Sieben Jahre Rot-Grün

  • Original von Frank Thadeusz, tagesschau.de


    Das Generationenprojekt - vorerst erledigt


    Die rot-grüne Koalition hat in gewisser Weise Ähnlichkeit mit einem opulenten Mittagessen: Die Zubereitung desselben braucht zumeist Stunden, aufgegessen ist das Mahl dann aber sehr schnell. Der Vorlauf für das so genannte Generationenprojekt belief sich auf mehrere Jahrzehnte und begann schon mit der Zeit der Studentenrebellion in den späten sechziger Jahren. Die Sehnsucht nach einer linken Mehrheit wuchs schon unter dem SPD-Kanzler Helmut Schmidt und erreichte in den Regierungsjahren von Helmut Kohl ihren Höhepunkt. Erfüllt wurde sie schließlich 1998: Der einstige Juso-Vorsitzende Gerhard Schröder wurde Bundeskanzler. Den Posten des Vize-Kanzlers und Außenministers übernahm Joschka Fischer, der sein erstes Ministeramt in Turnschuhen angetreten hatte. Doch die Koalition ist bald Geschichte, Rot-Grün hat sich nach sieben Jahren vorerst erledigt. Bleibt die Frage: Hat das Mahl geschmeckt?


    Die Massenarbeitslosigkeit überlagert alles


    Die Frage nach der Substanz und Güte des rot-grünen Projekts wird vom Problem der Massenarbeitslosigkeit überlagert. Angesichts von anfänglich über vier und zuletzt annähernd fünf Millionen Arbeitslosen rückt die Tatsache in den Hintergrund, dass SPD und Grüne einige im linken Spektrum seit Jahren geforderte Reformen verwirklicht haben. Andere Reformen wiederum hätten auch im Konrad-Adenauer-Haus formuliert werden können - was die Regierenden als "Erfordernis der Zeit" beschrieben haben.


    So werden seit dem Februar 2001 gleichgeschlechtliche Paare in Deutschland erstmals rechtlich anerkannt. Dieser unzweifelhaften Liberalisierung des Alltags stehen die Anti-Terror-Gesetze von Bundesinnenminister Otto Schily gegenüber. Die so genannten Otto-Kataloge mit ihren punktuellen Beschneidungen von Freiheiten hätten zu Zeiten der Regierung Kohl vermutlich zu wütenden Protesten geführt. Allerdings: Kohls Kabinett musste auch nicht auf vergleichbare Herausforderungen wie den 11. September reagieren.


    Große Teile der Schily-Gesetze betreffen insbesondere die Bewegungsfreiheit von Islamisten in Deutschland. Was die Ausländerpolitik insgesamt angeht, gelang Rot-Grün eine einschneidende, wenn auch hart umkämpfte Reform. Am 1. Januar 2005 trat das Zuwanderungsgesetz in Kraft, das Fragen der Immigration, Sicherheit und Integration regelt. Erstmals erkannte eine Bundesregierung an, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.


    Der Friedenskanzler begann als Kriegskanzler


    An Helmut Kohl arbeiteten sich die Alt-Achtundsechziger einst ab, als es um das enge Verhältnis der Bundesrepublik zu den Vereinigten Staaten ging. Bundeskanzler Schröder korrigierte den Eindruck der Nibelungentreue, indem er sich der Teilnahme am Irak-Krieg verweigerte und eine Zerrüttung des Verhältnisses zur Regierung von George W. Bush in Kauf nahm. Der "Friedenskanzler" - dem dieses Etikett half, die Bundestagswahl 2002 zu gewinnen - begann freilich als Kriegskanzler: Nur Stunden nach der Vereidigung seines Kabinetts musste Schröder über einen Einsatz der Bundeswehr im Kosovo entscheiden. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg entsandte eine deutsche Regierung Soldaten in einen bewaffneten Konflikt. Der Kanzler bedauerte, dass ausgerechnet eine sozialdemokratische Regierung diese Entscheidung fällen musste.


    Das maßgebende Projekt der zweiten Amtszeit von Rot-Grün führte die Sozialdemokratie in eine schwere Krise und letzlich zu den vorgezogenen Neuwahlen: Mit der Agenda 2010 nahm Schröder die Herausforderung an, den Sozialstaat umzukrempeln. Die zwangsläufig damit verbundenen Grausamkeiten führten zu einer Reihe von Wahlschlappen in den Ländern - und damit auch zum Ende von Rot-Grün.


    SPD zerrupft, Grüne nahezu unbeschadet


    Während die SPD in der Wählergunst also recht gerupft da steht, scheinen die Grünen die Zeit ihrer ersten Regierungsbeteiligung in der Geschichte der Bundesrepublik nahezu unbeschadet überstanden zu haben. Auch, wenn sie etliche Kröten schlücken mussten; zuletzt etwa das umstrittene Raketenabwehrsystem MEADS. Dennoch ist den Grünen in den zurückliegenden sieben Jahren immerhin die Verwirklichung einiger Großprojekte gelungen, die ihre Klientel schon in den achtziger Jahren forderte: So ist der Atomausstieg auf den Weg gebracht. Die Kernkraftwerke in Stade und Obrigheim wurden vom Netz genommen. Gegen den harten Widerstand der Opposition und teilweise gar der SPD brachten die Grünen ihr Konzept einer Öko-Steuer durch. Und auch die Förderung alternativer Energien durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz kann sich die Öko-Partei auf ihre Fahnen schreiben. Und nicht zuletzt: Die Grünen setzten die Schaffung eines Ministeriums für Verbraucherschutz durch.


    Es dürfte also kaum verwundern, wenn die Bilanz aus sieben Jahren Rot-Grün von beiden Parteien künftig unterschiedlich beurteilt wird. Die grüne Galionsfigur Joschka Fischer erklärte kürzlich in der "tageszeitung" das Generationenprojekt erstmal für erledigt und riet folgenden Generationen, eigene Wege zu gehen. Dessen ungeachtet: Ihm scheint das Koalitionsmahl geschmeckt zu haben.


    Quelle: [URL=http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID4865156,00.html]http://www.tagesschau.de[/URL]Stand:
    19.10.2005 11:30 Uhr