Interview: Ubuntu aus Dankbarkeit

  • Golem.de im Gespräch mit Ubuntu-Gründer Mark Shuttleworth
    Seit 2004 die erste Version der Linux-Distribution Ubuntu erschien, ist das System auf Debian-Basis extrem erfolgreich. Der Südafrikaner Mark Shuttleworth gründete die Distribution und die Firma Canonical, Ubuntus Hauptsponsor. Zuvor machte ihn der Verkauf seiner Firma Thawte an VeriSign zum Multimillionär. Bekannt wurde er zudem als zweiter Weltraumtourist. Auf dem LinuxTag 2006 in Wiesbaden sprach er mit Golem.de über die Zukunft von Ubuntu.


    Golem.de: In letzter Zeit gab es einigen Trubel um Kubuntu. Welchen Stellenwert hat Kubuntu für Canonical tatsächlich?

    Mark Shuttleworth: Kubuntu ist ein entscheidender und essenzieller Teil des Ubuntu-Projektes. Das gesamte Ubuntu-Projekt ist darauf ausgerichtet, jeder Desktop-Umgebung ihre eigene Plattform zu geben. Dabei gibt es gute Gründe, warum wir GNOME und KDE ausliefern. Als Ubuntu-Projekt möchten wir beide Desktops gleichermaßen gut unterstützen. Bei unserer nächsten Version, Dapper Drake, verschicken wir beispielsweise auch Kubuntu-CDs weltweit kostenlos, so wie wir es mit den GNOME-basierten Ubuntu-CDs schon länger machen. Mit Canonical bieten wir dann auch kommerziellen Support für Kubuntu an, ebenso wie jetzt schon für Ubuntu. Und wir werden nun KDE-Entwickler einstellen, die an Kubuntu arbeiten. Die KDE-Community laden wir ebenfalls ein, wesentlich enger mit Kubuntu zusammenzuarbeiten. Tatsache ist: Kubuntu wird für das Ubuntu-Projekt immer wichtiger. KDE nehmen wir als sehr guten Desktop wahr, an dem die Entwickler viel arbeiten. Kubuntu soll mit jeder Veröffentlichung das Beste von KDE präsentieren.


    Golem.de: Was gab denn den Ausschlag für die Kritik?


    Shuttleworth: Es ging um ein paar spezielle Entwickler, die mit ihrer Rolle im Kubuntu-Projekt unzufrieden waren. Ich kann sie zwar verstehen und treffe mich auch noch mit ihnen persönlich, es ist für uns allerdings wichtig, dass sich Kubuntu als ganzes Projekt nach Ubuntus Zielen ausrichtet. Wir können einzelnen Entwicklern nicht gestatten, am Rande einen eigenen Entwicklungsprozess zu gestalten. Eine unserer Stärken ist, dass die Community sehr viel Einfluss hat. Es gibt Prozesse, in denen entschieden wird, was in Ubuntu gelangen soll und wo wir unsere Prioritäten setzen. Dabei können wir es nicht zulassen, dass einzelne Entwickler diese Prozesse für ihre Interessen nutzen. Wenn dann jemand beginnt, seine eigene Webseite online zu stellen und den Traffic zu sich umleitet, müssen wir reagieren: Wir haben unsere Entscheidungsprozesse innerhalb der Community und wenn jemand ein Problem damit hat, müssen wir es gemeinsam klären. Aber es geht nicht, dass jemand einen Prozess übernimmt und Canonical damit zu seiner Geisel macht.


    Golem.de: Sie sind sehr an der Nutzung und Verbreitung von freier Software interessiert. Nun setzt Ubuntu aber Launchpad.net sehr intensiv ein, um Entwicklungsprozesse zu koordinieren. Dabei handelt es sich nur teilweise um freie Software, wie passt das zusammen?


    Shuttleworth: Das ist richtig, aber wir unterscheiden zwischen Ubuntu, dem Projekt, und Canonical, der Firma. Bei Ubuntu haben wir sehr klare Richtlinien, so dass nur freie Software in Ubuntu gelangt. Allerdings liefern wir proprietäre Treiber aus. Denn wir glauben, dass vorhandene Hardwareunterstützung die Leute dazu bringt, freie Software auszuprobieren und für uns ist es wichtig, freie Software auf dem Desktop zu verbreiten. Ansonsten umfasst Ubuntu nur freie Software und auch alle Teile von Launchpad, die auf die CD gelangen, sind Open Source.


