"Grass soll Literatur- Nobelpreis zurückgeben"

  • 14. August 2006



    Grass soll Literatur- Nobelpreis zurückgeben
    Das Geständnis von Günter Grass, als junger Mann der Waffen-SS angehört zu haben, sorgt weiter für eine kontroverse Debatte. Der CDU-Kulturexperte Wolfgang Börnsen forderte in der "Bild"-Zeitung, Grass solle seinen Literatur-Nobelpreis zurück geben. "Günter Grass hat sein Leben lang moralische Ansprüche vor allem an Politiker gestellt. Diese Ansprüche sollte er jetzt auch an sich selbst stellen und alle Ehrungen, die er erhalten hat, honorigerweise zurückgeben - auch den Nobelpreis."


    Der polnische Ex-Präsident und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa forderte Grass (78) in der "Bild" zur Rückgabe seiner Ehrenbürgerschaft der Stadt Danzig auf.


    Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse äußerte indes Verständnis für das späte Bekenntnis. "Wer als 17-Jähriger talentiert und sensibel ist, obendrein von zu Hause weg will, der ist sehr leicht für alles Mögliche verführbar", sagte Menasse der Wiener Zeitung "Der Standard" vom Montag. "Grass' Begründung, die Scham hätte ihn von einem früheren Bekenntnis abgehalten, erscheint mir glaubwürdig und nachvollziehbar. Das kann man doch bewundern: Dass ein alter Mann sagt: Ich habe einen Fehler gemacht."


    "Grass' Mitgliedschaft bei der Waffen-SS wäre doch nur dann unentschuldbar, wenn er später starrsinnig darauf bestanden hätte, das Richtige getan zu haben. Wenn er, mit einem Wort, in dem Geist von damals weitergelebt hätte", meinte der jüdische Autor. Grass hatte seine kurze Zugehörigkeit zur Waffen-SS Ende der vergangenen Woche in einem Interview bekannt gemacht.


    (N24.de, Netzeitung)


    http://www.n24.de/politik/inla….php/n2006081410201800002

  • Der frühere polnische Präsident und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa hat Günter Grass zur Rückgabe seiner Ehrenbürgerschaft der Stadt Danzig aufgefordert.


    Walesa, der selbst Ehrenbürger von Danzig ist, sagte der "Bild"-Zeitung zur Enthüllung der Waffen-SS-Vergangenheit des Schriftstellers: "Es ist eine unangenehme Situation entstanden. Ich fühle mich in dieser Gesellschaft nicht wohl."


    Der Pole fügte hinzu: "Ich weiß nicht, ob man nicht überlegen sollte, ihm diesen Titel abzuerkennen. Wenn bekannt gewesen wäre, dass er in der SS war, hätte er die Auszeichnung nicht bekommen." Walesa meinte, das Beste wäre, wenn Grass selbst auf die Ehrenbürgerschaft verzichten würde.


    (N24.de, Netzeitung)


    http://www.n24.de/politik/ausland/?n2006081320282300002

  • Montag, 14. August 2006
    "Beim Häuten der Zwiebel"
    Grass über Grass


    Der Präsident der Schriftstellervereinigung PEN-Zentrum Deutschland, Johano Strasser, hat Literatur-Nobelpreisträger Günter Grass in der Diskussion um dessen Mitgliedschaft bei der Waffen-SS in Schutz genommen. Im Bayerischen Rundfunk sagte Strasser am Montag, er halte die teilweise heftige Kritik an Grass für "fürchterlich überzogen". Viele seiner jetzigen Kritiker wollten Grass offenbar "etwas heimzahlen", sagte Strasser. Grass sei keineswegs "nur mit dem großen Zeigefinger durch die Welt gegangen". Seine Vergangenheit habe Grass nie verheimlicht.

    "Er hat immer deutlich gemacht, dass er ein überzeugter Nazi war als junger Mann", sagte Strasser. Unbekannt gewesen sei bislang "nur dieser eine Punkt" von Grass' Mitgliedschaft bei der Waffen-SS als 17-Jähriger. Verwundert zeigte sich der PEN-Präsident, dass Grass das Bekenntnis nun in hohem Alter nachgeholt habe. Als moralische Autorität sei Grass dadurch aber nicht beschädigt. Der jetzt bekannt gewordene Punkt der Grass-Biografie sei "ein kleiner Kratzer, der ihn möglicherweise sogar menschlicher macht".

    Grass: "Man will mich zur Unperson machen"


    Grass selbst hat das Medienecho als persönlich verletzend kritisiert. "Sicher ist es auch der Versuch von einigen, mich zur Unperson zu machen", sagte der Literatur-Nobelpreisträger (78) am Montag in einem dpa-Gespräch. "Deshalb bin ich dankbar, dass es differenzierende Gegenstimmen gibt. Ich kann nur hoffen, dass einige Kommentatoren jetzt mein Buch genau lesen." In seiner am 1. September erscheinenden Kindheits- und Jugend-Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel" berichtet Grass unter anderem erstmals über seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS.

