Das Geheimnis der unbekannten U-Boote
JÄGER AUS DER TIEFE / 2. Februar 2021 Thomas Ritter Gesellschaft
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In den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts erschütterten merkwürdige Zeitungsmeldungen die zivilisierte Welt. Ein mysteriöses „Seeungeheuer“ griff bevorzugt Kriegsschiffe der Kolonialmächte an und beförderte sie reihenweise auf den Meeresgrund. Um dieses Ungeheuer unschädlich zu machen, wurde eine Expedition unter der Leitung des Meereskundlers Professor Aronnax entsandt….
So beginnt der Roman „20.000 Meilen unter dem Meer“, den der bekannte französische Schriftsteller Jules Verne im Jahr 1870 veröffentlichte. Das Buch gehört auch heute noch zu den am meisten gelesenen Werken der phantastischen Literatur. Jules Vernes Geschichte um den menschenscheuen Kapitän Nemo und sein geheimnisvolles U-Boot „Nautilus“ hat Generationen von Lesern begeistert.
Im August des Jahres 2000 erschütterten wiederum Zeitungsmeldungen Europa. Wieder ging es um ein U-Boot. Doch diesmal war es kein Roman, diesmal war es Wirklichkeit. Das russische Atom-U-Boot „Kursk“, eines der modernsten Schiffe der russischen Flotte, sank am 12. August 2000 nach 2 Explosionen an Bord auf den Grund der Barentssee. Alle 118 Besatzungsmitglieder fanden den Seemannstod. Die Ursache der Katastrophe ist bislang unklar. Es gibt dazu mehrere Hypothesen, die selbst unter den Fachleuten umstritten sind. 1. Das norwegische Militär äußerte die Ansicht, die Explosion eines Torpedos oder eines anderen Waffensystems habe die „Kursk“ vermutlich zum Sinken gebracht. Ein norwegisches Boot, das das Manöver beobachtete, an dem die „Kursk“ teilnahm, habe zwei Detonationen an einer Seite des U-Boots registriert. Die erste und kleinere sei durch ein Waffensystem an Bord ausgelöst und selbst wiederum wahrscheinlich Ursache für die zweite und größere gewesen. Die Schäden im vorderen Teil der „Kursk“ ließen keinen Zweifel an einer Explosion von Waffen. Der Chefredakteur des Standardwerks „Jane’s Fighting Ships“, Richard Sharpe, hält die Explosions-Theorie für „die wahrscheinlichste Erklärung“. Bei den Vorbereitungen zum Abfeuern eines Marschflugkörpers oder eines Torpedos könnte es zu einer Explosion gekommen. Die „Komsomolskaja Prawda“ brachte die Frage auf, ob nicht sogar 130 Seeleute in dem U-Boot gewesen seien. Die zusätzlichen zwölf Besatzungsmitglieder hätten ein besonderes Training mit Torpedos absolvieren sollen. Die russische Regierung dementierte das. Im Gegensatz zur Kollisionstheorie wird mit dieser Erklärung jedoch die Frage nach der Verantwortung für das Waffensystem gestellt – deswegen sei eine Explosion für Militärs und Politiker die unbequemste Erklärung. 2. Die „Kursk“ lief auf eine Mine. Der Oberkommandierende der russischen Nordmeer-Flotte, Michail Mozak, sagte, die „Kursk“ sei auf eine Mine aus dem Zweiten Weltkrieg gelaufen. Das norwegische Militär bezeichnete dies als möglich. 3. Die „Kursk“ kollidierte mit einem anderen U-Boot. Der russische Außenminister Sergejew unterstützt diese These. Er sagte, dass einen Tag nach dem Unglück eine Boje in der Nähe der „Kursk“ gesehen worden sei, die nicht russischer Herkunft gewesen sei. Die Boje sei jedoch wieder verschwunden. Ein Fernsehkorrespondent beschrieb die Boje als grün und weiß. Der norwegische Konteradmiral Einar Skorgen, der die Rettungsarbeiten leitete, hält den Zusammenstoß mit einem fremden U-Boot für „wenig wahrscheinlich“. Die russische Regierung beharrte auf ihrer Version, dass eine Kollision der „Kursk“ mit einem fremden Schiff am 12. August 2000 die wahrscheinlichste Unglücksursache sei. Verteidigungsminister Sergejew sagte, neben dem russischen Boot sei zunächst ein ähnlich großes Objekt auf dem Meeresgrund der Barentssee geortet worden. Es sei später jedoch verschwunden. „Wir nehmen an, dass es ein schwimmendes Unterwasserobjekt mit einer Verdrängung von mindestens 8.000 Tonnen oder noch mehr war“, sagte Vizeregierungschef Ilja Klebanow im russischen Fernsehen. In der „Komsomolskaja Prawda“ hieß es, die „Kursk“ sei mit einem amerikanischen U-Boot zusammengestoßen. Die USA wiesen dies als falsch zurück. In einem weiteren Bericht der Zeitung hieß es, die „Kursk“ könnte auch mit einem britischen U-Boot zusammengestoßen sein. Auch Großbritannien dementierte diese Meldung.