    Launchpad selbst hat viele verschiedene Funktionen und die meisten davon haben mit den Diensten zu tun, die Canonical anderen Firmen anbietet. Also beispielsweise Support und Distributionsverwaltung, denn es gibt eine steigende Nachfrage nach individuellen Ubuntu-Versionen. Diese Funktionen bieten wir Firmen über Launchpad an und öffnen diese Teile daher nicht. Wir geben aber auch etwas von Launchpad frei wie Teile des Übersetzungssystems. Zu anderen Projekten wie PostgreSQL und SQLObject haben wir ebenfalls etwas beigetragen. Die einzigen Teile, die proprietär bleiben, sind also Komponenten, die eine strategische Bedeutung für Canonical haben. Der Rest wird als Open Source freigegeben.


    Golem.de: Wie kam es dazu, die nächste Ubuntu-Version länger zu unterstützen?


    Shuttleworth: Mit unseren regelmäßigen Veröffentlichungen für den Desktop haben wir enormen Erfolg. Es gibt aber viele Kunden, die Ubuntu und Kubuntu auf ihren Firmen-Desktops und ihren Servern nutzen wollen. Beide Einsatzgebiete haben unterschiedliche Anforderungen als der normale Heim-Desktop. Der Einsatz ist vor allem langfristiger, es wird viel Zeit verwendet, um eine Version zu validieren und zu zertifizieren und es dauert, bis eine Version im Einsatz ist. Somit muss die verwendete Distribution auch über einen langen Zeitraum unterstützt werden. Daher entschieden wir uns in unserem normalen Veröffentlichungsfahrplan, eine Version herauszubringen, die alle Merkmale hat, um über lange Zeit von uns Unterstützung zu bekommen. Um dies sicherzustellen, mussten wir Dapper Drake auch um sechs Wochen verschieben.


    Wenn diese Enterprise-Version erschienen ist, kehren wir zu unserer ursprünglichen Veröffentlichungsstrategie zurück. Wir bringen also in kürzeren Abständen wieder neue Versionen - so lange bis wir denken, dass es Zeit für eine neue Version mit längerem Support ist.


    Golem.de: Ubuntu wird eher als Community-Distribution gesehen. Wie wollen Sie Unternehmen überzeugen, es auf dem Server einzusetzen anstatt zu Distributionen zu greifen, hinter denen ganz offensichtlich eine Firma steht?


    Shuttleworth: Wir empfehlen Firmen auf jeden Fall den Einsatz von Dapper, also Version 6.06 LTS, wobei LTS für "Long-Term Support" steht. Diese Version wird für IBM DB2, MySQL, PostgreSQL, VMware und weitere Serveranwendungen zertifiziert. Zusätzlich bieten wir 24/7-Telefon-Support an. Wer Ubuntu auf Servern nutzen möchte, kann also auf die ganze Palette an kommerzieller Unterstützung zurückgreifen. Einen Unterschied zu Novell und Red Hat gibt es dann nicht mehr.


    Golem.de: Was wird dann in der übernächsten Version anders sein?


    Shuttleworth: Edgy Eft wird vier Monate nach Dapper Drake erscheinen und viel neue Technik integrieren, kann also auch einige Kanten haben. Diese Version unterstützen wir dann auch wieder nur 18 Monate. Die Idee dahinter ist, dass Nutzer Dapper Drake nehmen sollen, wenn sie stabile und zertifizierte Systeme brauchen. Wer die neue Desktop-Technik haben möchte, soll Edgy Eft nehmen.


    Mir persönlich ist eine Balance zwischen Stabilität, Robustheit und Innovation wichtig. Das ist natürlich immer ein Gegensatz, denn wenn man neue Funktionen aufnimmt, kommen auch neue Fehler in die Distribution. Bei Dapper Drake entschieden wir uns daher, uns sehr stark auf die Stabilität und Zuverlässigkeit zu konzentrieren. Dafür nahmen wir uns mehr Zeit für Qualitätstests und die Fehlerbereinigung, als wir es normal machen.


    Bei Edgy Eft läuft es anders: Canonical hat den Entwicklern nicht vorgegeben, was in die Distribution einfließen soll. Stattdessen haben wir ihnen aufgetragen, die interessantesten Funktionen zu finden und diese für Edgy vorzuschlagen. Davon wählen wir dann etwa die besten 100 Ziele aus. Es kommen auf jeden Fall einige spannende Funktionen in der übernächsten Version. Beispielsweise Xen, denn Virtualisierung ist sehr wichtig. Doch wir halten es noch für zu instabil für den produktiven Einsatz. Edgy Eft ist so der richtige Ort, um damit zu experimentieren. Xgl oder AIGLX für 3D-Effekte und Transparenz auf dem Desktop werden ebenfalls in die Distribution gelangen. Gerade dies ist wichtig, um mit Windows Vista zu konkurrieren, aber auch mit MacOS X, was die Qualität der Desktop-Umgebungen angeht.


