Vettel: "Die Bestzeit ist nicht das, was wirklich zählt"

  • 25. August 2006 - 18:02 Uhr

    Der dritte Fahrer des BMW Sauber F1 Teams nach seinem überzeugenden Debüt im Freien Training in Istanbul im ausführlichen Interview


    (F1Total.com) - Frage: "Du musstest ja heute zu allem Überfluss nach deinem Debüt auch noch zur Doping-Kontrolle - hat das angesichts der Aufregung überhaupt reibungslos geklappt?"
    Sebastian Vettel: "Das hat gut funktioniert mit der Doping-Kontrolle. Ich hatte ja auch schon in der Formel 3 öfters Doping-Kontrollen über mich ergehen lassen müssen. Da hatte ich nie Probleme, wenn da einer dabei steht, dass da praktisch nichts rauskam - das war nicht der Fall.


    Frage: "Wie lief es heute für dich im Training?"
    Vettel: "Gut. Dass es am Ende so aussieht, überrascht mich selbst natürlich auch. Ich hatte natürlich keine Erwartungshaltung. Ich bin mehr oder weniger auf gut Glück hierher gekommen, um zu fahren. Es ist natürlich Spitze, wenn es dann so aussieht."


    "Aber wie gesagt, ich habe zuvor nicht viel Erfahrung mit dem Auto sammeln können. Als ich im zweiten Training wieder eingestiegen bin, habe ich mich sofort wohler gefühlt. Jede Runde hat mir im Prinzip mehr gebracht, mehr Vertrauen geschenkt. Es lief dann zum Schluss schon sehr gut."


    Frage: "Wie lange hat es denn gedauert, bis du am Limit warst?"
    Vettel: "Schon ein bisschen. Ich bin in der Zwischenzeit ja auch mit anderen Autos gefahren, von daher ist es schon etwas schwer, sich umzustellen. Aber ich muss sagen, dass es ziemlich schnell gegangen ist. Schon nach der ersten Ausfahrt habe ich mich im Auto ziemlich wohl gefühlt, es ging dann von Runde zu Runde immer besser. Man lotet dann das Limit aus, dann steht das Auto auch einmal quer, aber man bleibt dennoch auf dem Gas. Das kommt mit der Zeit."


    Frage: "Hast du auch schon etwas am Setup verändern lassen?"
    Vettel: "Ja, ich bin ja heute ziemlich viel gefahren, was ja auch meine Aufgabe am Freitag ist. Natürlich versucht man dabei auch, das Auto nach vorne zu bringen, sodass es den anderen für den Rest des Wochenendes eine Hilfe ist. Wir haben schon einige Sachen verändert."


    Frage: "Wie stotterte man vom Taschengeld 1.000 Dollar Strafe ab?"
    Vettel: "Ja, darüber habe ich mir schon Gedanken gemacht. 1.000 Dollar ist eine witzige Zahl, denn im vergangenen Jahr war ich in Macao Dritter, da gab es 2.000 Dollar Preisgeld, die Hälfte durfte ich behalten und die habe ich immer noch zuhause liegen. So gesehen haben die jetzt einen Verwendungszweck gefunden. Natürlich hätte ich die lieber für irgendetwas ausgegeben, weswegen ich mich nun darüber ein wenig ärgere"


    Frage: "Wieso musst du die Strafe bezahlen?"
    Vettel: "Ich denke, dass es eine Fahrersache ist, denn es war ja auch meine Schuld. Ich habe den Geschwindigkeitsbegrenzer für die Boxengasse nicht eingeschaltet. Dass ich schon nach neun Sekunden eine Strafe bekommen habe, ist vielleicht ein neuer Rekord, aber ein teurer."


    Frage: "Wie war es nun für dich, die ganzen Abläufe eines normalen Rennwochenendes hier zum ersten Mal zu absolvieren?"
    Vettel: "Ach das ist ziemlich ähnlich, selbst zur Kartzeit bist du nach einer Ausfahrt zu deinem Vater gelaufen und hast dich darüber beschwert, dass das Kart gerutscht ist. Da wächst man von klein auf rein."


    "Die Arbeit ist sehr ähnlich wie in der Formel 3, man gibt all das wieder, was einem einfällt und was man fühlt. Man muss das aber natürlich irgendwie so bündeln, dass der Ingenieur auch etwas damit anfangen kann. Man muss das schon filtern, ist das aber gewohnt, denn man wächst damit auf. Das war jetzt nicht wirklich etwas Neues. Natürlich ist in der Formel 1 aber alles ein wenig größer, schneller und ausgedehnter."


    Frage: "Kann man als Neuling schon spüren, wie sich ein Auto wirklich anzufühlen hat?"
    Vettel: "Ja, man durchläuft ja verschiedene Formel-Klassen und bekommt dort ein Gefühl für Über- und Untersteuern und so weiter. Man hat ja auch in den anderen Serien ein wenig mit Traktion zu tun. Hier gibt es natürlich die Traktionskontrolle, man hat viel mehr Auswahl, was man als Fahrer verändert haben möchte. Das muss man dann erst einmal lernen, wie sich so etwas anfühlt, ist dann schon neu. Aber ich sage es einmal so, die grundsätzlichen Dinge hat man von vorneherein drin."


