Aharon Appelfeld: Geschichte eines Lebens


  • Nein, ein Biographie im herkömmlichen Sinne ist es nicht. Das schmale Bändchen, das es auf gerade 200 Seite bringt, ist auch keine Autobiographie, wie man sie von Golo Mann oder Carl Zuckmaier oder Peter Bamm kennt. Der Titel "Geschichte eines Lesens" scheint nach erstem flüchtigem Durchblättern des Buches unangebracht - Fragmente eines Lebens sind es eher, scheinbar zusammenhanglos aneinandergereiht. Und kaum anders hat der Autor sein Leben sehen können, sein zerrissenes, zerspaltenes, zerbrochenes Leben, das ihn selbst fragmentiert. Das Schreckliche, das namenlose Entsetzen seines Er-Lebens läßt nichts anderes zu.
    Ahron Appelfeld zeigt den 1932 im damals rumänischen Czernowitz geborenen Jungen Erwin, Sproß einer deutsch-jüdischen gutbürgerlichen Familie. Er zeichnet in wenigen präzisen Strichen die Kindheit des behüteten Einzelkindes, das in zwei Sphären zwischen seinem säkularen, sehr weltlich orientierten städtischen Elternhaus und den Sommerferien bei den gläubigen jüdischen Großeltern auf dem Land nach Orientierung sucht. Er schreit den ersten Bruch dieser kindlichen Welt heraus, als seine Mutter zu Beginn des II. Weltkrieges ermordet und er selbst mit seinem Vater in das Ghetto verbannt wird. Er schleppt sich an der Hand seines Vaters dens Todesweg durch den ukrainischen Schlamm entlang in ein Konzentrationslager, wo er von seinem Vater getrennt wird.
    Wie es ihm gelingt, von dort zu fliehen, erfahren wir nicht. Aber wir sehen das "Wolfskind", das die Kriegsjahre irgendwie überlebt und 1946 in Auffanglagern an der italienischen Küste strandet, von wo ihn ein Schiff nach Palästina bringt. Eine zutiefst verletzte und geschundene Kinderseele soll Sprache und Leben finden.Und allmählich, ganz allmählich, wächst aus dem Chaos von verdrängten Erinnerungen und den Einflüssen des Lebens im Israel seiner frühen Jahre die Persönlichkeit Ahron Appelfeld.
    Dieses Leben ist keine Linie. Es ist ein Gewirr von Dornen und Zacken. Zerrissenen Zetteln gleich fallen den Leser Einzelheiten an. Und doch entsteht aus diesen Bruchstücken ein Zusammenhang. Ein sehr besonderer, ein außergewöhnlicher Mensch malt das Bild seines Selbst, und überrascht sieht man im Fragment das Ganze.
    Wer Sprache liebt und die Fähigkeit, mit Worten Farben und Bilder entstehen zu lassen, sollte zu diesem Band greifen. (Joachim Behnken)


    Aharon Appelfeld: Geschichte eines Lebens.
    Gebunden| 208 S. | Rowohlt, Berlin 2005 | ISBN 3-87134-508-3 | 17.90 EUR