    Wir wollen auch Programme für mehrere Architekturen unterstützen, so dass Anwender auch auf 64-Bit-Systemen 32-Bit-Applikationen einsetzen können, ohne zu basteln. Momentan muss man zwischen beiden Architekturen wählen und hat bei 64 Bit Probleme mit Software wie dem Flash-Player. 64 Bit ist super für Datenbanken, doch für Desktops ist es nicht geeignet, hier möchte man nicht auf 32-Bit-Software verzichten. In Edgy wird man beides ohne Umwege nebeneinander nutzen können.


    Golem.de: Obwohl Ubuntu enorm erfolgreich ist, muss es sich noch immer häufig Kritik von Seiten der Debian-Entwickler gefallen lassen.


    Shuttleworth: Es gibt jetzt Millionen Leute, die ein Debian-basiertes System einsetzen, die vor zwei Jahren noch kein System auf Debian-Basis hatten. Sicherlich richten wir uns vor allem an eine spezielle Nutzerschicht und können Debian für diese optimieren. Aber wir sehen uns selbst als Teil des Debian-Universums. Wir arbeiten hart daran, dass alles, was wir machen, den Debian-Entwicklern unmittelbar zur Verfügung steht. Wenn wir ein geändertes Paket hochladen, sehen sie dies auch sofort, da wir unsere Patches jeden Tag veröffentlichen. Wir bemühen uns also, dass Debian unsere Arbeit einfach integrieren kann.


    Gleichzeitig antworte ich allerdings nicht auf Forderungen, die Arbeit sowohl in Ubuntu als auch in Debian zu erledigen - das ist nicht möglich. Ich kann einem Debian-Maintainer nicht vorschreiben, was er mit seinem Paket zu machen hat und ehrlich gesagt möchte ich keinen Streit mit ihm. Wir machen Ubuntu zur besten Desktop- und Serverplattform, die wir erstellen können und dann veröffentlichen wir unsere gesamte Arbeit. Anschließend versuchen wir, mit den Debian-Entwicklern zusammenzuarbeiten, damit sie so viel unserer Arbeit integrieren können wie nur möglich.


    Golem.de: Sie kommen aus Südafrika und arbeiten dort sehr an der Verbreitung freier Software. Wieso betrachten Sie Open Source als besonders wichtig für Länder wie Südafrika?


    Shuttleworth: Einer der Gründe, warum ich heute hier in Wiesbaden sitze, einer der Gründe, warum ich im Weltall war, einer der Gründe, warum ich mich interessanter Projekte annehmen kann, ist die Existenz von Linux, Python und MySQL. Diese Projekte haben es mir als Geek, der in Kapstadt aufwuchs, ermöglicht, eine Webapplikation zu entwickeln, die mit den proprietären Produkten großer Firmen konkurrieren konnte. Ich konnte dies ohne Kapital und ohne eine große Organisation tun. Freie Software schafft faire Ausgangsbedingungen, durch die man auch ohne Geld und eine Firma im Hintergrund erfolgreich sein kann.


    Ein Grund, warum ich Ubuntu gegründet habe, ist, dass diese Bedingungen auch in anderen Länder geschaffen werden sollten. In Ländern, in denen Talente sitzen, aber das Kapital fehlt. Ich denke, dass Open-Source-Software und eine Plattform wie Ubuntu einen wirklichen Unterschied machen, die Welt nicht nur verbessern, sondern auch spannender machen können. Ich hoffe, Ubuntu spielt dabei eine kleine Rolle und beschleunigt auch die Entwicklung neuer, aufregender Techniken.


    Golem.de: Ubuntu aus Dankbarkeit?


    Shuttleworth: Absolut. Wir geben gerade deshalb viel zurück an Debian, an Linux, an die Desktop-Umgebungen. Wir helfen vor allem den Desktop-Umgebungen, ihre Arbeit zu präsentieren und wollen dies in bestem Maße tun, um uns bei ihnen auch für ihre tolle Arbeit zu bedanken. Außerdem können wir die Zukunft der Desktop-Technik formen. Wir müssen nicht versuchen, Apple und Microsoft einzuholen, wir können die Führung übernehmen und die Zukunft selbst gestalten. Für mich ist es aber auch eine Investition, da ich glaube, dass wir mitbestimmen, wie sich der Desktop weiterentwickelt.


    Golem.de: Was passiert in nächster Zeit in der Ubuntu-Community?


    Shuttleworth: Ich kann nur verraten, dass wir in Kürze eine Zertifizierung eines großen Serverherstellers für Dapper Drake ankündigen können.


    quelle: golem

    Unterwegs sein


    das ist es doch
    per pedes per Rad
    per Bahn per Flugzeug
    per Kopf in ferne Zonen
    zu finden was unauffindbar
    jenseits der Grenzen
    deiner selbst