    Frage: "Ist ein Formel-1-Auto durch die Traktionskontrolle leichter zu fahren?"
    Vettel: "Ja, in gewisser Hinsicht schon, man kann unbesorgter aufs Gas treten. Man macht sich diesbezüglich auch keine Gedanken mehr, denn wenn die Reifen durchdrehen würden, setzt die Traktionskontrolle ein. In anderen Autos hat man da vor allem im Regen Probleme, muss mit dem Gasfuß sensibler umgehen."


    Frage: "Bist du auch einmal von der Strecke abgekommen?"
    Vettel: "Ja, ich war zweimal ein bisschen daneben. Ich bin einmal über diesen Sicherheitsteppich hinter dem Randstein gefahren, wenn man diese Möglichkeit hat, macht man natürlich die Lenkung auf. Früher war das ein wenig schwieriger, wenn danach direkt das Kiesbett gekommen ist. Aber in der heutigen Zeit kann man dem Auto Platz geben und dadurch einen Dreher oder einen Einschlag vermeiden. Ich war einfach ein bisschen zu schnell und bin dadurch zu weit rausgekommen."


    Frage: "Erwartest du nach der Leistung heute auch in Monza im Auto zu sitzen?"
    Vettel: "Das muss man sehen. Ich meine, es kommt nicht allein auf die schnellste Zeit an. Es ist auch wichtig, was man für Aussagen trifft. Ich sage das, was mir einfällt und versuche das zu sagen, was ich fühle. Ob das dann für die Ingenieure von Wert ist, das müssen diese entscheiden."


    "Ganz vorne zu stehen ist natürlich schön, aber aus der Sicht des Teams ist es viel wichtiger, Informationen zu erhalten, mit denen sie dann auch etwas anfangen können. Ich denke schon, dass das Feedback gut war, es wurde eher auf meine Schulter geklopft. Das macht einen selbst natürlich stolz und zufrieden."


    Frage: "Was macht dein Finger, wie war das heute beim Fahren?"
    Vettel: "Beim Fahren war das kein Problem, ich habe ihn nur beim Hochschalten bemerkt, weil er sich noch etwas seltsam, taub an fühlt. Aber Schmerzen habe ich keine mehr, es sollte auch soweit vom Knochen her verheilt sein. Es ist ja mittlerweile auch schon vier Wochen her."


    Frage: "Hat dir dein Nacken Probleme bereitet?"
    Vettel: "Er ist schon etwas länger geworden, ich habe schon im ersten Training etwas gemerkt, so ist es nicht. Ich glaube, dass es in der achten Kurve für alle schwierig ist, den Kopf aufrecht zu halten. Ich habe ihn dort angelegt. Auch auf der Bremse habe ich ihn gespürt, denn die Verzögerungsleistung eines Formel-1-Autos ist schon enorm. Aber es ist ganz okay, ich denke, dass ich meinen Kopf für den Rest des Tages noch aufrecht halten kann."


    Frage: "Kam ein Fahrer-Kollege zu dir und hat gesagt, dass du das gut gemacht hast?"
    Vettel: "Ja. Der Nick hat gemeint, dass es soweit gut war."


    Frage: "Welches Gefühl hattest du heute mit dem Wissen, dass du nun dazu gehörst?"
    Vettel: "Es war schon etwas Neues. Es ist ja ein riesiger Zirkus, das habe ich vor allem gemerkt, als ich aus dem Auto gestiegen und zurück zur Box gelaufen bin. Es liefen ständig drei oder vier Leute mit der Kamera vor mir her. Das ist schon etwas ungewohnt, denn wenn etwas vor einem ist, dann möchte man um es herumlaufen, ständig gegen diese Wand anzugehen, ist etwas komisch."


    "Aber abgesehen davon - ich bin ganz normal angereist, habe meinen Weg zum Hotel gefunden und bin einen Tag später zur Rennstrecke gefahren. Ich bin meinen Job genauso angegangen, wie ich auch in der Formel 3 ein Rennen angehe."


    Frage: "Hattest du dir auf dem Weg zur Rennstrecke oder auf der Rennstrecke an sich mehr Sorgen gemacht?"
    Vettel: "Nun, ich habe dem Taxifahrer einfach einen Zettel hingelegt, wo ich hinfahren möchte, er ist dann gefahren. Aber ich habe mir da schon mehr Sorgen gemacht, denn auf der Rennstrecke weiß ich schon, wo ich entlangfahren muss. Von der Vorbereitung weiß ich, wo es links und wo es recht entlang geht. Was man nicht mitbekommt ist die Steigung, das ist schon enorm.


