Streit um Gesundheitsreform

  • "Neues Gutachten ist Schuss in den Ofen"


    Im Streit um die Auswirkungen der Gesundheitsreform gerät Ministerin Ulla Schmidt jetzt auch in die Kritik ihrer Parteigenossen. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach meldete starke Zweifel am Sinn eines weiteren Gutachtens zur Gesundheitsreform an. "Jetzt ein Schnellgutachten anzufordern, ist ein Schuss in den Ofen", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Den Fachleuten würden viele Daten fehlen, um genau herauszufinden, wie sich die Reform in den Ländern auswirken würde. Jede derzeit vorgelegte Studie sei unter wissenschaftlicher Betrachtung nicht zu rechtfertigen, betonte er.


    Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hatte angekündigt, im Streit mit den Bundesländern über die finanziellen Auswirkungen der Gesundheitsreform ein weiteres Gutachten anfertigen zu lassen. Zwei Experten sollen prüfen, ob die reicheren Bundesländer durch den geplanten Gesundheitsfonds und den neuen Risikostrukturausgleich tatsächlich weitaus mehr als bisher belastet werden.


    Bayern und Baden-Württemberg fürchten Kosten


    Das befürchtet vor allem der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber. Der CSU-Chef beruft sich unter anderem auf eine für den Lobbyistenverband Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft durchgeführte Studie. Das beauftragte Kieler Institut errechnete Zusatzkosten von über einer Milliarde Euro jährlich für Bayern. Das Gesundheitssystem in Baden-Württemberg würde demnach mit bis zu 1,6 Milliarden Euro zusätzlich belastet. Stoiber hat mit einem Nein Bayerns zu der Reform gedroht, sollten die Belastungen nicht geklärt werden. Baden-Württemberg und Hessen hatten sich dem angeschlossen.


    RWI: Belastungen keinesfalls in Milliardenhöhe


    Nach jüngsten Berechnungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) müssen sich Bayern und Baden-Württemberg aber längst nicht auf so hohe Mehrbelastungen einstellen. Die Kosten durch die Gesundheitsreform würden weitaus geringer ausfallen, als bisher vermutet. Die RWI-Berechnungen wurden im Auftrag des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministeriums erstellt, wie die "Neue Presse" in Hannover berichtete. Für Baden-Württemberg ergäben sich Zusatzbelastungen von "50 bis 110 Millionen Euro jährlich", sagte RWI-Experte Boris Augurzky dem Blatt. "Für Bayern erwarten wir Auswirkungen in ähnlicher Größenordnung."


    Schmidt sieht Belastung unter 100 Millionen


    Auch Ministerin Schmidt hatte ihre Zweifel an der Kieler Studie bekräftigt. "Diese Zahlen stimmen nicht", sagte die Ministerin. Dies solle auch das neue, unabhängige Gutachten "endgültig abklären", das Anfang Januar vorliegen werde. Sie betonte, sie habe "überhaupt keinen Anlass", an den Berechnungen des Bundesversicherungsamts (BVA) zu den finanziellen Auswirkungen der Reform zu zweifeln. Das BVA geht für die einzelnen Länder nur von Mehrbelastungen im zweistelligen Millionenbereich aus. Bereits im Sommer hatte die Bundesregierung Vorwürfe Bayerns, die Kosten lägen weitaus höher, zurückgewiesen.
    "Kieler Gutachten berücksichtigt Ausgleich nicht"


    Das Kieler Gutachten berücksichtige nicht "die komplizierten Feinheiten" des bereits heute bestehenden Finanzausgleichs zwischen den Krankenkassen, kritisierte Schmidt. Zudem verwies sie auf die vorgesehene Höchstgrenze von 100 Millionen Euro für die Belastungen der Krankenkassen eines Landes. Mit dieser auf Wunsch Bayerns bereits im Sommer vereinbarten so genannten Konvergenzklausel sollen mögliche Zusatzbelastungen in Schritten von maximal 100 Millionen Euro jährlich umgelegt werden. Diese Klausel ist in den Kieler Berechnungen nicht berücksichtigt.


    Unabhängig von der neuen Studie wird es wie im Gesetzentwurf vorgesehen Mitte 2008 vor dem Start des Gesundheitsfonds noch einmal ein detailliertes Gutachten zu den Belastungen geben. Dem hat der Bundesrat am Freitag bereits zugestimmt.


    * [URL=http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID5979346_REF_NAV_BAB,00.html]Fragen und Antworten zur Gesundheitsreform.[/URL]
    * [URL=http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID6209366_REF_NAV_BAB,00.html]Doktorspiele mit Experten-Studien.[/URL]
    * Video: [URL=http://www.tagesschau.de/video/0,1315,OID6215504_RES_BAB,00.html]Bettina Scharkus in Berlin zur Gesundheitsreform.[/URL]
    * RealAudio: [URL=http://www.tagesschau.de/audio/0,2773,OID6214852_BAB,00.html]Verfasser des Gutachtens zur Gesundheitsreform [DLF][/URL]


    Stand: 20.12.2006 05:57 Uhr
    Quelle: [URL=http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,,OID6213740_,00.html]tagesschau.de[/URL]