Inga on Tour: Von Fish and Chips in Silverstone...

  • von Inga Stracke
    08. Juni 2006 - 15:19 Uhr

    'F1Total.com'-Reporterin Inga Stracke berichtet vom speziellen Flair des Motorsports in und um Silverstone und weiht in englische Traditionen ein


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    (F1Total.com) - Hallo, liebe Formel-1-Fans! Die Fish und Chips erwarten uns - auf geht's, zum traditionsreichsten Grand Prix, zu den wahren Gentlemen des Motorsports, nach Silverstone, einem kleinen Ort in der Grafschaft Northamptonshire, etwa 150 Kilometer nördlich von London in der Hügellandschaft von Northants, acht Kilometer von Towcester und etwa neun Kilometer von Buckingham und Brackley entfernt.


    Silverstone ist der älteste Formel-1-Kurs, 1950 wurde hier der erste Grand Prix überhaupt gefahren. Nach den Unfällen von Imola 1994 wurde er umgebaut und ist damit sicherer geworden, aber auch langsamer. Das erste aber, was hier auffällt, sind die kilometerlangen Staus rund um die Rennstrecke - und man könnte fast meinen, dass seit den Tagen des ersten Grand Prix' die Zufahrtstraßen nicht verbreitert wurden! Geduldig - und Warten gewöhnt - reihen sich die Briten in die Staus ein; zehn Kilometer in drei Stunden ist schon schnell, auch wenn die neue Umgehungsstraße einiges gebracht hat.

    WM-Fieber: Formel 1 beugt sich König Fußball


    Dieses Jahr beugt sich die Formel 1 sogar König Fußball. Die Qualifikation beginnt bereits um 13:30 statt 14:00 Uhr, damit sie um 15:00 Uhr deutscher Zeit vorbei ist, wenn in Frankfurt Anpfiff zum Spiel England gegen Paraguay ist. Ich bin mal gespannt, in wie vielen Formel-1-Boxen Fußball laufen wird und wo wir am Freitagabend das Spiel unserer Elf gegen Costa Rica anschauen können! Auch der Grand Prix wird eine Stunde früher als sonst gestartet, immerhin spielt um 15:00 Uhr Serbien-Montenegro gegen die Niederlande. Da wollen Robert Dornboos und Christian Albers sicher lieber vor dem Fernseher als im Auto sitzen...


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    Höhepunkt des Silverstone-Wochenendes war jahrelang nicht nur das Rennen, sondern die von Jordan-Chef Eddie Jordan veranstaltete Party danach im Fahrerlager. Prominente Gäste gaben beim Open-Air-Konzert auf der Bühne ein Gastspiel. Neben den meisten Formel-1-Piloten, die sich im Singen, Tamburinspielen und Tanzen versuchten, waren traditionell Jordan selbst an den Drums, Chris Rea und Pink-Floyd-Schlagzeuger Nick Mason mit dabei. Heute wird meist ein Open Air auf oder in der Nähe des Streckengeländes veranstaltet, das nicht nur der Musik wegen stark besucht wird: Stunden nach dem Rennen ist noch immer riesiger Stau rund um Silverstone, und an Wegfahren sowieso nicht zu denken...


    Hotels oder offizielle Bed & Breakfasts gibt es in Streckennähe nicht viele, die meisten Teams wohnen in Northhampton oder Oxford; viele können auch zu Hause schlafen, denn für Renault, McLaren-Mercedes, Williams, Honda, Red Bull Racing, MF1 Racing und Super Aguri ist dies der Heim-Grand Prix. Ich wohne seit Jahren direkt in Silverstone in einem kleinen privaten Bed and Breakfast bei Paul und Heather - ein Geheimtipp, nur fünf Minuten vom Fahrerlager entfernt. Wenn kein Stau ist!

    Wohliger Duft durch Heathers englischen Kuchen...


    Jeden Morgen wacht man auf und riecht den köstlichsten Backstubenduft. Heather bäckt jedes Wochenende 20 bis 40 Kuchen und Torten, die sie dann auf dem Markt im Nachbarort verkauft. Wenn mal einer auseinander bricht oder leicht verbrennt, dürfen wir auch mal probieren, doch das passiert so gut wie nie. Und so gehe ich dort jeden Morgen an den köstlichsten Kuchen vorbei, um mit knurrendem Magen Richtung Fahrerlager zu düsen. Dort gibt es dann ja auch was zu essen.


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    Zum Abendessen kann man in Silverstone in einen der zwei Pubs gehen, oder aber auf dem Jahrmarkt dem Haupteingang der Rennstrecke gegenüber. Dort gibt es - oh Wunder! - Fish and Chips. Traditionell aus Zeitungspapier. Wenn man will, auch noch mit dem - ebenso traditionell englischen - Erbsenpüree. Kinderkarussell, Preisschießen, Bunjeeball, Zuckerwatte und Ringewerfen - alles wie auf einem normalen Jahrmarkt eben. Doch das Besondere: Einige Stände sind wahre Schatzgruben. Hier kann man Formel-1- und Motorsportbücher finden, die wahre Raritäten sind. Fotos aus Jahrzehnten Formel 1, teilweise mit vergilbten Autogrammen längst begrabener Rennstars. Da merkt man eben: Hier ist Motorsportgeschichte immer noch lebendig.


    Interessant und typisch englisch auch noch etwas anderes: Selbst nach übermäßigem Guinness-Genuss bleibt der englische Motorsportfan höflich; rempelt er einen an, weil er eben nicht mehr gerade gehen kann, entschuldigt er sich vielmals im höflichsten Englisch und wankt weiter.