    Frage: "Hattest du heute auch eine Art Duell?"
    Vettel: "Ja, ich hatte Coulthard einmal vor mir. Ich kam ihm näher und dachte, dass er Platz macht, was er nicht gemacht hat. Einmal war ich ihm so nahe, dass ich ihn hätte ausbremsen können. Ich bin dann aber doch vom Gas gegangen, da ich nicht riskieren wollte, dass ich unnötiger Weise mit ihm zusammen stoße. Das ist glaube ich das Blödeste, was einem in diesem Moment passieren kann."


    "Er hielt dann doch irgendwo dagegen, hat sich sogar ein bisschen verbremst. Er war also wohl auch ein wenig am Limit. Ich habe dann etwas Abstand genommen und hatte dann wieder zwei freie Runden."


    "Aber heute musste ich schon in den Rückspiegel schauen, vor allem am Anfang, sodass ich keinem im Wege stehe. Auf der einen Seite bin ich natürlich froh, dass ich die Superlizenz erhalten habe, aber auf der anderen Seite muss man dann glaube ich schon schauen, dass man den anderen nicht im Weg steht."


    Frage: "Sammeltest du neue Erkenntnisse, oder sind diese mit den Testfahrten vergleichbar?"
    Vettel: "Als ich Kart gefahren bin, da waren die Formel-1-Piloten natürlich die Superhelden schlechthin, aber auch in der Formel BMW oder der Formel 3 habe ich natürlich zu den Formel-1-Fahrern geschaut. Aber wenn man mal die Chance hat, direkt hinter ihnen zu fahren und sie aus dieser Perspektive zu beobachten, dann sieht man, dass auch einmal einer vor einem zu weit über einen Randstein fährt. Es ist also jeder am kämpfen und macht auch einmal einen kleineren Fehler. Jeder versucht, das Maximum herauszuholen."


    Frage: "Bist du auf die Bestzeit angesetzt worden, oder ist sie einfach nur so gekommen?"
    Vettel: "Wir hatten unser Programm, das mehr oder weniger schon seit gestern Abend feststand. Es wurde heute Morgen nicht wirklich abgeändert. Wir hatten unser Programm, aber man weiß natürlich nicht wirklich, was die anderen machen. Dass es dann zur Bestzeit reicht, ist natürlich schön. Man simuliert das Rennen durch, man simuliert das Qualifying durch - es wird alles ausprobiert. Es war also das normale Programm."


    Frage: "Warst du extrem leicht unterwegs?"
    Vettel: "Ich verfüge nicht über viel Erfahrung in der Formel 1, von daher weiß ich nicht, was normal leicht oder extrem leicht ist. Um ganz ehrlich zu sein, weiß ich auch nicht, wie viel in den Tank hinein geht. Randvoll war es glaube ich nicht."


    Frage: "Kannst du diesen 'Sieg' im Training mit einer anderen Leistung in einer anderen Klasse vergleichen?"
    Vettel: "Nein, dies ist etwas völlig anderes. Wie ich schon vorhin gesagt habe, weiß man ja auch nicht, was die anderen gemacht haben, ob sie mit viel oder mit wenig Sprit, mit neuen oder mit alten Reifen gefahren sind. Aber es ist natürlich schön, ganz vorne zu stehen und auch vor den anderen Freitags-Testfahrern zu sein. Das ist natürlich schon ein gutes Gefühl. Es ist unheimlich schwer, in die Formel 1 zu kommen und wenn man dann die Chance bekommt und am Ende des Tages ganz vorne steht, ist dies natürlich das Beste, was einem passieren kann."


    Frage: "Warst du mit dem Auto wunschlos glücklich?"
    Vettel: "Ich habe schon einige Sachen zu sagen gehabt. Ich habe aber natürlich nicht gesagt, dass wir das Rad neu erfinden müssen. Aber es gab schon zwei oder drei Sachen, die mich nicht unheimlich gestört haben, die man aber doch verbessern kann. Die Änderung, die wir vorgenommen haben, haben sich auch positiv ausgewirkt."


    Frage: "Wie geht es nun an diesem Wochenende für dich weiter, was machst du nach diesem Wochenende?"
    Vettel: "Aus diesem Wochenende versuche ich natürlich noch soviel wie möglich mitzunehmen. Ich werde bei allen Besprechungen dabei sein und die Informationen, die die anderen untereinander austauschen, in mich aufsaugen. Ich werde das Team rund um die Uhr beobachten, ich bin ja jetzt drei Tage hier. Von daher werde ich versuchen, eine Menge zu lernen. Nächste Woche geht es in der Formel 3 in Zandvoort weiter, ich bin nun sechs Punkte hinter dem Erstplatzierten. Ich versuche dar natürlich, noch voll anzugreifen und Meister zu werden. Das ist die nähere Zukunft."


    Frage: "Und die Formel 1, nimmst du am Test in Monza teil ?"
    Vettel: "Das weiß ich noch nicht. Ich weiß von meinem Einsatz in der Formel 3, was davor und danach passiert, das weiß ich noch nicht."