Ein Jahr nach dem Mord an Theo van Gogh

  • "Holland ist nicht mehr das, was es mal war"


    Vor einem Jahr ist der umstrittene niederländische Filmemacher Theo van Gogh von einem radikalen Islamisten ermordet worden. Brutal und auf offener Straße. Das Verbrechen hat die eigentlich so toleranten Niederlande verändert - im ganzen Land brannten damals Moscheen und Islamschulen, die Gesetze wurden verschärft und eine verunsicherte Gesellschaft debattierte über die Frage, wieviel Toleranz man sich leisten kann. Die Situation hat sich inzwischen wieder beruhigt, aber die Nachwirkungen sind auch jetzt noch zu spüren.


    Von Ludger Kazmierczak, WDR-Hörfunkkorrespondent Den Haag


    "Holland ist nicht mehr das, was es mal war", sagt der bekannte niederländische Schauspieler Huub Stapel. Das sei absolut sicher. Stapel war mit Theo van Gogh befreundet. Dessen Büro lag gleich um die Ecke der Wohnung des Schauspielers. Heute erinnert er sich: "Ich habe mit Theo gearbeitet. Und drei Tage bevor er erschossen wurde, bin ich ihm mit meiner Frau begegnet. Da haben wir über neue Projekte gesprochen, und er hat zu mir und meiner Frau gesagt: 'Nehmt eure Kinder untern Arm und verlasst das Land'."


    Ist es wirklich schief gegangen mit der niederländischen Multi-Kulti-Gesellschaft? Der Kolumnist und Autor Sylvain Ephimenco versucht diese Frage in seinem Buch "Das Land von Theo van Gogh" zu beantworten: "Natürlich ist zwischen den ethnischen Gruppen ein gewisser Argwohn, eine Spannung entstanden. Aber ich möchte das relativieren. Gerade im Ausland wird ja das Bild von einem unversöhnlichen, schrecklich intoleranten Holland gezeichnet. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass die Gegensätze so groß geworden sind", schreibt er.


    Wut, Hass, Angst - und schärfere Gesetze


    In den ersten Wochen nach der martialischen Hinrichtung des Filmemachers durch einen jungen Niederländer marokkanischer Herkunft sah das noch anders aus. Überall im Land brannten fast täglich Moscheen, Islamschulen, und auch christliche Kirchen. Viele Niederländer waren wütend, weil von den Vertretern der mehr als 900.000 Moslems im Land kein offizielles Wort des Bedauerns über den brutalen Mord zu hören war. Die Mitte-Rechts-Regierung verschärfte daraufhin ihre Integrations-, Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik. Der Staat hört jetzt genau hin, was in Moscheen prophezeit wird. Hass-Prediger müssen das Land verlassen. Künftig sollen Imame sogar in den Niederlanden ausgebildet werden. Die Niederländer wollen wieder Herr im eigenen Land sein.


    Spät, aber nicht zu spät, sagt Huub Stapel, habe die Politik reagiert: "Wenn man vergisst, dass man Gast ist in einem Land und man benimmt sich nicht als Gast, sondern als Eroberer, oder als Prophet oder gar als Diktator, ja, dann hört’s auf", meint er. Für ein neues Anti-Terror-Gesetz wurde der Datenschutz gelockert. Polizei und Geheimdiensten gelang es, ein ganzes Netzwerk radikaler Islamisten auszuheben. Mohammed B., der Mörder van Goghs, soll Sympathisant dieser so genannten Hofstadgruppe sein. Gegen 13 mutmaßliche Mitglieder dieser kriminellen Vereinigung beginnt im kommenden Monat der Prozess. Der Staat demonstriert Stärke.


    "Das Land ist irgendwie aufgewacht"


    Offenbar ist es vorbei mit der einst viel gepriesenen Toleranz. Sofern es diese je gegeben hat, ergänzt Stapel: "Man hat sich ziemlich was vorgemacht. Die Nicht-Toleranz war in Deutschland viel mehr an der Oberfläche, und die gefiel mir eigentlich besser, weil ich schon immer gedacht habe: Wir sind eine quasi-tolerante Gesellschaft, aber schon vor zwei Jahren, da hast du überall gemerkt, dass es Brüche gab und dass die Gesellschaft verletzlich war. Jetzt ist das Land irgendwie aufgewacht."


    Die Niederländer sind in der Realität angekommen, meint auch der Politiker Hans van Balen, Mitglied der erzkonservativen Volkspartei: "Die Ermordung Theo van Goghs hat leider gezeigt, dass wir nicht besser als Frankreich, England oder Deutschland sind. Dass so etwas auch bei uns passieren kann. Zum Glück waren die Ausschreitungen und Brandstiftungen nur ein zeitliches Phänomen. Das Land stand nicht in Flammen, und das ist ein Segen."


    Die verschiedenen Religionen und Kulturen haben zum Dialog zurückgefunden. Ein Jahr nach dem Attentat ist der Ton sachlicher und versöhnlicher geworden. Dreiviertel aller Mensch im Land - das besagt eine aktuelle Umfrage - fühlen sich sicher. Mehr als 60 Prozent aller Niederländer begrüßen demnach, dass die Regierung härter gegen potenzielle Terroristen vorgeht. Den meisten ist bewusst, dass die Gefahr nicht von den Moslems oder den Marokkanern ausgeht, sondern lediglich von einer gewaltbereiten Minderheit.


    Quelle: [URL=http://www.tagesschau.de/aktuell/meldungen/0,1185,OID4914210_TYP6_THE_NAV_REF3_BAB,00.html]http://www.tagesschau.de[/URL]