Als Jules Verne segeln ging und Achterbahn fuhr

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    Als Jules Verne segeln ging und Achterbahn fuhr


    Veröffentlicht am 07.08.2020 | Lesedauer: 3 Minuten


    Von Marc Reichwein


    Vernes zweimastige Dampfsegeljacht, gemalt fürs Jules-Verne-Museum in Nantes

    Quelle: Universal Images Group via Getty


    Jules Verne, berühmt für seine Abenteuerromane, ließ sich 1881 auch im Urlaub nicht lumpen. Mit 100 PS und Überlänge durchfuhr der Franzose den Eiderkanal. Später testete er mit seinem Bruder die erste dänische Achterbahn.


    Natürlich hätte der Schriftsteller auch Hausbootferien daheim machen können, aber führerscheinfrei durch Frankreichs Kanäle, das ist etwas für deutsche Rentner des 21. Jahrhunderts. Nicht für Jules Verne. Was kühne Reiseziele und fantastische Fahrten angeht, war der Franzose, geboren 1828 in Nantes, seiner Zeit literarisch weit voraus.


    Mehr als hundert Jahre vor der Mondmission der Nasa schoss er seine Helden „Von der Erde zum Mond“ (1867). In seinen Büchern tourte man „In 80 Tagen um die Erde“. Man fuhr „zum Mittelpunkt der Erde“, „Fünf Wochen im Ballon“ oder, mit Käpt’n Nemo, „Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer“. Verne war ein Vielschreiber, verfasste in seinem Leben mehr als 100 Romane und Erzählungen. Rasante Abenteuergeschichten für alle, die Raumkapseln genauso wie Rennwagenunterseeboote mit Flügeln lieben.


    Für Auszeiten vom Schreiben hatte sich der Erfolgsschriftsteller 1877 eine zweimastige Dampfsegelyacht zugelegt: Die „Saint-Michel“ verfügte über eine „Maschine von fünfundzwanzig indizierten Pferdekräften, à dreihundert Meterkilogramm – gleich etwas über hundert effektive Pferdekräfte“. Das Boot fuhr neun bis neuneinhalb Knoten in der Stunde, bei Bedarf auch ohne Dampf und nur mit Segeln, bis zu acht Knoten schnell. Und erst die Ausstattung! Tropen-Jacaranda, Teak: Hier wurde geklotzt und nicht gekleckert.


    Ein gewisser Paul Verne war gern mit an Bord und führte über alles Protokoll, auch über die literarische Produktivität seines Bruders: „Viele glauben, er arbeite an Bord des Schiffes. Weit gefehlt! Er ruht hier nur aus und erholt sich während einiger Monate.“


    Vernes Dampfsegeljacht Saint Michel auf einer historischen Fotografie

    Quelle: Universal Images Group via Getty


    Wohin aber geht die Reise? Ins Vergnügen! 1881, genau zehn Jahre nach der verheerenden Niederlage im deutsch-französischen Krieg, stoppen die Gebrüder Verne, diese frechen Franzosen, zuerst in Wilhelmshaven. Dort bestaunen sie, wie das deutsche Kaiserreich mit französischen Reparationsgeldern ein militärisches Etablissement an der Nordsee errichtet. In Hamburg hören sie vom Eiderkanal (dem Vorläufer des Nord-Ostsee-Kanals): „Damit ersparen Sie sich die Reise um ganz Dänemark und gelangen durch wirklich reizende Landschaften am zweitfolgenden Tage in die Ostsee.“


    Jules Verne auf dem Eiderkanal

    Die „Saint-Michel“, Vernes Stretch-Limousine zu Wasser, ist 36 Meter lang – reicht das für die Schleusenbecken des Eiderkanals? Hm. Die Frage wird vorab mal mit „Ja“ und mal mit „Nein“ beantwortet. Am Ende heißt es, der Kanal sei passierbar, wenn man bereit sei, den Bugspriet einzuholen. In Rendsburg, einst dänisch und seit 1866 von den Preußen annektiert, ist es so weit. „Glücklicherweise brauchten wir die Galion am Vordersteven nicht zu opfern“, notiert Paul. Bis Kiel folgen weitere sechs Schleusen. Die Stadt wird damals in großem Stil für die Kriegsmarine ausgebaut und hat gerade den französischen Konsul ausgewiesen, prophylaktisch, gegen Militärspionage.


    Pionier der Science Fiction: Jules Verne (1828-1905)

    Quelle: Getty Images


    Von Kiel geht die Verne-Fahrt (die man übrigens in dem Büchlein „Jules Verne auf Eider und Kanal“ von Frank Trende nachlesen kann) weiter nach Kopenhagen. Im Vergnügungspark Tivoli fahren die Gebrüder Verne sogar Achterbahn, die aber noch nicht so heißt.


    Von einer „Rutschbahn mit drei abgerundeten Absätzen“ ist in der Reisereportage von Paul die Rede, und hier, auf den Gleisen „ist die Gewalt der Fahrt so rapide, dass man jederzeit glaubt, der Waggon müsse aus dem Geleise springen, und dass man gern sofort noch sein Testament machte“. Das alles notiert Paul Verne zum Kick der Achterbahn. Doch es könnte auch eine Beschreibung der Bücher seines Bruders sein: „Der Leser glaubt vielleicht, dass man an einer solchen halsbrecherischen Fahrt genug habe. Fehlgeschlossen. Man beginnt sie mit Vergnügen von Neuem.“


    Quelle: https://www.welt.de/kultur/lit…laub-mit-Jules-Verne.html