Vom Hörsaal hinab in die Tiefsee

  • Stand:19.02.2024, 15:30 Uhr


    Stephan Hirschpointner und Izabella Radic entführen in Jules Vernes Unterwasserwelt. © Antje Cordes


    Gießen (aco). In der Rolle des Biologen Professor Aronnax verkündet Stephan Hirschpointner gleich zu Beginn des Familienstücks »20 000 Meilen unter dem Meer«, dass man eigentlich einen Ausflug in den Hörsaal der Hermann-Hoffmann-Akademie geplant hatte, welcher für das dort hängende Skelett eines Pottwals bekannt ist. Dieser sei nun aber einsturzgefährdet und man habe in den Margarete-Bieber-Saal ausweichen müssen.


    Als Beweis dient ein Zeitungsartikel über die Sperrung des Hörsaals, dessen Bildunterschrift lautet: »Der Pottwal ist wohl nicht schuld.«


    Fantasievolle und lehrreiche Reise

    Nein, die Bewohner der Meere sind es tatsächlich nicht, die Probleme bereiten. Es sind eher menschengemachte Konstruktionen, die bisweilen sehr gefährlich werden - das zeigt auch Mathilde Lehmanns verspielte Inszenierung des Jules Verne Klassikers am Sonntagnachmittag.


    Das rund einstündige Familienstück beginnt wie eine typische Vorlesung und wandelt sich anhand der Erinnerungen des Professors schnell zu einer fantasievollen und lehrreichen Reise in die Tiefen des Meeres.


    In diesen Erinnerungen beginnen Aronnax und seine Assistentin Conseil (Izabella Radic) ihr Abenteuer mit der Suche nach dem großen, unbekannten »Dings«, das reihenweise Schiffe auf den Weltmeeren versenkt. Anstelle eines gigantischen »fischigen Meersäugers« findet das Forscherduo das technologisch einzigartige U-Boot »Nautilus« des Captain Nemo (ebenfalls Radic). Nemo, »der mit der Menschheit gebrochen hat«, haust abgeschottet in seinem eigenen wundersamen Reich unter Wasser. Für dieses Leben in einem künstlichen Frieden nimmt der Kapitän jedoch auch Menschenopfer und die Ausbeute natürlicher Ressourcen in Kauf, wie der einst eher naive Aronnax bald feststellen muss. Der Drang nach Wissen und technologischem Fortschritt prallt hier in mal witzigen, mal ernsten Dialogen immer wieder auf die Frage nach dem Umgang mit unseren Gewässern als Grundlage allen Lebens und welche Verantwortung Menschen für diese sowie füreinander haben.


    Auch Dramaturgie (Simone Sterr) und Bühnenbild (Marthe Labes) spielen mit der Spannung zwischen Fakt und Faszination. Gerade weil das Stück nicht in einem Theaterraum aufgeführt wird, ist Erfindergeist gefragt: Mit Requisiten aus Haushalt und Meereswelt sowie hauptsächlich analogen Licht- und Bildquellen und einer klugen Bespielung sämtlicher Ecken des Raums, wird der Hörsaal mal zum U-Boot inmitten der Gießener Innenstadt, mal zur Tiefsee selbst. Dieser Erfindergeist überträgt sich auch auf das hauptsächlich junge Publikum, als nach und nach immer mehr simple, aber effektvolle wissenschaftliche Experimente ihren Weg in die Erzählung finden (Wissenschaftliche Mitarbeit: Dr. Stefanie J. Jung, Theaterpädagogik: Denitsa Stoyanova) - vom Fahrrad, das Strom produziert, bis hin zum Mini-U-Boot, das durch einfaches Pusten aufsteigt und sinkt.


    Im Kontrast dazu wirken einige Texte, in denen in recht kurzer Zeit viele Fakten rund um die Bedrohung der Meeresflora und -fauna durch den Klimawandel erklärt werden, teilweise etwas aufgesetzt. Dennoch gehören sie zum Themenkomplex dieses Stücks genauso dazu, wie die Seifenblasenpfeife des Kapitäns, die für große Begeisterung unter den Kindern sorgt. Zudem hat man das Gefühl, dass selbst die jüngeren Kinder dieser Generation einiges mehr vom Thema Umwelt und Klima verstehen, als man es vielleicht erwarten würde.


    Schlussendlich ist die scheinheilige Welt des Captain Nemo nichts für Professor Aronnax, weshalb der sich zum Ende entschließt, lieber doch in die Lehre zu gehen. Konsequenterweise ist das Publikum daher im Anschluss an die Vorstellung auch eingeladen, gemeinsam mit Radic und Hirschpointner die aufgebauten Experimente einmal selbst auszuprobieren.


    Quelle: https://www.giessener-allgemei…die-tiefsee-92842345.html