Tarifverhandlungen 2007

  • Das Ende der Zurückhaltung


    Kommt 2007 der "kräftige Schluck aus der Lohnpulle"? Die Chemie-Tarifverhandlungen sind gestartet, demnächst geht es auch in der Metall-, Bau- und weiteren Branchen um neue Tarife. Die Arbeitnehmer wollen am Aufschwung beteiligt werden. Die Arbeitgeber warnen davor, durch zu hohe Löhne das Wachstum zu bremsen. Beide Parteien haben Wirtschaftsforscher auf ihrer Seite.


    Von Fiete Stegers, [URL=http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID6293524_TYP6_THE_NAV_REF1_BAB,00.html]tagesschau.de[/URL]


    Die Meldungen sind positiv wie lange nicht mehr - es geht nach oben in der Wirtschaft. Die Klagen über die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen scheinen fast vergessen. "In den letzten Jahren haben die Firmen viel überflüssiges Fett abgeschnitten", sagt Alfred Steinherr vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung gegenüber tagesschau.de. Die Unternehmen strukturierten um und strichen Stellen. In vielen Branchen bestimmte die berühmte "Lohnzurückhaltung" die Tarifverhandlungen - die Gewerkschaften forderten nur zaghaft mehr Geld, effektiv sanken die Reallöhne vielfach sogar.


    Das ist 2007 vorbei. In mehreren großen Branchen stehen Tarifverhandlungen an. Und die Gewerkschaften machen klar: Sie wollen am Aufschwung beteiligt werden. "Die ersten größeren Lohnabschlüsse haben dann Signalwirkung für andere Branchen ", sagt Gustav Horn, Direktor des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung im Gespräch mit tagesschau.de.


    Erst Chemieindustrie, dann Metallbranche


    Den Anfang macht die Chemieindustrie. Dort geht es um einen neuen Tarifvertrag für die fast 300.000 Beschäftigten in den Bezirken Nordrhein, Hessen und Rheinland-Pfalz. Auch wenn die zuständige Gewerkschaft keine Zahlen nannte, die Parole von IG BCE-Chef Hubertus Schmoldt ist deutlich: Mehr als beim letzten Mal sollte auf jeden Fall drin sein. 2005 hatte es 2,7 Prozent mehr Lohn plus eine Einmalzahlung von 1,2 Prozent gegeben.


    Auch in der Metall- und Elektroindustrie, wo der Tarifvertrag für die mehr als drei Millionen Beschäftigten Ende März ausläuft, wollen die Arbeitnehmervertreter diesmal deutlich mehr Lohnzuwachs sehen. Entsprechend äußerte sich etwa der nordrhein-westfälische Bezirksleiter Detlef Wetzel gegenüber der ARD. DGB-Chef Michael Sommer forderte im SWR, generell durch "deutlich höhere Löhne" die Kaufkraft der Verbraucher zu stärken.


    Arbeitgeber wollen "Tarifrealismus"


    Metall-Arbeitgeberchef Martin Kannegießer bezeichnete dagegen höhere Abschlüsse als "Bärendienst". Das gleiche Bild in der Chemieindustrie: Die Arbeitgeber verlangen "Tarifrealismus" und warnen schon vor sich verschlechternden Wirtschaftsaussichten. Ebenso wie die Gewerkschaftsseite halten sie sich aber bei den Zahlen noch bedeckt.


    Unterstützung für höhere Löhne dafür einigen Politikern: So sagte SPD-Fraktionschef Peter Struck, nach Jahren geringer Lohnanhebungen sei angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung mehr möglich: "Man kann jetzt schon einen kräftigen Schluck aus der Pulle nehmen." Bundesarbeitsminister Franz Müntefering und der SPD-Vorsitzende Kurt Beck sehen das ähnlich. Auch CSU-Chef Edmund Stoiber plädierte dafür, während NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers kritisierte: "Politiker sollten sich nicht in Tarifverhandlungen einmischen."


    Wirtschaftsforscher stützen beide Seiten


    Führende Wirtschaftswissenschaftler sehen über alle Branchen hinweg einen Zuwachsspanne zwischen zwei und vier Prozent, teilweise plus Zuschläge. Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel sprach sich in "Plusminus" für eine durchschnittliche Lohnerhöhung von vier Prozent aus. "Wir haben im letzten Jahr einen Anstieg der Unternehmensgewinne von 15 Prozent, und auf der anderen Seite haben sich die Tariflöhne kaum um zwei Prozent erhöht". "Wir müssen dringend etwas zur Stärkung der Binnenkonsum tun. Sonst ist zu befürchten, dass wir den zarten Aufschwung abwürgen", pflichtet ihm Horn bei.


    Statt Abschlägen jetzt "etwas draufpacken"?


    Bert Rürup, Vorsitzender des Sachverständigenrates der Bundesregierung, befürchtet dagegen, dass die Konjunktur unter zu hohen Abschlüssen und dadurch steigenden Kosten für die Arbeitnehmer leide. Er sehe für die Tarifverhandlungen im Schnitt einen Spielraum von maximal drei Prozent, sagte er dem "Spiegel".


    Roland Dörn vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung empfiehlt, "dass es bei der bisherigen Linie von langfristigen Zuwächsen zwischen 2,5 und drei Prozent bleibt." Allerdings könnten die Abschlüsse durch Einmalzahlungen und andere "zusätzliche Komponenten" ergänzt werden, sagte er gegenüber tagesschau.de: "In den letzten Jahren gab es durch Öffnungsklauseln in vielen Betrieben Abschläge auf den vereinbarten Tariflohn. Jetzt wäre es verkraftbar, mal etwas draufzupacken" - ohne dass die Arbeitgeber sich langfristig auf Lohnerhöhungen festlegten.


    So ließe sich auch vermeiden, dass zwar einige Beschäftigte mehr in der Tasche hätten, andere aber wegen steigender Lohnkosten entlassen würden. Außerdem gibt Dörn zu bedenken: "Wenn es in einem großen EU-Land starke Lohnzuwächse gibt, könnte die Europäische Zentralbank mit höheren Zinsen reagieren. Dann würde sich das im Endeffekt negativ auf die Kaufkraft der Löhne auswirken."


    "IG Metall und ver.di werden laut mit dem Säbel rasseln"


    Wie die Tarifverhandlungen 2007 tatsächlich verlaufen werden, lässt sich laut Dörn derzeit noch schwer voraussehen. So sei in der Metallindustrie ein Abschluss von mehr als drei Prozent derzeit nicht unwahrscheinlich - "aber wenn wir bis März noch drei, vier schlechte Nachrichten haben, kann sich da noch viel ändern."


    In jedem Fall geht er davon aus, dass nach den erfahrungsgemäß wenig konfrontativen Verhandlungen in der Chemieindustrie "IG Metall und ver.di sehr viel lauter mit dem Säbel rasseln" werden. Insbesondere wenn ver.di die Gespräch für den Einzelhandel beginnt, stehen laut Dörn harte Auseinandersetzungen bevor: Obwohl es dem Handel nicht so gut gehe, werde die Gewerkschaft dort kaum die Signalwirkung hoher Abschüsse in anderen Branchen ignorieren können.


    Egal wie hoch sie ausfallen - keine Bedeutung haben die Abschlüsse für die wachsende Zahl der Beschäftigten in Jobs ohne Tarifbindung: Laut Bundesarbeitsministerium können weniger als 60 Prozent der Beschäftigten auf von Gewerkschaften für sie ausgehandelten Löhne bauen.