwürdig. Vor allem weil Thomas Ostwald unnötig den Autoren in einen im Grunde perfekten Abenteuerroman platziert. Zudem reisst er die Anhänger der Originale aus ihren Vorstellungen, um die fiktiven Stoffe unnötig zu eng mit der „Realität“ des 19. Jahrhunderts verbinden. Spannungstechnisch ist diese Vorgehensweise unnötig, zumal angeblich auch noch ein Verbrechen zu Beginn des Romans für Aufruhr sorgt und der Diebstahl einer Karte plötzlich auf den letzten Seiten durch schriftstellerische Freiheit wieder negiert wird. Thomas Ostwald agiert in diesem Buch überambitioniert und versucht seinen geradlinigen, grundlegend nicht einmal schlechten Stoff zu sehr in einen semirealistischen Kontext zu bringen. Das Werk Jules Vernes ist so phantasievoll, so vielschichtig und aus heutiger Sicht auch ein wenig exotisch, dass diese für Karl May so typische Verbindung Schriftsteller/ Protagonist aufgesetzt ist und vor allem störend erscheint. Es ist die größte Schwäche des vorliegenden Buches und Thomas Ostwald sollte sich überlegen, ob er diese Art der Verbindung mit einem literarischen Kniff wieder auflösen kann.
Die Grundidee des Romans ist aber positiv gesprochen in typischer Jules Verne Tradition angelegt. Auf der einen Handlungsebene erfährt der Leser, dass Robur mit seinen technischen Ideen den Durchbruch hinsichtlich der Befreiung der NAUTILUS geschafft hat. Dazu kommt später noch eine Miniversuch mit seiner Flugmaschine. Gegen alle internationale Verträge hat die New York Times eine Belohnung von einer Millionen Dollar – für die damalige Zeit eine unglaubliche Summe, die wie bei Robert Kraft oder später gerne auch Hans Dominik verschiedene Parteien zu einem Wettrennen anstachelt – für denjenigen ausgesetzt, der zuerst die amerikanische Flagge auf Nemos Insel hisst und einen entsprechenden Beweis liefert. Auf der einen Handlungsebene erfährt der Leser vom Auslaufen des Schnelldampfers Albatros, der neben Jules Verne auch die Tochter des Ingenieurs Cyrus Smith an Bord hat. Cyrus Smith selbst ist vom wahnsinnig gewordenen Kapitän Thomas Blunt an Bord der Seahunter entführt und zur Insel gebracht worden. Smith soll durch seine Erinnerungen an den Aufenthalt auf der Insel die verschiedenen Sperren durchbrechen helfen und schließlich Blunt zu Nemo führen, damit dieser Rache nehmen kann. Blunt entspricht eher Melvilles Ahab. Besessen nicht mehr von einem weißen Wal, sondern der NAUTILUS und vor allem Nemo, an dem er Rache nehmen will.
Auftauchtechnisch agiert Thomas Ostwald routiniert und folgt in einigen Punkten auch seinem Vorbild Jules Verne. Insbesondere in einigen seiner späteren Arbeiten hat der Franzose immer wieder gerne den stringenten Handlungsaufbau unterbrochen und längere Rückblicke eingeführt, um nicht nur verschiedene Charaktere zu den relevanten Orten des Geschehens zu führen, sondern vor allem auch immer wieder Hintergrundinformationen sachlich ausführlich, schriftstellerisch teilweise belehrend auszuführen. Im Mittelpunkt dieses Buches steht aber die „Auseinandersetzung“ um die Insel Lincoln. Nemo agiert in erster Linie defensiv, wobei er einen zu gemäßigt beschriebenen Robur nicht einmal im Zaun halten muss. Blunt ist der Aggressor, der um jeden Preis den Kopf Nemos fordert. Dabei geht Blunt rücksichtslos über Leichen, während Nemo eher als geschickt bluffender – in der Szene mit dem kranken Seemann – bzw. erstaunlich gemäßigter indischer Prinz agiert. Die Sympathien sind klar verteilt.
Durch die verschiedenen in diesem ersten Band zusammengeführten Handlungsebenen leidet die Charakterisierung der einzelnen Protagonisten. Thomas Ostwald versucht zu viel auf einmal in den durch die Rückblicke, durch die teilweise ein wenig hektisch gewechselten Handlungsorte überfrachteten Buch abzudecken. Der Autor hat noch nicht einmal die Zeit, die technischen Wunderwerke wie den neuen Helikopter, die „auferstandene“ NAUTILUS und schließlich auch den Projektor ausführlich vorzustellen. Er geht im Vergleich zu Jules Verne oder Robert Kraft nicht in die Tiefe. Dazu reicht der Raum nicht.
Positiv dagegen deckt der Autor auch ein sehr breites Spektrum an. Mit der Jagd nach der Million und damit der Verletzung von Nemos Isolation verfügt nicht nur der vorliegende Roman über einen sehr guten Auftakt, der durch Nemos Reaktionen aber in den Fortsetzungen nicht weiter ausgebaut werden kann. Es ist schade, dass Thomas Ostwald am Ende die Auseinandersetzung zwischen Blunt und Nemo hektisch und zu einfach abschließt. Auch wenn Blunt offensichtlich verrückt geworden ist, verfügt diese Figur über weiteres Potential, während die anderen Antagonisten eher eindimensional und stellenweise wie Klischees entwickelt worden sind. Das offene Ende mit einem Paukenschlag verspricht bis auf die eingangs erwähnte EinschränkungSpannung.
Stilistisch kann Thomas Ostwald nicht positiv gesprochen imitieren. Der Stil wirkt im direkten Vergleich zu Jules Verne einfacher und vorsichtig modernisiert. In einigen eng an die Originale angelegten Szenen erreicht er aber das Flair von Jules Vernes phantasiereichen technischen Abenteuerromanen. Bis auf den unglücklichen Titel – nur Blunt will Nemo töten, die anderen wollen die Insel annektieren – und die zu enge Symbiose zwischen Jules Verne und einem der interessanten Charaktere aus „20.000 Meilen unter den Meeren“ ist beginnend mit Mark Freiers stimmungsvollen Titelbild der erste Band der neuen Abenteuer Kapitän Nemos ein solider Auftakt, der für die Fortsetzungen über viel Potential verfügt
Blitz Verlag, 160 Seiten
direkt beim Verlag zu bestellen
Taschenbuch
Quelle: http://www.robots-and-dragons.de/buchecke/12327…d-1-toetet-nemo
Oh, sehr interessante Rezension!!! Danke. Jetzt möchte ich das Buch zum zweiten mal lesen;)