In der Tat scheinen weder britische noch amerikanische U-Boote in diesen Vorfall verwickelt zu sein, denn die schwere Beschädigung oder gar der Verlust eines Bootes hätte weder die englische noch die US-Marine auf Dauer geheim halten können.
Dennoch sollte die von russischer Seite vorgetragene Version des Zusammenstoßes mit einem anderen U-Boot als Ursache für den Untergang der „Kursk“ nicht voreilig verworfen werden. Das russische U-Boot könnte tatsächlich mit einem anderen Unterwasserschiff kollidiert sein, welches nach dem Vorfall in der Lage gewesen sein muß, die Unglücksstelle aus eigener Kraft zu verlassen. Bei diesem Schiff würde es um eines der „unbekannten U-Boote“ handeln, die seit Jahrzehnten immer wieder für Aufregung und zahlreiche Spekulationen sorgen.
In den siebziger und vor allem den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden fremde U-Boote in Skandinavien derart häufig gesichtet, dass davon weltweit Kenntnis genommen werden musste.
Hubschrauber und Patrouillenboote der schwedischen Marine suchen ununterbrochen nach einem U-Boot, das vor der Hauptstadt Stockholm in die Küstengewässer eingedrungen war. (Goslarsche Zeitung, 20.9.80)
Ein U-Boot unbekannter Nationalität ist in den Territorialgewässern südöstlich von Stockholm gesichtet worden. Es war der vierte Zwischenfall in diesem Jahr. (WAZ, 6.6.81)
Um diese Eindringlinge zu stellen und zum Auftauchen zu zwingen, setzte die schwedische Marine zahlreiche u-Boot-Jäger, aber auch Flugzeuge und Hubschrauber. Doch selbst der Einsatz von Wasserbomben vermochte die fremden U-Boote nicht zu vertreiben. Sie hielten sich tagelang in den schwedischen Hoheitsgewässern auf, und verstanden es immer wieder, ihren Verfolgern unerkannt zu entwischen.
Am 28. Oktober 1981 tauchte dann ein unbekanntes U-Boot vor Südschweden auf, das nahe der Marine Basis Karlskrona auf einer Sandbank strandete. Die Identität des Eindringlings wurde nun rasch aufgeklärt. Es handelte sich um das sowjetische U-Boot 137. Waren die bisherigen Zwischenfälle mit fremden U-Booten den Medien allenfalls eine Kurzmeldung wert, so gelangte dieser Fall rasch in die Schlagzeilen. Doch nach wenigen Tagen und einigen diplomatischen Kontakten zwischen Schweden und der Sowjetunion wurde U 137 von der schwedischen Marine aus seiner misslichen Lage befreit und in internationalen Gewässern freigegeben. Nach den vorangegangenen rücksichtslosen angriffe gegen die fremden U-Boote erschien das Verhalten der schwedischen Seite als ungewöhnlich kooperativ. So ist es nicht verwunderlich, dass recht bald kritische Journalisten und argwöhnische Forscher die Meinung äußerten, der Zwischenfall sei eine gelungene Inszenierung gewesen, um die wahre Identität der unantastbaren U-Boote zu verschleiern. Weder die Sowjetunion noch die NATO hatten in der damaligen Situation Veranlassung, derart massiv und dauerhaft die schwedischen Hoheitsgewässer zu verletzen.
Bei den Sichtungen unbekannter U-Boote handelte es sich nicht um Ausnahmefälle, sondern um fast alltägliche Erscheinungen. Trotz des diplomatischen Abkommens, das zwischen Schweden und der UdSSR nach dem Vorfall mit U 137 abgeschlossen worden war, kamen die unbekannten U-Boote mit schöner Regelmäßigkeit wieder.
„U-Boote tauchen vor den Schären“: Fast jede Woche werden die Schweden daran erinnert, daß ihr neutrales Land eines der bevorzugten Gebiete für die militärische Aufklärung durch fremde Mächte sind. Wasserbomben haben bis jetzt nicht geholfen. (Ruhrnachrichten, 9.9.82)
Im Oktober 1982 gelang es der schwedischen Marine jedoch, eines der fremden U-Boote in einer spektakulären Aktion einzukreisen.