    Für Silverstone immer die Regenjacke einpacken!


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    Ich hoffe ja sehr, dass das Wetter sich etwas freundlicher erweist als es zurzeit hier bei uns ist. Regen bei sieben Grad am Mittag und das im Juni - das geht ja eigentlich gar nicht. Naja, das sind normalerweise eben Silverstone-Bedingungen. Rollkragenpulli und Regenjacke sind eingepackt, die wasserfesten Schuhe auch. Vor einigen Jahren (2000) haben aber auch die nichts genützt: Da hat es in Silverstone so stark geregnet, dass alle Wiesen unter Wasser standen und wir auf dem Presseparkplatz beim Aussteigen erst mal knöcheltief im Schlamm versanken. Die Engländer schien das eher weniger zu schockieren: Sie zogen ihre Wohnwagen mit Traktoren durch den Schlamm, bauten die Vorzelte auf Holzplanken auf und campierten wie eh und je am Grand-Prix-Wochenende rund um die Strecke. Zum Aufwärmen gab es dann eben warmes Bier oder einen ordentlichen Schuss Rum in den Tee...


    Aufwärmen musste sich der verrückte irische Priester Cornelius Horan 2003 nach dem Rennen im Gefängnis: Er hatte - leicht bekleidet - das Rennen gestört, llief mit Transparenten über die Strecke und hätte fast einen Unfall verursacht. Die Polizei nahm ihn in Gewahrsam. Dort hätten sie ihn mal behalten sollen, denn ein Jahr später war er schon wieder zu sehen, als er bei den Olympischen Spielen in Athen den Marathonlauf störte und dem führenden Läufer in die Quere kam.


    Der erste Formel-1-Grand-Prix wurde zwar 1906 in Frankreich gefahren, aber der erste WM-Lauf fand 1950 in England statt; dort wurden die ersten WM-Punkte vergeben. Bis 1987 wechselte sich Silverstone erst mit Aintree und dann mit Brands Hatch ab.

    Silverstone wird vom 'BRDC' betrieben


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    1926 wurde der erste Grand Prix von Großbritannien auf dem Kurs von Brooklands ausgetragen. Donington veranstaltete zwischen 1935 und 1938 seinen eigenen Grand Prix, aber Silverstone in Northamptonshire unterschrieb die Exklusivrechte. Silverstone ist im Besitz und wird betrieben vom 'British Racing Drivers Club' und ist seit 1987 ständiger Austragungsort des Grand Prix' von Großbritannien.


    Als die Strecke 1948 eröffnet wurde, wurden die Start- und Landebahnen sowie Verbindungsstraßen des alten Kriegsflughafens benutzt. Sie war einstmals schnellster Kurs der Welt. Seitdem wurde sie ständig verbessert, um den Ansprüchen der Fahrer und des Reglements gerecht zu werden. Einige Kurven wurden umgebaut, um die Sicherheit zu erhöhen und die Rennen für die Zuschauer noch attraktiver zu machen.


    Eine anspruchsvolle Strecke mit einmaliger Kurvenmischung aus schnell und langsam - verlangt viel Power und eine optimale Fahrzeugabstimmung. Schlüsselstelle ist die Club-Kurve: Am Anfang ist sie eng, zum Ausgang geht sie weit auf. Für die Teams ist die richtige aerodynamische Abstimmung DIE Herausforderung: Zum einen muss für die schnellen Kurven möglichst viel Grip aufgebaut werden, zum anderen verlangen Passagen wie Hangar-Straight möglichst flache Flügel. Silverstone ist eine Rennstrecke mit mittlerem bis hohem Abtrieb und besitzt eine ähnliche Streckenoberfläche wie Barcelona.

    Herausforderung Copse wegen neuer V8-Motoren


    Die Copse ist schneller als man denkt: kurz lupfen und dann gleich wieder aufs Gas - und mit den V8-Motoren zum Teil sogar voll. Dadurch, dass die Fahrzeugstabilität bei hoher Geschwindigkeit hier so wichtig ist, ist es nicht leicht, das richtige Setup für das Auto zu finden. Im Prinzip sucht man ein Setup, mit dem das Fahrzeug bei hoher Geschwindigkeit ohne Probleme durch die schnellen Kurvenkombinationen fahren kann. Untersteuern ist dabei Gift. Gleichzeitig braucht man gute Traktion und mechanischen Grip für die langsamen Kurven im Infield, wie der Abbey-, Luffield- und Priory-Kurve, sowie den ersten Teil von Woodcote.


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    Das Rennen wird über eine Distanz von 308,355 Kilometer (60 Runden) ausgetragen. Der Start findet aus der Woodcote-Kurve heraus statt - damit ist es der einzige Kurvenstart der Formel 1. Bei keinem anderen Grand Prix sind so viele äußerst fachkundige Besucher, schließlich hat Motorsport in England Tradition. Jim Clark gewann auf Lotus in den 60er Jahren fünf der Rennen, vier davon in Serie. Ebenfalls fünfmal siegte Alain Prost, während Nigel Mansell seinen Heim-Grand-Prix viermal gewinnen konnte, einmal allerdings in Brands Hatch.


    So, jetzt schauen wir aber nach vorne, auf geht's in den englischen Sommerregen zu einem hoffentlich spannenden Rennen!


    Eure Inga Stracke von der Strecke!