    "Deutlicher, genauer aus meiner Erinnerung habe ich nicht ausdrücken können, wie ich mich im Alter von 16/17 Jahren verhalten habe. Und dass ich diesen Makel, und ich habe das als Makel empfunden, über 60 Jahre lang zu spüren hatte und versucht habe, daraus meine Konsequenzen zu ziehen. Dem entsprach mein späteres Verhalten als Schriftsteller und als Bürger", sagte Grass.

    Zu einzelnen Stimmen, er habe jede Glaubwürdigkeit als moralische Instanz verloren und solle die Ehrenbürgerschaft seiner Heimatstadt Danzig und den Nobelpreis zurückgeben, wollte Grass sich nicht äußern. "Ich komme dann nicht mehr aus dem Kommentieren heraus."

    Der Schriftsteller betonte erneut, in der Zeit nach seiner Vereidigung Ende Februar 1945 bis zu seiner Verwundung am 20. April 1945 keinen Schuss abgegeben zu haben. Er sei auch an keinem Verbrechen beteiligt gewesen.

    Auf die Frage, warum er dennoch so lange geschwiegen habe, sagte Grass: "Erst als ich mich entschlossen habe, über meine jungen Jahre zu schreiben, was mir als jungem Mann widerfahren ist, fand ich diese literarische Form. Sie ermöglichte es mir, endlich auch über die Mitgliedschaft in der Waffen-SS zu schreiben und zu sprechen." In der Summe sei für das Buch aber nicht das Thema Waffen-SS entscheidend, sondern das quälende Hinterfragen seiner Naivität als Jugendlicher in der NS-Zeit: "Wie konnte ich so blauäugig dieser Ideologie hinterherlaufen? Warum habe ich keine Fragen gestellt, als mein polnischer Onkel nach der Erstürmung der polnischen Post 1939 in Danzig standrechtlich erschossen wurde. Warum habe ich nicht nachgefragt, als mein Lateinlehrer, der Zweifel am Endsieg äußerte, auf einmal verschwunden war?"

    Geschichte interpretieren

    Nach Ansicht des Historikers Arnulf Baring kann die Debatte um den Fall Grass zu einem "gelassenen und damit gerechteren Urteil über die Verstrickung vieler Deutscher in den Nationalsozialismus führen". Das Bild des Dritten Reiches müsse in dem Sinne zurechtgerückt werden, "als man die damaligen Sichtweisen, die damaligen Möglichkeiten stärker berücksichtigen muss. Nicht jeder, der in der NSDAP oder gar der Waffen-SS war, muss deshalb verbrecherische Ziele verfolgt haben." Auch der Jenaer Historiker Norbert Frei bezeichnete die Mitgliedschaft Grass' in der Waffen-SS als "keine große Sache". Die Waffen-SS des Jahres 1944 sei keine Eliteformation mehr gewesen, sagte der Professor für Neuere und Neueste Geschichte am Montag im Deutschlandradio Kultur.

    Konservative ohne Verständnis


    CDU-Kulturexperte Wolfgang Börnsen forderte in der "Bild"-Zeitung, Grass solle seinen Literatur-Nobelpreis zurückgeben. Polens regierende polnische Partei "Gesetz und Gerechtigkeit" (PiS) verlangte von Grass die Rückgabe seiner Ehrenbürgerschaft der Stadt Danzig. Kein Mitglied der Waffen-SS könne Ehrenbürger einer polnischen Stadt werden, ganz besonders nicht von Danzig, sagte das polnische Parlamentsmitglied Jacek Kurski am Montag. Er habe großen Respekt vor Grass' literarischem Werk und seiner Rolle bei der deutsch-polnischen Versöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Falls Grass jedoch seine Ehrenbürgerschaft nicht freiwillig zurückgebe, werde er sich veranlasst sehen, ihn formell dazu aufzufordern, sagte Kurski.

    Grass in der FAZ

    Der mittlerweile 78-jährige Grass hatte in einem Interview der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" eingeräumt, dass er gegen Ende des Zweiten Weltkrieges Mitglied der Waffen-SS war. Mit 15 habe er sich als Hitlerjunge freiwillig zur U-Boot-Truppe gemeldet, mit 17 sei er einberufen worden und vom Arbeitsdienst zur Division "Frundsberg" gekommen, die zur Waffen-SS gehört. "So ging es vielen meines Jahrgangs: Wir waren im Arbeitsdienst, und auf einmal, ein Jahr später, lag der Einberufungsbefehl auf dem Tisch", sagte Grass.

    Grass kam 1927 in Danzig zur Welt und wurde 1959 mit dem Roman "Die Blechtrommel" weltberühmt. Er gilt als einer der bedeutendsten Nachkriegsautoren und wurde zur Ikone der Linken. In Wahlkämpfen unterstützte er häufig die SPD. 1999 wurde Grass mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.

    Die SS (Schutzstaffel) war eine paramilitärische Organisation der NSDAP, die sich als Elite betrachtete und eine besonders extreme Rassenideologie vertrat. Die SS organisierte unter anderem den systematischen Massenmord an den Juden in den Konzentrationslagern. Die Waffen-SS war der Kampfverband der SS.


    http://www.n-tv.de/699618.html